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Nach dem Jamaika-Aus
Warum sich die Meinungsumfragen widersprechen

Wer trägt die Schuld für das Ende der Jamaika-Verhandlungen? Drei Umfragen geben teils stark unterschiedliche Antworten. Das liegt am Umfrage-Design, mit dem Medien nicht ausreichend transparent umgehen.

Von Stefan Fries | 21.11.2017
    Farbige Spielfiguren stehen auf Wahlscheinen.
    Die Umfragen nach dem Jamaika-Aus haben teils gravierende Unterschiede ergeben. (dpa/ Bernd Weißbrod)
    Die Schuldfrage hat den Montag über sowohl Parteien als auch Medien umgetrieben. Die FDP hat die Sondierungsverhandlungen über eine mögliche schwarz-gelb-grüne Koalition in der Nacht zu Montag beendet - aber trägt sie auch die Schuld dafür?
    Eine Frage, die nicht nach verlässlichen Maßstäben beantwortet werden kann und bei der es stattdessen um Meinungen geht. In drei Umfragen haben Medien gestern versucht, diese Schuldfrage zu klären. Dabei kamen alle Umfragen zu verschiedenen Ergebnissen. Wie kann das sein?
    In der Umfrage für die Tagesschau hieß es, 32 Prozent gäben der FDP die Schuld. Im ZDF waren es 55 Prozent. Bei RTL und n-tv 19 Prozent.
    Dass die Werte so stark voneinander abweichen, hat vor allem zwei Ursachen. Zum einen gab es bei den Umfragen unterschiedliche Fragestellungen, zum anderen unterschiedliche Antwortmöglichkeiten.
    Entscheidend sind die Formulierung von Fragen und Antworten
    So fragte etwa das Umfrageunternehmen Forsa für RTL und n-tv: "Wer ist für das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen verantwortlich?"
    Infratest Dimap wiederum stellte für die Tagesschau die Frage: "Die Gespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen zur Bildung der nächsten Bundesregierung sind gestern Abend gescheitert. Welche der verhandelnden Parteien trägt Ihrer Meinung nach in erster Linie die Verantwortung hierfür: die CDU, die CSU, die FDP oder die Grünen?"
    Die Forschungsgruppe Wahlen fragte für das ZDF: "Wer ist hauptsächlich schuld am Scheitern von Jamaika?"
    Während bei Tagesschau und ZDF also eher nach einem Hauptschuldigen gefragt wird, besteht bei RTL zumindest die Option, mehrere zu nennen.
    Entscheidender sind die Antwortmöglichkeiten. Bei der Tagesschau waren es vier: Dort konnten CDU, CSU, FDP und die Grünen als Schuldige benannt werden - das heißt, man konnte sich nur für eine Partei entscheiden. Dabei gab dann eine Mehrheit von 32 Prozent der FDP die Schuld.
    Bei RTL konnten die Befragten zusätzlich auch sagen: Alle Parteien sind schuld – was dann ganz andere Werte ergeben hat. Da kam dann die FDP nur noch auf 19 Prozent, während die meisten Befragten, nämlich 38 Prozent, allen Parteien zusammen die Schuld gegeben hatten.
    Das ZDF hat dagegen auch Mehrfachnennungen erlaubt. Das heißt, man konnte sowohl eine der vier Parteien nennen oder alle – aber auch jeweils zwei oder drei Parteien in unterschiedlichen Kombinationen. Deswegen waren die Werte für die einzelnen Parteien entsprechend viel höher und konnten auch auf über 100 Prozent steigen. In dieser Umfrage wurde dann auch wieder die FDP als Hauptschuldige benannt, allerdings sogar mit 55 Prozent der Stimmen.
    Auch Frage zur Neuwahl bringt kein eindeutiges Ergebnis
    Die Wähler wurden auch gefragt, wie es jetzt weitergehen soll – auch mit unterschiedlichen Ergebnissen. In der Tagesschau waren 63 Prozent für Neuwahlen, beim ZDF 51 Prozent, bei RTL 45 Prozent. Auch hier liegt das wieder an der Frage und den Antwortmöglichkeiten.
    Die Tagesschau hat gefragt: "Angenommen, eine Neuauflage der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD kommt nicht zustande. Wie sollte es Ihrer Meinung nach dann weitergehen? Sollten CDU und CSU eine Minderheitsregierung bilden oder sollte es Neuwahlen geben?"
    Dabei wurde ausdrücklich eine Große Koalition aus dem Spiel genommen, entsprechend waren die Werte für die beiden Optionen höher, und 63 Prozent waren für Neuwahlen.
    Bei RTL mit der Großen Koalition als zusätzliche Antwortmöglichkeit verschoben sich die Werte entsprechend, dort waren 45 Prozent für Neuwahlen.
    Und auch hier hat das ZDF ganz anders gefragt. Es hat nämlich nicht eine Frage gestellt mit drei Antwortmöglichkeiten, sondern drei Fragen hintereinander gestellt - nach der Präferenz für Neuwahlen, eine Minderheitsregierung oder eine Große Koalition. Dabei konnten die Wähler jeweils mit "gut" antworten, auch wenn das in sich widersprüchlich ist. Deswegen sind die Werte auch insgesamt höher.
    Zu wenig Informationen zur Aussagekraft
    Im Prinzip sind alle drei Umfragen repräsentativ, unter anderem weil jeweils mehr als tausend wahlberechtigte Menschen in Deutschland befragt wurden, bei der Forschungsgruppe Wahlen mehr als 1.300, bei Forsa sogar mehr als 1.700.
    Allerdings stellt sich die Frage, wie informiert die Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage sind. Während Forsa für RTL schon ab 9.00 und bis 17.00 Uhr per Online-Panel gefragt hat, ließ die Tagesschau erst zwischen 15.00 und 19.15 Uhr telefonisch befragen und das ZDF zwischen 16.30 und 20.45 Uhr. Gerade an einem ereignisreichen Tag wie dem nach dem Abbruch der Sondierungsverhandlungen ist der Spin entscheidend, den Parteien und Medien dem Ereignis geben und der sich im Laufe des Tages durchaus ändern kann. Das bedeutet, dass morgens wahrscheinlich auf anderer Informationsgrundlage abgestimmt wurde als am Nachmittag.
    Umfragen sind attraktiver Inhalt für Medien. Allerdings verschweigen oder verstecken Journalisten oft, wie aussagekräftig solche Umfragen wirklich sind, zum Beispiel indem sie die genaue Fragestellung nicht nennen. Diese war bei den genannten Beispielen nicht komplett transparent, obwohl der Pressekodex das vorschreibt.