Dienstag, 19. März 2024

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Nach dem Sturm
Noch läuft nicht alles wieder nach Plan

Acht Tote in Deutschland, zwei in den Niederlanden, kilometerlange Staus, abgedeckte Häuser und tausende gestrandete Reisende an Bahnhöfen und Flughäfen: Sturmtief Friederike hat ihre Spuren hinterlassen. Die Aufräumarbeiten laufen zwar auf Hochtouren, aber von Normalität kann noch nicht die Rede sein.

Von Anja Nehls | 19.01.2018
    Reisende stehen Schlange an einem Informationsstand der Deutschen Bahn im Berliner Hauptbahnhof.
    Nach Sturmtief "Friederike" warten Reisende in Berlin auf Informationen über ihre Zugverbindungen. (dpa / Paul Zinken)
    Eine lange Menschenlange zieht sich quer durch den halben Hauptbahnhof. Denn vor dem Reisecenter der Deutschen Bahn sind die Türen um kurz vor Sieben noch geschlossen. Viele Fernverkehrszüge sind am frühen Morgen ab Berlin noch nicht planmäßig unterwegs, die Reisenden wollen umbuchen und haben Fragen:
    "Na weil ich hoffe, dass ich da Auskunft bekomme, um zu wissen, wie ich nach Köln komme." – "Ich war gestern schon hier, mein Zug wäre gestern schon gegangen, ich habe noch Glück gehabt, ich habe ein Zimmer gekriegt, was eine Frechheit ist, dass die jetzt erst um sieben hier aufmachen." - "Vom Ostbahnhof aus der Zug 6:23 Uhr fiel aus, demzufolge haben sie gemeint, hier könnte man vielleicht Glück haben. Dass sie den Verkehr eingestellt haben ist okay, aber sie sollten da Nachtschicht eingeführt haben, dass die ganze Nacht da drüben offen ist, dann wäre jetzt hier nicht so eine lange Schlange."
    Im Untergeschoss steht immer noch ein ICE, am blauen Hinweisschild steht Aufenthaltszug. Durch die Scheiben sieht man Menschen halb im Sitzen mit Mänteln und Jacken zugedeckt noch schlafen. Ein Herr aus Hannover wollte gestern eigentlich nach Hause, nun hat er die Nacht im Zug verbracht:
    "In so einem Abteil, so über eine Dreierbank ging das ganz gut. Ich wollte gestern weg und dann fuhr nichts mehr. Ich war dann nochmal hier in diesem Hostel und da war so eine ellenlange Schlange, und da habe ich mir gedacht, dann gehe ich lieber wieder in diesen warmen Aufenthaltszug. Und das war auch nicht schlecht, muss ich wirklich sagen, Kompliment an die Bahn. Die Betreuung war sehr gut, es war warm, es war trocken. Für Getränke war gesorgt, also den Umständen geschuldet haben die sich wirklich redlich bemüht."
    Tausende gestrandete Fahrgäste bundesweit
    Mitarbeiter der Deutschen Bahn beginnen mit den Aufräumarbeiten am Hauptbahnhof Münster.
    Mitarbeiter der Deutschen Bahn beginnen mit den Aufräumarbeiten am Hauptbahnhof Münster. (dpa-Bildfunk / Guido Kirchner)
    Nachdem gestern zuerst der Regionalverkehr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz und schließlich in Niedersachsen eingestellt worden war, stoppte die Bahn wegen des Sturmtiefs Friederike den kompletten Fernverkehr in Deutschland. Tausende Reisende konnten ihre Ziele nicht erreichen und strandeten teilweise in den Bahnhöfen. Ob das so nötig gewesen wäre, bezweifelt Karl Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn.
    "Hier ist man zu vorsichtig. Wenn man den Verkehr dort einstellt, wo er gefährdet ist, dann ist das sicherlich richtig. Aber im hohen Norden, in Schleswig-Holstein, in Hamburg, da weht es nicht mal richtig und da fällt auch kein Baum um. Und da muss man nicht den Verkehr einstellen."
    Deutsche Bahn verteidigt Entscheidung
    Feuerwehrleute und Bahnarbeiter bearbeiten Bäume, die auf einen Zug gefallen sind. 
    Bäume und Äste liegen am 18.01.2018 bei Lamspringe (Niedersachsen) auf der ICE-Trasse zwischen Hannover - Göttingen an einem ICE der Deutschen Bahn. Sturmtief "Friederike" zieht über weite Teile Deutschlands. (Swen Pförtner / dpa)
    Die Bahn widerspricht. 200 Streckenabschnitte seien während des Sturms beschädigt worden. Bereits gestern Abend hatte Bahnsprecher Achim Stauss deshalb die Entscheidung verteidigt:
    "Es ist eine harte Maßnahme, aber aus Sicherheitsgründen das Richtige. Wir haben auch gelernt aus früheren Wetterlagen dieser Art, ist es dann besser, Züge im Bahnhof zu halten und Reisende im Bahnhof zu betreuen, als Gefahr zu laufen, das solche Züge dann bei diesen Wetterbedingungen auf freier Strecke stehen bleiben. Schlimmstenfalls noch kollidieren mit umgestürzten Bäumen oder gerissenen Oberleitungen."
    Aufräumaktionen laufen
    Gegen einen Sturm wie Friederike sei auch die Bahn machtlos, so Stauss. Die Bahn habe sich aber bereits bemüht, die Strecken gegen Extremwetterlagen besser zu schützen und wolle das auch weiterhin tun:
    "Wir haben den Rückschnitt von Bäumen schon intensiviert, aber auch dieser Orkan zeigt, es ist noch nicht genug getan worden, wir müssen das noch intensivieren, um vor allem einen weiterhin sicheren Bahnbetrieb zu gewährleisten."
    Auch Einschränkungen im Flugverkehr
    Auch im Flugverkehr gab es gestern erhebliche Ausfälle. Besonders betroffen waren Verbindungen von und nach Hannover, Köln/Bonn oder Düsseldorf. Der Flughafen Amsterdam war zeitweise komplett geschlossen worden. Mindestens acht Menschenleben hat Friederike in Deutschland gefordert, dazu zwei in den Niederlanden und eins in Belgien. Auf den Autobahnen sorgte der Sturm für Unfälle und kilometerlange Staus, ein Lkw-Anhänger kippte um, Dachziegel und ganze Dachteile wehen von Dächern.
    Weil Friederike auch viele Stromleitungen beschädigt hat, waren am Niederrhein, genauso wie in Ostdeutschland über hunderttausend Menschen ohne Strom. Bei 16.000 Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen funktionierte heute Morgen die Stromversorgung immer noch nicht.
    Schulen teilweise geschlossen
    In einigen Regionen blieben gestern die Schulen vorsichtshalber geschlossen, woanders wurden die Kinder eher nach Hause geschickt, wie in dieser Schule bei Salzgitter, sagt Lehrerin Silke Oehler:
    "Das haben wir uns dann in der ersten große Pause überlegt und in der zweiten großen Pause beschlossen, die Schüler nach der sechsten Stunde nach Hause zu schicken, damit sie halt mit den Bussen noch relativ sicher nach Hause kommen und die Busse überhaupt auch noch fahren."
    Von Westen nach Osten hatte der Orkan Deutschland überquert. Im Harz kamen auch noch starke Schneefälle dazu, einige Gebiete dort waren deshalb und durch umgestürzte Bäume auf den Straßen zeitweise unpassierbar.
    Auf dem Brocken im Harz wurde mit 203 km/h auch die Spitzengeschwindigkeit des Sturms gemessen. Das war sogar mehr als beim Orkantief Kyrill vor genau 11 Jahren.