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Nachrichtenfloskeln
"Verheerendes Erdbeben" und "brutaler Mord"

Zwei Journalisten, jede Menge sprachliche Nachrichten-Blüten und eine Website: Floskelwolke. Das sind die Zutaten für die kleine aber feine Netzerfolgsgeschichte der Woche. Denn obwohl Floskelwolke erst seit Montag existiert hat sie schon über 1.700 Twitter-User und über 1.800 Facebook-Follower. Sommerloch hin oder her: Floskeln scheinen ein Thema zu sein.

Von Stephan Beuting |
    Verschiedene deutsche Tageszeitungen liegen zur Presseschau bereit.
    Auch bei renommierten Tageszeitungen immer wieder zu finden: die Floskel. (Jan Woitas, dpa)
    Nachrichten sollten objektive Sachverhalte darstellen und frei von subjektiven Einflüssen sein.
    "Guten Abend, die Nachrichten"
    Doch Präzision und Objektivität sind immer dann in Gefahr, wenn sie auftaucht.
    "Der Gegenwind ist so stark geworden, dass Röttgen zurückrudern musste"
    "am helllichten Tag".
    Die Floskel "Grünes Licht von den Gewerkschaften/Immer noch kein Grünes Licht für die letzte Etappe"
    Adjektive machen manchen Satz zur Floskel
    Floskolus, das Blümchen, schmückt so manchen Satz, ist auch stilistisch völlig in Ordnung, hat aber in den Nachrichten nichts zu suchen.
    "Der Ursprung, ist der, dass ich einen Blog habe, der heißt Nachrichtengiftschrank.de, auf dem ich das Thema schon öfters bearbeitet habe, weil da geht's genau darum, was sind Dinge, die als Begriffe in den Nachrichten nicht unbedingt passend sind. Die möglicherweise wertend sind und für die es bessere Alternativen gäbe."
    Udo Stiehl ist Journalist, sein Metier: Nachrichten. Wenn dort Floskeln auftauchen berührt das sein berufliches Selbstverständnis und stört sein ästhetisches Sprachempfinden. Und bei Sebastian Pertsch ist das nicht anders.
    "Also der brutale Mord, warum muss ich da ein Adjektiv hinsetzen?"
    Udo Stiehl: "Ähnlich ist es beim verheerenden Erdbeben. Wenn das nicht solche immensen Schäden verursacht hätte, würden wir darüber gar nicht berichten."
    Bereits 50 Floskeln identifiziert
    Udo Stiehl und Sebastian Pertsch haben 50 Floskeln identifiziert. Mit einer Google-Webapplikation durchforsten sie das Internet, 1.600 Domains auf denen über 2000 Nachrichtenseiten liegen. Wird eine Floskel gefunden, dann sieht man das der Floskelwolke an. Die Grafik besteht aus den 50-Suchfloskeln, je häufiger der Begriff fällt, desto fetter, größer und zentraler wird die jeweilige Floskel innerhalb der Wolke.
    "Wir haben jetzt seit Montag fast durchgehend eigentlich "Tote gefordert" als stärkste Floskel, die wir kritisieren weil Ereignisse nichts fordern, das tun allenfalls Terroristen."
    Auf Hochtouren ist auch so eine dieser nachrichtlichen Stilblüten, sie belegt Platz zwei. Dann kommt das Mittelfeld, am Ende gibt es auch einige Floskeln, die noch gar nicht aufgetaucht sind.
    "Wir haben aber jetzt, Sebastian, ich glaube es sind mittlerweile 200 - Ja, es sind jetzt knapp 200 neue Floskeln und Phrasen - die wir als Vorschläge bekommen haben, die werden wir jetzt die Tage mal durchgehen und gucken, ob wir vielleicht schwache, die in den Trefferreihen gar nicht vorkommen, aussortieren und dafür stärkere Floskeln, die wir gar nicht berücksichtigt hatten, reinnehmen.
    "Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt"
    Zweimal täglich liefert Floskelwolke Zahlen, durchsucht das, was die großen Nachrichtenseiten im Netz produzieren. Wenn Radio und Fernsehen ihre Texte nicht verschriftlichen, dann bleibt das für die Wolke unerreichbar.
    "Vielleicht müssen wir mal die NSA oder den BND anfragen, vielleicht haben die eine Schnittstelle für uns, die sie uns zur Verfügung stellen."
    Floskelwolke ist weder erschöpfend noch liefert sie wissenschaftlich valide Zahlen. Die Ergebnisse sind abhängig vom Google-Such-Algorythmus, die Such-Begriffe von zwei Nachrichten-Freaks aus der Hüfte geschossen. Dass Sie damit einen Nerv getroffen haben, das zeigen aber die vierstelligen Followerzahlen und das Feedback.
    "Es gab einen Tweet, wo einer schrieb: Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt."
    Nette Floskel, ist auch außerhalb der Nachricht grundsätzlich erlaubt. Nur, die beiden sehen sich anders. Dann schon eher die Metapher von der Wolke, die über dem Kopf eines jeden Nachrichtenredakteurs steht und Blitze zu schleudern droht, sollte sich der im Floskelfach vergreifen.
    "Ja, wir wollen dieses Bedrohungspotenzial nicht aufbauen aber das Bild ist sehr schön."