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Nelson Mandela "ist ja wirklich fast ein Heiliger"

Der schwer kranke Friedensnobelpreisträger und frühere Präsident von Südafrika Nelson Mandela sei in der Haft auf Robben Island zu einem Politiker gereift, der Versöhnung wollte, sagt der Schriftsteller Hans Christoph Buch. Sein Verzicht auf Hass habe auch Südafrika den Bürgerkrieg erspart.

Hans Christoph Buch im Gespräch mit Peter Kapern | 18.07.2013
    Peter Kapern: Seit Wochen ringt Nelson Mandela in einer Klinik in Pretoria mit dem Tod. Die Menschen in Südafrika und überall auf der Welt bangen um die Ikone des Kampfs gegen das Apartheidsregime. Gleichzeitig liefert sich seine Familie eine degoutante Auseinandersetzung um das Vermächtnis des Friedensnobelpreisträgers. Seine Tochter schließt Exklusivverträge mit CNN für die Fernsehübertragung von Mandelas Beisetzung ab und ein Sohn streitet um den Begräbnisort der Gebeine zweier verstorbener Mandela-Kinder. Diese abstoßende Geschäftstüchtigkeit befremdet all jene, die Nelson Mandela zu seinem 95. Geburtstag am heutigen Tag alles Gute wünschen, auch den Schriftsteller und Afrikakenner Hans Christoph Buch.

    Hans Christoph Buch: Es ist wie ein Fluch, was da um Nelson Mandela herum passiert, und gleichzeitig ist er eine der letzten Lichtgestalten des 20. Jahrhunderts und bis ins 21. hinein strahlt sein Ruhm, und er ist ja wirklich fast ein Heiliger. Man stelle sich vor, ein Politiker, der in Moskau und Peking oder Pjöngjang, Nordkorea, ebenso geschätzt wird wie in New York, Berlin, Paris, London und natürlich vor allem in seinem Heimatland, in Südafrika. Das macht ihm so schnell keiner nach. Am ehesten ist noch Mandela vergleichbar in seiner historischen Bedeutung mit dem polnischen Papst, der jetzt demnächst heiliggesprochen werden soll.

    Kapern: Welche Charaktereigenschaften sind es, die Nelson Mandela zu dieser Lichtgestalt, wie Sie sagen, gemacht haben?

    Buch: Das war vor allem der Verzicht auf Rache, überhaupt der Verzicht auf Hass. Er ist in der Haft auf Robben Island gereift zu einem Politiker, der Versöhnung wollte, und zwar ehrlich wollte, nicht nur als Floskel im Munde führte, und der Südafrika einen Bürgerkrieg erspart hat. Es standen ja blutige Abrechnungen ins Haus. Die Gefahr war, dass die Rassisten, also die Apartheid-Befürworter, und der ANC, der ja den bewaffneten Kampf propagierte, dass die aufeinanderprallen und dass Südafrika im Chaos versinkt, wie etwa das ehemalige Jugoslawien. Genau das ist nicht passiert und das ist Nelson Mandela zu verdanken. Vor allem hatte er die geniale Idee, Wahrheitskommissionen einzurichten, die die Verbrechen der Vergangenheit zunächst mal dokumentieren und analysieren, bevor sie Urteile sprechen. Aber diese Urteile sind eher moralischer als juristischer Art, und das hat das Land befriedet. Er hätte ja Grund genug gehabt zur Rache.

    Kapern: Das gilt aber auch für viele Millionen andere Schwarze in Südafrika. Wie hat es Nelson Mandela geschafft, all diese Menschen, Millionen von Menschen von allen Rachegedanken abzubringen?

    Buch: Durch sein Prestige, durch seine Autorität, und die beruht vor allem auf einem Faktum, das man gar nicht hoch genug einschätzen kann in der Geschichte. Er war ein Märtyrer. Es war alles beglaubigt, jedes Wort, was er sagte, beglaubigt durch 27 Jahre strenge Haft, strengste Haft auf Robben Island. Er war durch diese Hölle hindurchgegangen und er war ja ursprünglich im Anfang sowieso ein Anhänger der Gewaltlosigkeit. Er hat sich dann aber geweigert nach dem Sharpeville-Massaker, wo die südafrikanische Armee und Polizei Hunderte von Demonstranten getötet hat. Danach hat er sich geweigert, den ANC zu einem Gewaltverzicht aufzurufen, weil er sagte, das ist ein System, das wir nur mit Gewalt stürzen können. Nur diese Gewalt, um die es ihm damals ging, hatte eher symbolischen Charakter. Er war ja inspiriert von Gandhi und er hat nie ein Befreiungsheer kommandiert wie etwa Mao Zedong in China, sondern er hat wohl aus tiefster innerer Überzeugung, auch aus christlicher Überzeugung übrigens, die Gewaltlosigkeit vertreten, nach allen Seiten, und die südafrikanische Gesellschaft befrieden können wie kein anderer.

    Kapern: Gleichwohl: Die Bereitschaft, dann doch auf den gewaltsamen Widerstand zu setzen nach dem Massaker von Sharpeville, wirft das einen Schatten auf die Lebensleistung von Nelson Mandela?

    Buch: Überhaupt nicht, denn das war völlig richtig. Politisch gesehen müssen wir auch die Lage realistisch einschätzen. Was hätte der ANC davon gehabt, auf Gewalt zu verzichten, wenn er keine Gegenleistung bekommt. Im Übrigen muss man sich mal klar machen: Der ANC ist viel älter als die Apartheid. Der ist schon 1912 gegründet worden. Da war Mandela noch gar nicht geboren. Und die Apartheid wurde erst 1948 in Südafrika eingeführt. Das heißt, dieses System in Südafrika, dieses rassistische System, hat sich schrittweise radikalisiert und war selbst extremistisch und da war Gewalt als Antwort vollkommen legitim. Im Übrigen sollte auf viele, die später Mandela gefeiert haben, eher ein Schatten auf diese Leute fallen. Zum Beispiel Ronald Reagan hat ihn noch als Terrorist bezeichnet.

    Kapern: Auch Margaret Thatcher hat dies getan, Herr Buch.

    Buch: Auch Margaret Thatcher, ja.

    Kapern: Hat der Westen gegenüber Mandela und dem Anti-Apartheids-Kampf versagt?

    Buch: Nein, hat er nicht, denn zum Glück gab es eine breite, man würde heute sagen, Regenbogen-Koalition, nicht nur von Afrikanern, sondern auch von Europäern und Asiaten und Südamerikanern für Mandela. Die haben Druck gemacht. Es gab einen Wirtschaftsboykott gegen Südafrika, der auch weitgehend befolgt wurde, und auch die amerikanischen Präsidenten mit Ausnahme Reagans haben sich diesen Kampf gegen die Apartheid zueigen gemacht. Das heißt, Südafrika war am Ende isoliert und musste einlenken.

    Kapern: Herr Buch, wie viel Nelson Mandela steckt heute noch im ANC?

    Buch: Sehr wenig. Das ist die große Enttäuschung. Der ANC ist leider korrupt und seine Funktionäre haben sich entwickelt zu einer Art Arbeiter-Aristokratie. Sie haben lukrative Posten - übrigens werden die besetzt nicht nach Qualifikation, sondern nach Parteibuch – und andere fähige Leute bleiben außen vor. Die Kriminalitätsrate ist so hoch wie nie, das soziale Elend hat sich nicht wirklich grundlegend verändert in den Townships.

    Es gibt da ein paar Verbesserungen, aber ich erinnere nur daran, dass noch vor einem Jahr, glaube ich, die Polizei auf streikende Arbeiter schoss, und diesmal war das die schwarze Polizei, die Polizei des ANC. Die Weißen stehen unter Druck, viele gehen weg, vor allem weiße Farmer, die nicht alle Apartheid-Anhänger oder Rassisten waren. Man macht sich da ein viel zu einfaches Bild, wenn man glaubt, das sei so was wie die Nazi-Herrschaft in Deutschland gewesen. Überhaupt nicht! Da gab es ja auch eine weiße Opposition, Liberale, Sozialdemokraten und die Kommunisten. Joe Slovo, ihr Führer, war ja ein Weißer.

    Kapern: Herr Buch, Sie haben Nelson Mandela beschrieben als Heiligen, als Märtyrer. Sie haben religiöse Kategorien verwendet. Kann es eigentlich sein, dass dieser übergroße Mensch schon deshalb eine Belastung für seine politischen Nachfahren ist, weil niemand sein Maß erreichen kann?

    Buch: Da haben Sie völlig recht und natürlich können die Nachfolger dagegen nicht an. Aber die Nachfolger waren trotzdem, auch wenn man realistische Maßstäbe anlegt, eine Enttäuschung. Ich habe Thabo Mbeki mehrfach getroffen, das war der direkte Nachfolger, der Kronprinz von Mandela. Der war zum Beispiel ernsthaft davon überzeugt, hat das in seinem Blog auch immer wieder gesagt, Aids sei eine Erfindung des Westens, um Afrika kaputtzumachen. Oder Zuma, der jetzige Präsident, stand vor Gericht in Südafrika wegen Vergewaltigung einer jungen Frau, die übrigens Aidskrank war, und da hat er sich vor Gericht gerechtfertigt oder sozusagen entschuldigt mit dem Satz, "ich habe aber hinterher geduscht".

    Das muss man sich mal vorstellen. Damit wäre eine politische Karriere nicht nur in Europa, sondern auch in vielen Staaten Afrikas beendet gewesen. Aber der ANC ist eine so gut organisierte Kraft, die das Land so tief durchdrungen hat, dass man gegen ihn nicht ankommt, und die Oppositionsparteien, zu denen auch Schwarze gehören und Asiaten, nicht nur Weiße, tun sich schwer gegenüber dieser neuen Bürokratie, die nicht immer zugunsten der Armen regiert, sondern eher in die eigene Tasche wirtschaftet.

    Kapern: Nelson Mandela wird heute 95 Jahre alt – das war ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Afrika-Kenner Hans Christoph Buch.


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