Archiv

Neue Filme
Der Monarch, die Mädchen und die Eintagsfliege

Die neuen Filme sind wie aus dem wahren Leben gegriffen: "Ludwig XIV." könnte mit Donald Trump besetzt werden, "Die Verführten" wären dann sein Volk und meist dauert es "Nur ein(en) Tag" und schon sind die News von heute nur noch Fakes von gestern.

Von Hartwig Tegeler |
    Jean-Pierre Léaud als Ludwig XIV.
    "Der Tod von Ludwig XIV." - ein Film über den Tod des menschlichen Körpers und den Tod des Absolutismus. (Grandfilm)
    "Der Tod von Ludwig XIV." von Albert Serra
    Der König stirbt. In seinem Schlafzimmer. Ein Wundbrand; das Bein wird immer schwärzer, die Ärzte erweisen sich als Scharlatane; nun das Dahinsiechen. Wie ein Credo steht ein Satz, den Ludwig am Anfang sagte, über dieser Szenerie:
    "Ich würde lieber schlafen."
    Ich würde lieber schlafen. Der katalanische Regisseur Albert Serra hat seinen Film "Der Tod von Ludwig XIV." als Kammerspiel im Kerzenlicht inszeniert. Das meiste Licht konzentriert sich auf den Sterbenden in seinem Bett, mal mit absurd gigantischer, mal ohne Perücke. Der alte Herrscher, gespielt von der Truffaut-Ikone Jean-Pierre Léaud, ist umgeben von einem Heer von Dienern, Kurtisanen, Höflingen und eben unfähigen Ärzten. Wenn der Kranke ein Ei isst, klatscht die Entourage. Inzwischen hohle Rituale der Macht, in der der sterbende König als einziger zu sagen wagt, dass es hier fürchterlich stinkt:
    "Es stinkt. Mir wird übel davon. Mir ist schlecht."
    Es geht in "Der Tod von Ludwig XIV." um den Tod auf beiden Ebenen: den des natürlichen menschlichen Körpers, der verfault wie der politische Körper der höfischen Macht des Absolutismus. In der Konzentration auf das Schlafzimmer des sterbenden Monarchen findet der Film seine grandiose Metapher für die Vergänglichkeit eines Systems. Ein Bild, das wir uns heute, auf unsere Zeit blickend, genüsslich oder auch erschrocken auf der Zunge zergehen lassen können. 1715 stirbt der König, 1789 mit der Französischen Revolution die alte Ordnung.
    "Der Tod von Ludwig XIV." von Albert Serra - bei uns im französischen Original mit deutschen Untertiteln im Kino - herausragend
    "Die Verführten" von Sofia Coppola
    Ein anderes System ist im Verschwinden begriffen: die Sklavenhaltergesellschaft der US-Südstaaten. In Sofia Coppolas Film "Die Verführten", einem Remake von Don Siegels Film "Betrogen" von 1970, sind die Sklaven schon am Anfang von der Plantage, die nun ein Mädchenpensionat ist, geflohen. Der Bürgerkrieg ist in der Ferne zu hören, aber hier ist noch Ruhe, Frieden. Vielleicht.
    "Wir bitten dich, unser Pensionat zu schützen und wir beten, dass dass wir die Nacht hindurch vor Schaden bewahrt werden. - Amen!"
    Dann findet eines der Mädchen einen verwundeten Nordstaaten-Soldaten - Colin Farrell in der Rolle, die bei Don Siegel Clint Eastwood spielte.
    "Miss Martha! - Ist er tot? - Nein, bringt ihn hinein."
    Filmstill mit Schauspielerin Nicole Kidman in Sofia Coppolas Film "The Beguiled".
    Nicole Kidman als Leiterin des Mädchenpensionats in "Die Verführten" (imago/ZUMA Press/Entertainment Pictures)
    Der nun einzige Mann in dieser Frauen-Gruppe, bestehend aus der Leiterin des Heims - Nicole Kidman -, der Lehrerin - Kirsten Dunst - und den fünf heranwachsenden Mädchen, er entfacht erotische Wünsche und Fantasien.
    "Er scheint ein sensibler Mensch zu sein. - Ist es so?"
    Es entsteht Konkurrenz, aber gleichzeitig, quasi instinktiv der Widerstand gegen die männliche, verführerische Macht.
    "Kommen Sie mit mir."
    Im Unterschied zum Don-Siegel-Original erzählt Sofia Coppola ihre Geschichte aus der Perspektive der Frauen, inszeniert in einer schwülen Atmosphäre des "alten Südens", wo der Schweiß immer läuft, so wohlanständig die wohlerzogenen Töchter sich auch geben mögen. Ein Reigen von Macht und Obsessionen, der hier sichtbar wird und dem Soldaten nicht sehr gut bekommen wird in diesem Kosmos, der merkwürdig abgeschottet, ja nur noch künstlich wirkt in seinen Ritualen der Ordnung hinter diesen Mauern der alten Plantage. Der alte Süden ist bald nicht mehr.
    "Die Verführten" von Sofia Coppola - herausragend
    "Nur ein Tag" von Martin Baltscheit
    Noch einmal Vergänglichkeit, verbunden mit einer rhetorischen Frage:
    "Wer weint denn um eine Eintagsfliege?"
    In "Nur ein Tag" philosophiert der Fuchs mit dem Wildschwein:
    Fuchs: "Der Tod ist wie das Leben unabwendbar."
    Wildschwein: "Und niemand weint über das Leben."
    Beide: "Und deshalb solle auch keiner über den Tod weinen."
    Ende, Auflösung, der Tod, sie sind in dem Wesen, das im Mittelpunkt von dem Martin Baltscheits Film steht, von vorneherein angelegt. Denn die Eintagsfliege lebt eben nur einen Tag, den aber mit dem Fuchs und dem Wildschwein verbringt, um alles zu genießen, was diese kurze Lebensspanne zur Verfügung stellt.
    Szene aus dem Film "Nur ein Tag": Aljoscha Stadelmann sitzt unter einem Sonnenschirm an einem Ufer, Karoline Schuch schüttet mit einer Gieskanne Wasser über den Schirm
    "Nur ein Tag" - eine tiefgründige Fabel über den Sinn des Lebens (W-Film)
    "Und warum guckt ihr so traurig? - Gucken wir traurig? - Aber ja, volle Pulle traurig! Wenn ihr weiter so traurig in die Sonne guckt, regnet es."
    Karoline Schuch, Lars Rudolph und Aljoscha Stadelmann spielen Eintagsfliege, Fuchs und Schwein ohne Kostüme und Masken. Was wunderbar funktioniert. Denn das Drama der Eintagsfliege, dass der Film "Nur ein Tag" verhandelt, braucht keine Masken, nur die Emotionen, um die großen existentiellen Fragen von Vergänglichkeit und Tod zu behandeln - für den Kinogänger jeder Größe, jedes Alters. In der Einfachheit der Inszenierung liegt eine große Kraft, die im übrigen wie ein Kontrapunkt zum handelsüblichen Kinogetöse funktioniert. "Carpe diem" eben:
    "Wer nur einen Tag hat, braucht das Glück in 24 Stunden. Du willst doch? - Ich, natürlich!"
    "Nur ein Tag" von Martin Baltscheit - herausragend