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Neuer Code für E.coli-Bakterien
Wissenschaftler konstruieren biologische Parallelwelt

Die Verschlüsselung biologischer Informationen ist bei allen Lebewesen gleich. So steht es in den Lehrbüchern. US-Forscher haben den Code jetzt neu geschrieben. Sieben "Wörter" im Bauplan von E.coli-Bakterien haben nun eine andere Bedeutung als in der Natur. Wissenschaftlicher Durchbruch oder Spielerei?

Von Michael Lange | 19.08.2016
    Ein EHEC-Erreger in einer Petrischale
    E.Coli-Bakterien wurden neu codiert (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    George Church, Professor an der Harvard Medical School in Boston, gilt als Vordenker der synthetischen Biologie. Während viele seiner Kollegen natürliche Organismen nachbauen, will er etwas völlig Neues schaffen, eine zweite Biologie.
    "Unser Ziel ist ein synthetisches Genom, das in der Biotechnologie nützlich ist. Deshalb bauen wir Bakterien, die nicht von Viren infiziert werden können. Denn Viren stellen ein erhebliches Problem dar für biotechnische Anlagen."
    Viren nutzen die Erbinformation der Bakterien, um sich zu vermehren. Dazu müssen sie deren Code kennen. Sie müssen wissen, wie die Verschlüsselung der Erbinformation in den Bakterien funktioniert. Wenn der Code sich ändert, ist das so, als ob die Bakterien plötzlich eine neue Sprache nutzen. Die Viren verstehen sie nicht und können sich nicht mehr vermehren.
    "Unsere Strategie ist es, den Code grundsätzlich zu verändern. Das heißt: Wir manipulieren nicht nur die Reihenfolge der genetischen Buchstaben, die Sequenz, sondern deren Bedeutung. Dazu nutzen wir die Eigenschaft des Genoms, die gleichen Informationen durch Synonyme unterschiedlich zu speichern."
    Bis zu sechs Synonyme für die gleiche Information
    In der Natur funktioniert der biologische Code so:
    Vier verschiedene Buchstaben im Erbmolekül DNA speichern die Information des Lebens: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin – A, T, G und C.
    Angeordnet sind diese Buchstaben in Dreiergruppen. Jeweils drei Buchstaben stehen für eine Aminosäure. Zum Beispiel: AAA steht für Lysin und GCG für Alanin. Aber auch GCA steht für Alanin und ebenso GCC. Das heißt der Code ist mehrdeutig. Es gibt bis zu sechs Synonyme für die gleiche Information.
    Viele Buchstabenkombinationen werden von der Natur eigentlich gar nicht gebraucht. Sieben dieser Synonyme im Genom von E.coli haben die Wissenschaftler um George Church nun eine neue Bedeutung gegeben.
    Um dieses Ziel zu erreichen, mussten sie das natürliche Bakterien-Genom in 62.000 Positionen verändern.
    Künstliche Bakterien, die sich von allen natürlichen Lebewesen unterscheiden
    Noch ist dieses künstliche Genom nicht fertig. Es existieren lediglich 55 große Erbgut-Abschnitte mit dem neuen Code. Im nächsten Schritt müssen die Forscher diese Fragmente zusammenbauen und in eine Zelle verpflanzen. Das Ergebnis wären künstliche Bakterien, die sich grundsätzlich von allen natürlichen Lebewesen unterscheiden. So entstünde eine biologische Parallelwelt, unangreifbar für Viren. Das könnte zum Problem werden, wenn sich virusresistente Zellen ungebremst vermehren, weiß George Church. Aber natürlich kennt er einen Ausweg.
    "Wenn Sie eine Bakterienzelle herstellen, die gegen viele Viren resistent ist, dann müssen Sie sie kontrollieren. Deshalb machen wir sie abhängig von einer Aminosäure, die in der Natur nicht vorkommt. Diese Aminosäure muss synthetisch hergestellt werden, durch organische Chemie."
    Die Bakterien müssten regelmäßig mit einer künstlichen Aminosäure "gefüttert" werden. Außerhalb ihres Bioreaktors würden sie zu Grunde gehen, so der Plan der Wissenschaftler.