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Neuerscheinungen
Zwei lesenswerte Bücher über Monteverdi

Anlässlich des 450. Geburtstages Claudio Monteverdis haben die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold und ihr Kollege Michael Heinemann neue Bücher über den italienischen Komponisten verfasst. In Umfang sowie Aufmachung ähneln sich die beiden Bücher und sind auch verständlich geschrieben - inhaltlich sind sie aber grundverschieden.

Von Johannes Jansen | 29.05.2017
    Bücherstapel
    Bücherstapel (imago stock&people)
    Der Stilwandel um 1600 – ein Klassiker unter den Prüfungsthemen im Fach Musikgeschichte. Generationen von Schülern und Studenten hat sich der Begriff der Seconda pratica und der Name ihres Erfinders eingeprägt: Claudio Monteverdi. Nicht schaden konnte es auch, von der Florentiner Camerata, von Zarlino und Artusi schon einmal gehört und Titel wie Entstehungsjahr der ersten Oper parat zu haben: "L'Orfeo" 1607. Wer dann noch wusste, dass es, strenggenommen, nicht die erste Oper war, hatte schon so gut wie bestanden. So war das mit dem Stilwandel um 1600. Oder nicht? Gelegenheit, sich der Sache noch einmal zu vergewissern, bieten zwei kleine, aber inhaltsreiche Veröffentlichungen.
    Magische Faszination bis heute
    Darüber hinaus verschaffen sie einem das Vergnügen, die stets aufs Neue faszinierende Begegnung mit Monteverdis Musik, die auch Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Malipiero und Orff, Strawinsky und Henze fast magisch angezogen hat, durch Einblicke in die Hintergründe seines Schaffens zu vertiefen. Michael Heinemann bemüht sich in besonderer Weise, den Horizont der Werkbetrachtung zu erweitern und geht gleich in medias res. "Orfeos Welt-Entwurf" heißt das erste Kapitel und das zweite, in dem es sich um Monteverdis Madrigale dreht, "Die Entdeckung der Leidenschaft". Es ist auch der Untertitel seines Buches, den es einzulösen gilt. Mit Notenbeispielen wird nicht gegeizt, während Silke Leopold nur auf die Verfügbarkeit von Noten und Musik im Internet verweist, ohne indes auf Porträts, Städteansichten und anderes, das dort ebenso zu finden wäre, zu verzichten. Ein großes Plus aber sind die ihrem Buch beigegebenen Anhänge, ein Register etwa, das man bei Heinemann vermisst. Auch ein kleines Glossar mit Fachbegriffen findet sich, das freilich, so verlässlich es sonst ist, einen nicht nur hier erkennbaren Hang verrät, keineswegs gesicherte Sachverhalte als Gewissheiten auszugeben.
    Faktenlage im Spannungsfeld zwischen Vermutung und Gewissheit
    Die Viola bastarda etwa sollte gar kein Instrument gewesen sein, sondern nur Bezeichnung für eine Spielweise? Apodiktisch auch die Feststellung, "Pur ti miro", das berühmte Schlussduett aus "Poppea" sei gar nicht von Monteverdi. Das lässt sich zwar vermuten, aber erwiesen ist es nicht. In ihrer zu Recht als Standardwerk geltenden Monografie "Monteverdi und seine Zeit" (letzte Auflage: 2002) hat Silke Leopold es noch etwas zurückhaltender formuliert. Michael Heinemann dagegen – und auch das muss man kritisch sehen – deutet kaum einen Zweifel an der Urheberschaft an, weil er die Oper genau von diesem Ende her interpretiert, obwohl nicht einmal klar ist, dass Monteverdi den dem Duett zugrundeliegenden Text überhaupt gekannt hat. Beinahe trotzig – jedem aber, der Monteverdi liebt, verständlich – klingt, wenn er zur vergleichbar prekären Überlieferung des "Ulisse" anmerkt, man dürfe ihn durch Zuweisung an einen anderen, unbekannten Autor der Praxis nicht entziehen.
    Seconda pratica - wenn sich das Neue aus dem Alten herausschält
    Auch ob Monteverdi kurz vor dem Tod noch seine Heimatstadt Cremona oder vielleicht doch nur Mantua besuchte, wird in beiden Büchern unterschiedlich dargestellt. Eine Marginalie vielleicht. Aber auch sie mahnt dazu, den Interpretationsspielraum nicht ohne Hinweis auf die dürre Faktenlage auszureizen. Ziemlich einig sind sich die Autoren in der Frage der Seconda pratica, die eine streng kodifizierte Kompositionspraxis aus ihrer Selbstknebelung befreite und die bis dahin eher papierene Affektdarstellung in lebendige Klangrede verwandelte. Silke Leopold hat es einmal das Herausschälen des Neuen aus dem Alten genannt und zeigt hier nun weniger die technische Seite dieses Vorgangs als dessen musikpolitisch-reklamehafte Dimension. Anschaulicher wird bei Heinemann die Rezeptur des neuen Stils, auf den Monteverdi so etwas wie einen Gebrauchsmuster-Schutzanspruch erhob.
    Beide Bücher haben ihre Vorzüge
    Welches der beiden Bücher sich nun zur Anschaffung mehr empfiehlt, ist eine Frage von Vorwissen und Lesegeschmack. Wer eine stringente Einführung in Leben und Werk sucht, ist mit der gewandt erzählten Monteverdi-Biografie Silke Leopolds hervorragend bedient. Das vom historischen Reisebericht des Thomas Coryat inspirierte Cremona-Kapitel ihres Buches gibt den Duktus vor. Sozialgeschichtliche Aspekte, die Heinemann bewusst vernachlässigt, kommen bei ihr nicht zu kurz. Auch die Gesamtdisposition wirkt überzeugender als Heinemanns eher essayistischer Zugriff aus der Perspektive des Hörens, wie er es nennt, mag in manchen Kapiteln seines Buches auch größerer Gedankenreichtum stecken und damit mehr Gewinn für wissenschaftlich interessierte Leser. Wie Leopold vermag er sich vom Fachjargon zu lösen, verfällt dabei aber allzu gern in einen elliptischen, bisweilen staccatohaften Stil. Steigert das Lesetempo. Vielleicht. Verständlichkeit nicht unbedingt. In dieser Art. Aber was er über Plakativität und Differenzierung, die Ästhetik der Subtraktion und dergleichen mehr in Monteverdis Werk zu sagen hat – anregend ist es auf jeden Fall. Eines gilt für Michael Heinemann genauso wie für Silke Leopold: In einer Monteverdi-Prüfung möchte man ihnen nicht gegenübersitzen. Sie könnten einen ganz schön ins Schwitzen bringen.
    Besprochene Bücher:

    Silke Leopold: "Claudio Monteverdi. Biografie"

    Carus / Reclam 2017, Hardcover, 256 Seiten, 28,00 Euro.

    Michael Heinemann: "Claudio Monteverdi. Die Entdeckung der Leidenschaft"
    Schott 2017, Hardcover, 176 Seiten, 24,50 Euro.