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Neues Gesetz im Westjordanland
Ende der Pressefreiheit

Willkürliche Festnahmen von Journalisten, Schikanen und gesperrte Internetseiten - im Westjordanland beobachten Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände schon länger einen Niedergang der Pressefreiheit. Ein neues Gesetz des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas beschränkt die freie Meinungsäußerung nun noch mehr.

Von Tim Aßmann | 15.07.2017
    Palästinenserpräsident Mahmud Abbas spricht vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen.
    Das neue Gesetz des Palästinenserpräsidenten Abbas schränkt u.a. die Meinungsäußerung in sozialen Medien und im Online-Journalismus ein. (AFP/Don Emmert)
    Jihad Barakat weiß immer noch nicht so genau, was er falsch gemacht hat. Der Reporter und Kameramann des Privatsenders Palestine TV stand im Stau vor einem israelischen Checkpoint nahe Tulkarem im Norden des Westjordanlandes. Von hinten kam der Konvoi des palästinensischen Ministerpräsidenten Rami Hamdallah heran gerauscht. Der Journalist Barakat machte einen Schnappschuss von der Fahrzeugkolonne. Das war ein Fehler. Gleich nach dem Checkpoint wurde Barakat aus dem Auto gezogen und zum Verhör auf einen palästinensischen Polizeiposten geschleppt.
    "Sie wollten wissen, warum ich die Bilder machte und verlangten die Passwörter für meinen Laptop. Und wollten alle möglichen Informationen von mir. Ich lehnte ab und musste dann die Nacht in der Polizeiwache in Tulkarem verbringen."
    Rechte von Journalisten von verletzt
    Willkürliche Festnahmen von Journalisten ohne Begründung wie im Fall Barakat sind im Westjordanland keine Ausnahme. Von Pressefreiheit könne nicht die Rede sein, sagt Omar Nazzal. Der freie Dokumentarfilmer ist Pressesprecher des palästinensischen Journalistenverbandes.
    "Es ist schwer, die palästinensischen Journalisten zu vertreten, deren Rechte von drei unterschiedlichen Systemen verletzt werden - von der israelischen Besatzung, von der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland und von der Hamas in Gaza. Jeden Monat gibt es Berichte über Verstöße gegen die Rechte von Journalisten. Im letzten Monat waren es alleine 51."
    41 dieser Verstöße werden der palästinensischen Autonomiebehörde von Präsident Abbas zugeordnet. Im Einflussbereich der Behörde, die ohne Fördergelder auch aus Deutschland nicht handlungsfähig wäre, müssen Journalisten mit Repressionen rechnen, wenn sie kritisch berichten zum Beispiel über Korruption oder über Gesetzesverstöße der palästinensischen Sicherheitsbehörden.
    Kritische Berichterstattung unter ständiger Beobachtung
    Auch Berichterstattung über den politischen Rivalen von Abbas, Mohammed Dahlan, oder über die Hamas im Gaza-Streifen steht offenbar unter ständiger Beobachtung der Autonomiebehörde. Das wurde deutlich, als vor Kurzem mehrere Internetseiten gesperrt wurden, die Mahmud Abbas und seiner Autonomiebehörde kritisch gegenüberstehen. Ammar Dwek ist Generaldirektor der palästinensischen Menschenrechtsorganisation ICHR.
    "Meinungs- und Pressefreiheit erleben in den palästinensischen Gebieten gerade einen Niedergang. Es gab Verhaftungen, Vernehmungen und Schikanen für Journalisten und dann die Sperrung von 23 Internetseiten, die unter anderem Hamas nahestehen oder Mohammed Dahlan. Und dann nun dieses neue Gesetz, dass ohne Abstimmung mit uns oder der Journalisten-Vereinigung formuliert wurde."
    "Bewusst vage formuliert"
    Das neue Gesetz, von dem Dwek spricht, wurde von Abbas im Alleingang ohne parlamentarische Beteiligung erlassen. Es befasst sich generell mit Inhalten im Internet, beispielsweise Meinungsäußerung in sozialen Medien, Online-Journalismus oder dem Betreiben von Webseiten. Das Gesetz sieht schon Strafen vor, wenn Artikel nur geteilt werden, die Inhalte haben, deren Verbreitung das Gesetz wiederum verbietet. Was verboten ist, sei bewusst vage formuliert, sagt Menschenrechtler Ammar Dwek.
    "Es ist eine grundsätzliche Gefahr für die Meinungsfreiheit aller Palästinenser. Jeder Bürger, der zum Beispiel in sozialen Medien seine Meinung äußert, kann verfolgt werden. Das Gesetz gefährdet auch den Quellenschutz von Journalisten. Sie können ebenfalls sehr leicht kriminalisiert werden, wenn sie ihre Arbeit machen. Das Gesetz hat sehr viele schwammige Begriffe wie Nationale oder öffentliche Sicherheit und sozialen Frieden, die völlig beliebig ausgelegt werden können. Das kommt den Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung von Journalisten entgegen."
    Das Gesetz trat sofort nach Bekanntgabe in Kraft. Es sieht bei Verstößen empfindliche Geldstrafen vor und sogar bis zu 15 Jahre Gefängnis. Palästinensische Journalisten müssen bei ihrer Arbeit nun noch vorsichtiger sein als zuvor.