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"Nicht sonderlich aufregend"

Für Sibylle Ebert-Schifferer, Direktorin der Bibliotheca Hertziana in Rom, ist die Präsentation neu entdeckter Carravaggio-Zeichnungen "ärgerliches Medien-Tamtam". Die Zeichnungen seien schon lange bekannt und bereits untersucht worden, so die anerkannte Carravaggio-Expertin.

Sibylle Ebert-Schifferer im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Jetzt aber zu einem Meister der Leinwände, der sie vor mehr als vier Jahrhunderten auf seine ihn weltberühmt machende Chiaroscuro-Art bemalt hat: Michelangelo Merisi, besser bekannt als Caravaggio. Gestern wurde gemeldet, dass zwei Kunsthistoriker ganz im Geheimen jahrelange Forschungen in der Gegend um Mailand getrieben und dabei jede Menge Zeichnungen gefunden haben, die wohl von Caravaggio als Lehrling und Anfänger stammen. Heute gab es dazu eine Pressekonferenz und gleichzeitig auf Amazon die Veröffentlichung der Ergebnisse als E-Book – ein Verfahren, das höchst fortschrittlich anmutet und sicherlich Premierencharakter hat, das aber auch ein bisschen misstrauisch macht. - Am Telefon ist Sybille Ebert-Schifferer, die Direktorin der Bibliotheca Hertziana im gerade 35 Grad heißen Rom und eine anerkannte Autorität in Sachen Caravaggio. Frau Ebert-Schifferer, was finden Sie denn aufregender: die Entdeckung von hundert unbekannten Caravaggios oder das generalstabsmäßig geplante Medientamtam?

    Sybille Ebert-Schifferer: Also aufregend finde ich das alles nicht. Ärgerlich finde ich das Medientamtam und die Entdeckung finde ich nicht sonderlich aufregend, und es geht ja um Zeichnungen, wohl gemerkt.

    Müller-Ullrich: Aber Zeichnungen, die man noch nicht kannte bis jetzt.

    Ebert-Schifferer: Doch, die Zeichnungen kannte man alle. Das ist ein Riesenkonvolut, das auch publiziert ist und von vielen Caravaggio-Experten in den letzten Jahrzehnten durchgesehen wurde, das stammt aus der Werkstatt des Lehrers von Caravaggio und die meisten dieser Blätter sind eben diesem Lehrer Peterzano zugeschrieben beziehungsweise unbekannten Schülern. Es ist ja klar: in einer Werkstatt wird zum lernen gezeichnet und produziert, und die meisten Caravaggio-Spezialisten waren der Meinung, da könnte etwas sein, was eben auch der junge Schüler Caravaggio gezeichnet hat. Nur hat man gar nichts in der Hand im Moment, um festzumachen, wie eine Zeichnung von Caravaggio aussehen könnte, weil man eben bisher keine gesicherte Caravaggio-Zeichnung hat.

    Müller-Ullrich: Kannten Sie denn die Forscher, die jetzt damit hervorgetreten sind?

    Ebert-Schifferer: Nein!

    Müller: Ich meine, man kennt sich doch in der Szene ein bisschen, wenn Experten, Caravaggio-Experten agieren, zu denen Sie ja nun allemal gehören, denke ich. Kennt man sich?

    Ebert-Schifferer: Nein, die kennt niemand, die haben noch nie etwas über Caravaggio publiziert und sich auch eigentlich noch nicht mal in der richtigen wissenschaftlichen Kunsthistorikerszene drin. Die machen ja zum Teil auch was anderes, beziehungsweise die eine Dame hat mal was zum 19. Jahrhundert publiziert. Aber das sind ein, zwei Publikationen, mit mehr ist die nicht in Erscheinung getreten.

    Müller-Ullrich: Die Idee, dass man da, wo Caravaggio als junger Mann - als 13-Jähriger hat er ja angefangen, bei Peterzano in die Lehre zu gehen -, dass man da mal guckt, ob es nicht Reste gibt, die leuchtet ja eigentlich ein.

    Ebert-Schifferer: Ja. Die ist aber, wie ich sagte, schon generationenlang praktiziert worden – von Mina Gregori, die wirklich eine große Caravaggio-Forscherin ist, über Maurizio Calvesi, der ganz viele von diesen Zeichnungen als Peterzano-Zeichnungen publiziert hat. Es sind auch oft schon (auch in meinem Buch) Zeichnungen aus diesem Konvolut in Verbindung gebracht worden mit Werken Caravaggios, aber immer in dem Sinn, dass das, was da gezeichnet wurde, was er da gesehen hat, die Art, wie da Anatomie gelehrt und zeichnerisch studiert wurde, etwas ist, was sich Caravaggio tief eingeprägt hat, der hatte ja ein phänomenales Bildgedächtnis, sodass er natürlich auch so was dann rekurriert, wenn er selber malt.

    Müller-Ullrich: Wann immer solche Neuigkeiten in die Welt kommen, wenn von Funden die Rede ist, denkt man ja auch, was gibt es eigentlich sonst noch an Funden. Wurden in letzter Zeit neue Caravaggios entdeckt?

    Ebert-Schifferer: Na ja, aus Sicht der Finder schon. So jedes Jahr einer und meistens in der Sommerzeit so wie jetzt, wenn Saure-Gurken-Zeit ist. Das wenigste davon hat sich gehalten, das meiste ist dann im Herbst wieder verpufft. Also ich wüsste überhaupt kein Bild mehr, das wirklich akzeptabel ist und wirklich in den Kanon der Caravaggio-Werke eingegangen ist, das nach 1990 noch entdeckt wurde.

    Müller-Ullrich: Also die Halbwertszeit dieser Sensation würden Sie auch auf einige Wochen beschränken?

    Ebert-Schifferer: Denke ich schon, ja.

    Müller-Ullrich: Wie erklären Sie sich denn, dass alle darauf springen? Sind die Medien einfach zu dumm?

    Ebert-Schifferer: Caravaggio ist ja noch immer Hype und besonders im Sommer kommt das als willkommene Nachricht. Ich meine, für Italien, wo das ja ausgelöst wurde, ist das dann immer noch eine Nachricht von nationalem Wert. Nur frage ich mich schon, warum Medien sofort darauf anspringen. Ich meine, die Presse hier in Italien war da durchaus kritisch, weil der schon suspekt erschien die Art und Weise, wie das kommuniziert wurde. Wenn man etwas entdeckt, dann stellt man das meistens erst mal im wissenschaftlichen Rahmen zur Diskussion, zumal, wenn man selbst kein Spezialist ist. Dann fragt man erst mal Spezialisten und man publiziert dann auch nicht plötzlich online auf Amazon in vier Sprachen, ohne irgendwas gegengelesen zu haben, ohne jede Peer-Review oder sonst was. Das macht die Sache schon an sich sehr unseriös.

    Müller-Ullrich: Warum könnte man das denn machen? Gibt es Gründe, dass man so etwas geheim hält vor anderen Forschern, aus Konkurrenzgründen?

    Ebert-Schifferer: Ja, die gibt es schon. Das ist aber albern und das entspricht nicht dem guten wissenschaftlichen Betragen. Da gibt es ja schon Regeln für.

    Müller-Ullrich: Und dann ist natürlich ein Anlass, darüber zu reden, immer die Summe gewesen. Alle haben Dollarzeichen oder in dem Fall Eurozeichen in den Augen. 700 Millionen ist natürlich kein Pappenstiel!

    Ebert-Schifferer: Nein. Aber das ist natürlich beliebig aus der Luft gegriffen. Den Marktpreis für eine Caravaggio-Zeichnung kennen wir einfach deshalb nicht, weil es noch nie eine gegeben hat, ergo auch noch nie eine auf dem Markt war. Erstens gehören die der Stadt Mailand, die wird sie nicht verkaufen, und wenn man so dumm wäre, angenommen, es wären wirklich echte hundert Stück, wenn man die gleichzeitig auf den Markt wirft, dann sinkt natürlich der Preis fürs einzelne Stück. Das würde kein Auktionator oder Kunsthändler so machen. Also das ist eine beliebige Schätzung.

    Müller-Ullrich: Sie klingen jetzt unglaublich überzeugend und überzeugt natürlich. Aber die Bilder haben Sie nicht gesehen?

    Ebert-Schifferer: Doch, ich habe. Also ich kenne eine Reihe von diesen Zeichnungen, die sind ja publiziert wie gesagt. Ich habe mir angeguckt, was die jetzt über Amazon und in dem Film an Vergleichen publiziert haben, und allein die Vergleiche, die ich da sehe, sprechen schon rein stilistisch und von der Ähnlichkeit her gegen die Behauptung, dass es sich hierbei um Vorzeichnungen oder Studien von Caravaggios Hand handeln würde. Also ich halte das für völlig abwegig.

    Müller-Ullrich: ... , sagt die Caravaggio-Expertin und Direktorin der Bibliotheca Hertziana – das ist das Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom -, Sybille Ebert-Schifferer. Schönen Dank für die Auskünfte.

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