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Niedersachsen unter Strom

In Niedersachsen wird derzeit eine Hochspannungsleitung gebaut, die bei den Anwohnern für mächtigen Protest sorgt: die Stromautobahn, die das Umspannungswerk Wahle bei Braunschweig mit dem in Mecklar in Nordhessen verbinden soll. Insgesamt sind bei den Behörden 22.000 Einwände vorgebracht worden.

Von Susanne Schrammar | 15.08.2011
    "Die schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Wir sind ja nicht so blauäugig, dass wir an Wunder glauben. Nun denn – wir müssen prüfen und sehen, was wir weiter tun werden."

    Die Enttäuschung ist Wolfgang Schulze ins Gesicht geschrieben. Der pensionierte Eisenbahner kämpft seit mehr als einem Jahr gegen eine geplante 380 Kilovolt-Hochspannungsleitung, die von Wahle bei Braunschweig nach Mecklar in Nordhessen führen soll. Wenn es nach Schulze und den mehr als 130 in dieser Sache aktiven Bürgerinitiativen in Niedersachsen geht, dann würden die neuen Stromleitungen mit moderner Technik komplett unter die Erde gelegt werden. Keine Landschaftsverschandlung, keine Gesundheitsgefahren, sagt Schulze. Doch jetzt hat das zuständige niedersächsische Landwirtschaftsministerium diese Träume vorläufig zerstört. Nur 700 Meter entfernt von Wolfgang Schulzes Haus in Billerbeck bei Bad Gandersheim sollen bis zu 80 Meter hohe Strommasten und –Leitungen errichtet werden.

    "Man muss mal sagen, diese ganzen Stromtrassen, die sind nicht von irgendwelchen Politikern, die von uns gewählt sind, gemacht worden, sondern die sind vorgeschlagen worden von einem Wirtschaftsunternehmen. Und die Politik ist nicht in der Lage aufgrund von irgendwelchen Gesetzen, diesen Unternehmen Vorgaben für eine Erdverkabelung zu machen. Und das ist mehr als schlimm so etwas."

    Vergangenen Freitag: In einer Pressekonferenz gibt Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gerd Lindemann bekannt, durch welche Orte in Niedersachsen die Stromtrasse Wahle-Mecklar führen wird. Der Stromnetzbetreiber TenneT – ein niederländisches Unternehmen – hatte zuvor fünf Streckenvarianten vorgeschlagen, die das Land im sogenannten Raumordnungsverfahren geprüft hat. Das Ergebnis: Vom Umspannwerk Wahle in der Nähe von Braunschweig soll die geplante Höchstspannungsleitung quer durch Südniedersachsen über die Gebiete von Bad Gandersheim, Einbeck, Göttingen und Hann.Münden bis zur Landesgrenze von Hessen führen und von dort Mecklar in Nordhessen erreichen. Diese Trasse, so Lindemann, sei nach Abwägung die raumordnerisch verträglichste.

    "Eine Lösung, die den Schutz der Bevölkerung und ihres nahen Wohnumfeldes gewährleistet, die wegen der geringen Trassenlänge vergleichsweise weniger Flächen beansprucht und weniger Betroffenheit auslöst, die eine teilweise Parallelführung zur Autobahn A7 erlaubt..."

    ... die jedoch auf gerademal acht von insgesamt 229 Kilometern unter der Erde verlaufen soll. Dabei gilt die neue Höchststromleitung Wahle-Mecklar als eine von vier Pilotprojekten in Deutschland, in denen Erdverkabelung getestet werden soll. Eine lächerlich geringe Strecke, sagen die Bürgerinitiativen, die seit vier Jahren unter dem Motto "Ab in die Erde" für Erdverkabelung in Gleichstromtechnik mobil machen. Für das jetzt beginnende Planfeststellungsverfahren erwägen sie juristische Schritte. Der Bürgermeister der betroffenen Gemeinde Kreiensen in Südniedersachsen Ronny Rode kündigt an, alle rechtlichen Mittel ausschöpfen zu wollen.

    "Es ist klar erkennbar, dass hier nicht unbedingt nach rein sachlichen Gründen entschieden worden ist, sondern nach wirtschaftlichen Gründen und auch dieses Angebot, dass man betroffenen Kommunen Ausgleich in Höhe von, ich glaube, 40.000 Euro gewähren kann – selbst wir als finanzschwache Kommune lassen uns sicherlich nicht unsere rechtlichen Möglichkeiten mit 40.000 Euro abkaufen."

    Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gerd Lindemann hat Verständnis, dass der Netzbetreiber nicht die gesamte Stromtrasse unter die Erde legen will, da dies zu einer massiven finanziellen Belastung führen würde. Per Gesetz darf das Land nur dort Erdkabel anordnen, wo die Stromleitung bis zu 400 Meter an eine Wohnbebauung heranreicht. Jetzt ist die Kulanz des Netzbetreibers gefragt. Minister Lindemann:

    "Ich bin davon überzeugt, dass es auch ein Gebot der Klugheit ist, sich an der ein oder anderen Stelle nicht auf die schlichte Gesetzeslage zurückzuziehen und bin ganz sicher, dass auch TenneT zu der Erkenntnis kommt, dass in einer ganzen Reihe von Fällen es durchaus vernünftig ist, hier auch im Einzelfall nochmal, was Erdverkabelung angeht, nochmal Überlegungen anzustellen."

    Anfang September sind Gespräche zwischen TenneT und Vertretern der Bürgerinitiativen geplant. Auch Wolfgang Schulze, der in seinem Heimatort Billerbeck lieber Erdkabel haben möchte, will weiterkämpfen.

    "Wir bleiben dran, ganz sicher."