Dienstag, 16. April 2024

Archiv


"Niemand hat mit diesem enormen Erfolg gerechnet"

Ein Jahr nach Einführung des Bundesfreiwilligendiensts ist selbst sein Erfinder überrascht vom Erfolg: Auch Jens Kreuter, Bundesbeauftragter für den Freiwilligendienst, hat nicht mit solchem Zulauf zum Bufdi gerechnet. Die Gefahr, dass der Dienst reguläre Jobs verdrängt, sieht er nicht.

Jens Kreuter im Gespräch mit Manfred Götzke | 28.06.2012
    Manfred Götzke: Ein Jahr lang Essen auf Rädern ausfahren, im betreuten Wohnen Brote schmieren, im Krankenhaus Betten rumschieben – freiwillig macht das doch keiner, das haben jedenfalls all die gemeinnützigen Einrichtungen befürchtet, vor einem Jahr, als der Zivildienst abgeschafft wurde. Aber sie haben sich geirrt: Der Bufdi, der Nachfolger des Zivis, der ist sehr beliebt. Die Träger können doppelt so viele Bufdis einstellen, wie es geförderte Stellen gibt. Jens Kreuter ist quasi der Bufdi-Erfinder, er ist Bundesbeauftragter für den Freiwilligendienst. Herr Kreuter, hat Sie dieser Erfolg überrascht?

    Jens Kreuter: In der Form ja, das hat, glaube ich, alle überrascht. Niemand hat mit diesem enormen Erfolg gerechnet. Wir haben ja, wenn man alle Formate zusammenrechnet, die Freiwilligen im freiwilligen sozialen Jahr mit dazurechnet, haben wir 85.000 Freiwilligendienstleistende in Deutschland zurzeit. Und das übertrifft wirklich alle Erwartungen.

    Götzke: Die Wohlfahrtsverbände fordern, dass die Zahl der vom Bund geförderten Stellen mehr oder weniger verdoppelt wird. Wird es bald mehr Geld vom Bund für den Bundesfreiwilligendienst geben?

    Kreuter: Das dürfen Sie mich leider nicht fragen, denn bei uns liegt das Haushaltsrecht beim Parlament, das ist auch richtig so, das ist das Königsrecht der Volksvertretung. Wir reden hier ja nicht über ein paar Euro, sondern wir reden über einen dreistelligen Millionenbetrag, wahrscheinlich irgendwas zwischen 100 und 200 Millionen Euro pro Jahr, die zusätzlich nötig wären, um diese Forderung zu erfüllen, um allen, die bereit sind, die Lust haben, sich freiwillig zu engagieren, tatsächlich auch einen geförderten Platz zur Verfügung stellen zu können, und das ist kein Geld, was irgendein Ministerium in der Schublade hat, sondern das entscheidet der Haushaltsgesetzgeber, das Parlament alleine. Die Haushälter haben bisher gesagt, dass sie sich das nicht vorstellen können. Das muss ich dann akzeptieren und respektieren, dort finden aber die Diskussionen über diese Fragen statt im Parlament.

    Götzke: Das heißt, Sie halten das jetzt eher für unwahrscheinlich, dass wir 2013 doppelt so viele Bufdi-Stellen haben wie 2012?

    Kreuter: Also es geht ja nicht um mein Gefühl, sondern nach dem, was die Haushälter im Deutschen Bundestag uns bisher signalisiert haben, ist das unwahrscheinlich, ja.

    Götzke: Hielten Sie es denn für sinnvoll?

    Kreuter: Sie wollen mich jetzt in Versuchung führen? Ich bleibe aber konsequent, und gebe dem Deutschen Bundestag keine Ratschläge. Das ist nicht meine Aufgabe, zumal genug andere Menschen ja darauf hinweisen, wie viel Potential für freiwilliges Engagement es gibt und dass man dann ja verstehen kann, dass aus Sicht einer Einrichtung das schade ist, wenn die jemanden wegschicken müssen, der gerne freiwillig sich engagieren möchte und für den es auch eine sinnvolle Aufgabe gäbe.

    Götzke: Der Zivildienst war ja ein Pflichtdienst, der Bundesfreiwilligendienst ist ein freiwilliger Dienst. Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass reguläre Stellen auf dem Arbeitsmarkt durch Bufdis ersetzt werden?

    Kreuter: Das halte ich für ganz gering, es wird ja jeder einzelne Platz vor seiner Anerkennung von einer unabhängigen staatlichen Stelle, von einem Amt kontrolliert auf genau diese Frage. Und auch nach der Anerkennung werden regelmäßig Kontrollen durchgeführt, laufende Kontrollen durchgeführt durch die Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes, die Regionalbetreuerinnen und Regionalbetreuer, die genau darauf achten. Das ist auch nicht nur eine Formalie, sondern dass das funktioniert, glaube ich auch deshalb, weil wir inzwischen ja in den allermeisten Sozialeinrichtungen auch so was wie Betriebsräte oder Personalräte haben, und übrigens auch die Freiwilligen selber das ja machen, weil sie sich zusätzlich engagieren möchten, weil sie einen Mehrwert schaffen wollen. Und wenn ein Freiwilliger das Gefühl hat, hier irgendeine reguläre Tätigkeit ausrichten zu sollen, dann melden die sich auch und geben eine Problemanzeige. Und dann wird sofort jemand hingeschickt, der sich das anguckt.

    Götzke: Wie ist das denn zu differenzieren, was regulär ist und was zusätzlich ist? Man könnte ja sagen, ein Bufdi, der Essen auf Rädern fährt, macht eine notwendige Tätigkeit, die sonst jemand machen müsste, der bezahlt wird, regulär bezahlt wird.

    Kreuter: Es gibt natürlich, wenn man ganz grundsätzlich über die Modalitäten in unserem Sozialbereich diskutiert, gibt es eine Reihe vieler Aufgaben, die wir, ich glaube, als Gesellschaft alle als wünschenswert ansehen, die aber in dem gegenwärtigen System nicht finanzierbar sind, da sprechen wir aber auch alle miteinander dann von zusätzlichen Aufgaben. Also aus meiner festen Überzeugung, dass kein Freiwilliger irgendeinen Arbeitsplatz verdrängt, darf man eben nicht den Umkehrschluss ziehen, zu sagen, Freiwillige ließen sich alle hinweg denken und keiner würde es merken. Natürlich würde man es merken, weil es ein Verlust an Zeit, an geschenkter Zeit, an zusätzlichen Hilfestellungen wäre.

    Götzke: Sagt Jens Kreuter, Bundesbeauftragter für den Freiwilligendienst. Mehr zum Thema Bundesfreiwilligendienst gibt es morgen in der Sendung "Hintergrund" ab 18:40 Uhr hier im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.