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Nordwind für den Süden

Zahlreiche Energieversorger aus dem Süden wollen den Anteil der erneuerbaren Energien an dem Strommix erhöhen, den sie ihren immer umweltbewusster werdenden Kunden verkaufen. Der soll aber wiederum vor allem aus Norddeutschland kommen.

Von Christina Selzer |
    Es klingt paradox: Ausgerechnet im tiefen Süden, in Bayern und Baden-Württemberg, haben sich 30 Stadtwerke zusammengeschlossen, um im hohen Norden, rund 100 Kilometer vor der Insel Borkum, einen Offshore-Windpark zu kaufen. Doch für Bettina Morlok, die Geschäftsführerin der Südweststrom-Gesellschaft in Tübingen, ist das alles kein Widerspruch:

    "Weil der Großhandelsmarkt von den vier großen Unternehmen in Deutschland beherrscht wird, die 80 Prozent des Kraftwerksparks haben. Wenn nur so wenige Strom erzeugen können und diese die Preise bestimmen. Und die Stadtwerke haben dann Schwierigkeiten günstigen Strom zu erwerben und den Strom an die Haushaltskunden weiterzuverkaufen."

    Inzwischen sind sogar 64 kommunale Energieversorger und Bürgergenossenschaften aus Deutschland, Liechtenstein und Luxemburg, Österreich und der Schweiz an dem Windpark beteiligt. Bard Offshore 1, so der Name des Windparks in der Nordsee, soll einmal mit 80 Windturbinen 400.000 Haushalte mit Strom versorgen. Die Stadtwerke wollen damit Geld verdienen, aber auch ein Zeichen setzen: Man wolle jetzt selbst anfangen, regenerative Energie zu erzeugen, erklärt Boris Palmer, Aufsichtsratsvorsitzender der Südweststrom Windpark-Gesellschaft und zugleich grüner Oberbürgermeister von Tübingen.

    "Wir wollen uns unabhängig machen von den großen Konzernen und wir wollen investieren in umweltfreundliche Energieerzeugung, weil wir glauben, dass die Bürger solche Produktionen schätzen und abnehmen."

    Immer mehr Stadtwerke, vor allem aus Süddeutschland, wollen künftig ihren Strom aus der Windkraft auf See beziehen. So planen zum Beispiel die Stadtwerke München gemeinsam mit dem Versorger Vattenfall einen Windpark vor Sylt. Und auch der Stadtwerke-Verbund Trianel, zu dem Kommunen in Süddeutschland gehören, will sich an einem Windpark vor der Insel Borkum beteiligen. Bettina Morlok ist froh, dass ihre Windpark-Gesellschaft schon früh investiert hat.

    "Als wir vor zwei Jahren gesagt haben, wir verhandeln Offshore mit dem Unternehmen Bard, da haben alle gesagt, seid ihr nicht richtig im Kopf. Heute sehen wir, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Heute gibt es kaum noch Chancen, in solche Projekte reinzukommen."

    Die Herausforderungen beim Bau der Anlagen sind immens: Sie liegen wegen der hohen Umweltauflagen in Deutschland in großer Entfernung zur Küste, die Kosten der Türme und die teure Wartung schrecken viele Investoren ab.

    Doch Bettina Morlok macht sich keine großen Sorgen. Stadtwerke, so ihr Argument, hätten schon immer in erneuerbare Energien investiert. Jetzt wage man sich eben an Offshore heran. Doch die Risiken seien gut verteilt.

    "Erstens ist dieses Projekt das einzige, das schlüsselfertig angeboten wird. Sie haben nicht mehrere, sondern einen Lieferanten, der diesen Windpark aufbaut. Bard hat so viel Vertrauen in seinen Windpark, dass er die Anlage für uns betreiben wird, in den ersten fünf Jahren sogar im "Full service", die ganze Verantwortung liegt also bei Bard."

    Noch ist der Park Bard Offshore 1 nicht fertig. Wegen des schlechten Wetters konnten erst 12 von 80 Windturbinen aufgestellt werden. Ende 2011 hätte der Windpark fertig sein sollen, jetzt verschiebt sich alles auf Mitte 2012. Das beweist: Wer in Offshore investiert, braucht eine gute Portion Risikobereitschaft und Pioniergeist.

    Auch ein anderes Problem muss aber gelöst werden. Denn noch ist die Netzanbindung nicht garantiert. Professor Martin Kühn von der Universität Oldenburg weist darauf hin, dass mehrere hundert Kilometer Hochspannungsnetz in Deutschland fehlen. Das größte Problem dabei seien nicht die Kosten:

    "Die Schwierigkeit ist zurzeit die Genehmigungsverfahren für den Bau von Hochspannungsleitungen. Es gibt Anwohnerproteste, es gibt juristische Auseinandersetzungen, Planungszeiträume, die im Bereich von zehn Jahren und länger liegen. Und das ist ein Problem, an dem die ganze Branche dran ist."

    Noch in diesem Monat soll der erste kommerzielle Windpark in Deutschland den ersten Strom liefern. Der soll von der Nordsee aus in den Süden der Republik fließen. Dann könnten Länder wie Baden-Württemberg und Bayern auch die rote Laterne beim Windstrom abgeben. In beiden Ländern kommt Windstrom auf einen Anteil von weniger als einem Prozent, bundesweit deckt die Windkraft sieben Prozent des Stromverbrauchs ab. In zehn Jahren könnten es 25 Prozent sein, das jedenfalls hält der Bundesverband Windenenergie für realistisch.