Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv

NRW-Ministerpräsidentin Kraft in Wien
Wogen glätten statt Handel fördern

Sie wollte eigentlich über die Handelsbeziehungen sprechen. Doch bei der 60-Jahr-Feier der Deutschen Handelskammer in Wien wird Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vom Streit zwischen Bayern und Österreichern über die Flüchtlingskrise eingeholt.

Von Moritz Küpper | 30.10.2015
    Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD, l.) trifft in Wien den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ)
    Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD, l.) trifft in Wien den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) (Land NRW / R. Pfeil)
    Der Strukturwandel im Ruhrgebiet, das Schlagwort Industrie 4.0, die Bildung der Kinder als Rohstoff. Bereits eine ganze Weile hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vor mehreren hundert Gästen der Deutschen Handelskammer in Österreich gesprochen, als sie zum Thema Flüchtlinge kam:
    "Ich sage ganz deutlich: Ich halte nichts davon, dass wir jetzt ein Schwarzer-Peter-Spiel beginnen, wer denn jetzt was wo falsch organisiert mit welchen Folgen für wen auch immer."
    Es waren verkappte, aber doch deutliche Worte an die Adresse von CSU-Chef Horst Seehofer in München, der den Österreichern in der Flüchtlingskrise verantwortungslose Politik vorgeworfen hatte. Harsche Kritik, der sich zum Teil auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU angeschlossen hatte. Für Kraft der falsche Weg. Sie mahnte in Wien Solidarität an – und plädierte dafür...
    "... gemeinsam Europa zu verteidigen mit seinen freiheitlichen Grenzen."
    Es gab erstmals Beifall im Palais Niederösterreich.
    Längeres Gespräch mit Faymann
    Bereits vor Krafts Rede hatte Österreichs Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner angesichts der schweren Vorwürfe aus Deutschland respektive München gesagt, er sei froh, dass eben NRW in diesem Jahr Partnerland der Handelskammer sei – und eben nicht Bayern. Eine scherzhafte Bemerkung, die aber das Klima, auf das Kraft bei ihrer Wien-Reise traf, gut umschrieb. Vielleicht auch deshalb dauerte die Unterredung mit Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann über eine Stunde, und damit länger, als ursprünglich geplant:
    "Naja, es ging um die Flüchtlingsfrage. Und es war für mich auch interessant, seine Sicht der Dinge zu sehen."
    Denn mit über 201.000 aufgenommen Flüchtlingen liegt Nordrhein-Westfalen in Deutschland momentan auf dem Spitzenplatz. Doch bei allen Herausforderungen, die diese Zahl mit sich bringt, geht es für Kraft nur über geordnete Verfahren. Die Diskussion um Zäune, die unter anderem von Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ins Gespräch gebracht worden war, sei für sie, aber auch für Kanzler Faymann kein Thema:
    "Er hat sich da ja klar gegen positioniert. Seine Innenministerin ist offensichtlich mit der Forderung nach draußen gegangen, kann aber auch nicht erklären, wo der Zaun wie weit gehen soll und wie dann verhindert werden soll, dass jemand am Ende des Zaunes dann über die Grenzen geht. Auch das ist eben eine Idee, die nicht durchdacht ist und nicht zu Ende gedacht ist."
    Krafts Lehren
    Das aber sei, so Kraft, der einzige Weg, der Situation Herr zu werden. Neben der schwammigen Formulierungen der geordneten Verfahren, hieße das:
    "Aber wir müssen natürlich die Außengrenzen sichern. Wir müssen dafür sorgen, dass weniger zu uns kommen. Und das ist nur auf diplomatischen Wege zu erzielen."
    Und dieser war gerade in den letzten Tage arg strapaziert. Auf die Frage, ob Sie denn den Eindruck habe, dass die Achse Berlin-Wien auch und gerade in der Flüchtlingsfrage eiere, antwortete Kraft:
    "Ich kann das jetzt in Gänze nicht beurteilen. Tut mir leid. Ich spreche ja nur mit der SPD-Seite der Bundesregierung. Da ist das nicht so."
    Denn im Vorfeld ihres Wien-Besuchs hatte Kraft, die zugleich ja auch stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD ist, mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier telefoniert. Steinmeier wird – genauso wie im übrigen Kanzleramtsminister Peter Altmaier – heute in Wien erwartet. Doch während Altmaier bereits um neun morgens auf seinen österreichischen Gegenüber Josef Ostermayer treffen wird, nimmt Steinmeier an der großen Syrien-Runde teil. Dort soll es eben um die Ursachen der Flüchtlingskrise gehen, was auch bei NRW-Ministerpräsidentin Kraft für Hoffnung sorgt. Ihre Lehre nach einem Tag Wien, nach Besuchen im dortigen Kanzleramt und bei Wirtschaftsvertretern klingt fast schon einfach:
    "Es ist immer hilfreich, wenn man miteinander redet und nicht übereinander redet und das würde ich in dieser Situation auch allen anderen empfehlen."