Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Nutzung verwaister und vergriffener Werke soll neu geregelt werden

Das Urheberrecht reformieren, so wurde es im Koalitionsvertrag vereinbart. Aufgrund der Komplexität des Themas könne es nicht um einen großen Wurf gehen, verteidigt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre Pläne gegenüber Kritikern. Eine Neureglung zu einzelnen Aspekten komme aber noch in diesem Jahr.

Fragen von Christiane Kaess an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger | 20.09.2012
    Christiane Kaess: Es ist unverständlich und komplex geworden und überfordert Nutzer, Kreative und Politiker gleichermaßen. So schwierig es auch ist – die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin ist dazu angehalten, das Urheberrecht zu reformieren. So will es der Koalitionsvertrag. Im Moment liegt lediglich ein Gesetzentwurf zum sogenannten Leistungsschutzrecht vor, der betrifft nur einen Teil des Urheberrechts, nämlich die Rechte von Presseverlagen, und schon an ihm entflammt sich heftige Kritik. Gestern lud Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die verschiedenen Interessengruppen zum sogenannten Zukunftsforum Urheberrecht ein.
    Am Telefon ist jetzt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Guten Morgen!

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen!

    Kaess: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ist Ihr Versuch, gestern bei der Konferenz jenseits der Politik Allianzen zu schmieden, bei so viel Kritik, wie wir sie jetzt in dem Beitrag gehört haben, nach hinten losgegangen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, überhaupt nicht. In Ihrem Beitrag spielte ein Thema eine Rolle, das gestern aber überhaupt nicht beherrschend auf unserem Zukunftsforum war, nämlich das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, und natürlich gibt es daran Kritik. Aber es ist hier überhaupt nicht zum Ausdruck gekommen, dass wir ja gerade bei der Ausgestaltung dieses Leistungsschutzrechtes die Nutzer, die privaten Nutzer, die Blogger, aber auch gewerbliche Nutzung ausgenommen haben. Da ist also wirklich möglich, auch künftig Presseprodukte zu verwenden. Von daher ist das hier in einem gewissen Umfang ein eingeschränktes Leistungsschutzrecht und wird damit mehreren Anliegen gerecht. Aber gestern ging es bei dem Zukunftsforum gerade auch darum, was muss man tun, um viel stärker neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, gerade auch hier der Auftrag der beteiligten Wirtschaftsunternehmen, die auch hier vertreten waren und die auch gerade da eine große Herausforderung sahen, und die breite Diskussion, wie kann es in der digitalen Welt eine stärkere Akzeptanz für Urheberrecht geben.

    Kaess: Sie sprechen über diejenigen, die anwesend waren. Aber die wichtigsten Verbände aus der Musikindustrie oder der Buchbranche haben die Konferenz boykottiert, mit dem Argument, sie stünden nicht für eine Alibiveranstaltung zur Verfügung.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es waren eben sehr viele andere Verbände vertreten. Von daher muss jeder für sich entscheiden, ob er teilnimmt oder nicht. Wir haben hier keinerlei Alibiveranstaltung geführt, so was kenne ich überhaupt nicht, sondern wenn man diskutiert über die Zukunft des Urheberrechtes, dann ist das ein permanenter Prozess, und genau das haben wir gemacht. Politik und Meinungsbildung in der Demokratie funktioniert doch nur, wenn man zusammen im Austausch ist. Und wie kontrovers bei Nutzern, Rechteinhabern und Verwertern und bei den Urhebern all diese Debatten geführt werden, das hat man gestern gesehen, weil natürlich alle ihre unterschiedlichen eigenen Interessen haben. Das ist so in unserer Gesellschaft. Also von daher: Ich bin für alle Gespräche bereit. Aber Alibi war das überhaupt nicht in diesem großen Kreis.

    Kaess: Aber der Vorwurf geht ja in die Richtung, ein konkretes Gesetz wird immer weiter hinausgezögert. Kommt über diesen Entwurf hinaus, der jetzt vorliegt, in dieser Legislaturperiode auch noch ein Gesetz zustande?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja natürlich kommt ein Gesetz zustande. Aber diejenigen, die immer beklagen, es kommt nichts, konzentrieren sich auf einen einzigen Punkt, ihre eine einzige Forderung sogenannter Warnhinweise, und die wurden gestern durchweg mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen abgelehnt. Aber es kommt ein Entwurf, wir werden einen Entwurf vorlegen für die Nutzung sogenannter verwaister oder vergriffener Werke. Das wollte ich schon vor der Sommerpause machen, aber leider haben die EU-Beratungen zu der entsprechenden Richtlinie eine deutliche Verzögerung bekommen, denn man muss sehen: Unser nationales Urheberrecht bewegt sich nur in einem engen Rahmen auch europarechtlicher Vorgaben. Wir werden dieses Urheberrecht-Wahrnehmungsrecht, also gerade das, was beklagt wird, die lange Zeit von Verhandlungen zwischen Verwertungsgesellschaften auf der einen Seite und zum Beispiel Geräteindustrie der Internet-Service-Industrie auf der anderen Seite, beschleunigen. Da kommt ein Vorschlag.

    Kaess: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wenn ich Sie da kurz unterbrechen darf, bevor wir zu sehr in die Details gehen. Das Ganze wirkt dennoch von außen ein bisschen wie Stückwerk. Der große Wurf zum Urheberrecht kommt nicht mehr?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht nie um einen großen Wurf und es ging auch nie um einen großen Wurf im Urheberrecht - dazu ist unser Urheberrecht mit seiner ausgefeilten Ausgestaltung und dem Ausgleich von privaten Vervielfältigungsinteressen und den Interessen der Urheber und Rechteinhaber an Verwertung viel zu komplex, als dass man mal eben den großen Wurf macht -, sondern es ging immer um diese vielen Einzelpunkte und da werden wir einige, weil wir jetzt so weit sind, auch in einem Gesetzentwurf vorschlagen.

    Kaess: Und der Vorwurf von Kulturstaatsminister Bernd Neumann von der CDU, die Rechte der Urheber im Internet seien völlig unzureichend geschützt, der trifft dann Ihrer Meinung nach gar nicht zu?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, der trifft in dieser Form überhaupt nicht zu, und wenn man an solchen Foren wie gestern teilnimmt, dann kann man sich davon auch überzeugen.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch auf eine andere rechtliche Diskussion, die gerade die Gemüter bewegt: Wie viel Rücksicht muss man auf religiöse Gefühle nehmen und sollte das islamfeindliche Video "Die Unschuld der Muslime" verboten werden. Kann denn, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ein Zeigen des Videos auf rechtlicher Basis verboten werden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben hier auf der einen Seite natürlich das Recht zur Meinungsäußerung, das eine ganz wichtige Rolle bei uns in unserer offenen und freien Demokratie spielt. Wir haben auf der anderen Seite auch die Verantwortung zu sehen, das, was möglicherweise zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei Vorführung eines solchen Videos führen kann, auch in den Blick zu nehmen.

    Kaess: Gibt es eine rechtliche Basis für ein Verbot?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Für die Vorführung gelten dann, um die im weitesten Umfang zu verbieten, die allgemeinen Polizeigesetze. Da ist dann, wenn wirklich die öffentliche Ordnung gefährdet sein kann, durch zum Beispiel die Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen, ein Verbot einer Vorführung möglich. Das prüfen die Behörden im Einzelnen. Generell Darstellungen, Filme, Videos überhaupt zu verbieten, das ist bei uns in unserer Rechtsordnung wirklich sehr, sehr schwierig. Von daher muss auch unsere Gesellschaft gewisse Dinge einfach mit ertragen, auch wenn wir es grauenvoll finden.

    Kaess: Was ist Ihre persönliche Meinung?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin der Meinung, dass es bestimmt bei der Vorführung von solchen Videos Möglichkeiten gibt, wenn eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit da ist. Deshalb wird das geprüft. Ich bin auch der Meinung, dass wir unsere Gesetze nicht verändern müssen. Aber generelle allgemeine Verbote von Erzeugnissen, die kommen schnell an unsere Grenzen.

    Kaess: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Vielen Dank für das Gespräch.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.