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Obdachlose
Verdrängungswettbewerb auf der Straße

Berlin ist in Deutschland die Hauptstadt der Obdachlosen - und der Bahnhof Zoo ihr Haupttreffpunkt. Ein drängendes Problem: Schätzungsweise 8.000 bis 10.000 Obdachlose leben in Berlin - Tendenz steigend. Und der Winter steht vor der Tür.

Von Anja Nehls | 07.11.2017
    Ein Obdachloser versucht in Berlin sein Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.
    Ein Obdachloser versucht in Berlin sein Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. (imago / Andreas Gora)
    Der Mann hat eine knallrot gefärbte Haarsträhne mitten im stoppeligen Gesicht und grinst über beide Backen. In der einen Hand hält er eine Bierflasche, in der anderen eine Plastiktüte. Mittags um kurz nach Eins steht er hinter dem Bahnhof Zoo in Berlin vor dem Eingang der Bahnhofsmission:
    "Das ist mein Wohnzimmer, ich bin zuhause hier."
    Der Mann ist 31, schwer alkohol- und drogenabhängig und einer von rund 700 Gästen, wie sie hier genannt werden, die täglich in die Bahnhofsmission kommen. Hier werden kostenlos warmes Essen, Kleidung und Schlafsäcke ausgegeben, es gibt saubere Toiletten, Duschen und die Möglichkeit, Wäsche zu waschen. Das Hilfsangebot für Wohnungslose ist groß in Berlin, aber die Zahl ist größer - und sie wächst und wächst.
    "Es haut nicht mehr hin von der Anzahl der Menschen"
    "Wir haben in Berlin, von der Vielfalt her, das beste Hilfenetz Europas. Es haut nicht mehr hin von der Anzahl der Menschen", sagt Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission. Es gibt schätzungsweise 8.000 bis 10.000, die in Notunterkünften oder im Freien, im Tiergarten oder unter Brücken übernachten. Vor sieben Jahren waren es erst 2000.
    Seit der EU-Osterweiterung kommen immer mehr Menschen aus Osteuropa nach Deutschland, suchen hier Arbeit und ein Auskommen und scheitern aus den unterschiedlichsten Gründen. Viele campieren in Zelten in öffentlichen Parkanlagen wie dem Berliner Tiergarten. Jahrelang hat man das geduldet, nun wird es zu viel, sagt Stephan von Dassel, der grüne Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte.
    Seinen Schlafplatz hat der Obdachlose in einem Zelt, auch an der Spree, rund 200 Meter vom Reichstag entfernt aufgestellt.
    Das Problem der Obdachlosigkeit in Berlin ist nicht neu - aber es hat sich durch die EU-Freizügigkeit verschärft (dpa / picture alliance)
    "Wir möchten dann, dass diese Menschen zurückkehren in ihre Länder, aber natürlich muss man sich auch überlegen, was ist, wenn die nicht gehen wollen, wenn die sagen, vielen Dank, aber ich bleibe hier weil es geht mir hier besser, ich glaube dann kann staatliches Handeln noch nicht aufhören und dann muss man auch Menschen gegebenenfalls nötigen, Deutschland zu verlassen."
    Über 60 Prozent der Obdachlosen stammen aus EU-Ländern
    Das ist nicht so einfach. Über 60 Prozent der Obdachlosen stammen aus EU-Ländern. Da Freizügigkeit herrscht, können sie sich grundsätzlich aufhalten, wo sie wollen. Man kann sie nicht Abschieben, nur zur freiwilligen Rückkehr überreden. Das klappt aber eher selten, auch wenn die Bezirke die Kosten für die Rückfahrt übernehmen. Viele der Menschen haben hier keinen Anspruch auf Sozialleistungen und landen dann obdachlos im Park.
    "Winter ist scheiße, kalt, Winter ist kalt, schlafen Schlafsack - scheiße."
    "Hier sind weitgehend Polen und auch Russen, aber da ist Dennis und ick, wir sind Deutsche. aber das sind ganz arme Menschen, das Obdach nimmt sie nicht auf, das ist ja total überfüllt, überall pennen sie, schlafen unter der Brücke und ach, Franklinstraße und Notübernachtung."
    Für viele Osteuropäer ist Obdachlosigkeit besser als zuhause zu bleiben
    Für viele Osteuropäer ist die Situation hier immer noch besser, als die in ihren Heimatländern. Sie seien nicht besser oder schlechter als andere, sagen die Mitarbeiter der Bahnhofsmission, aber bei den Deutschen Obdachlosen sind sie nicht besonders willkommen: "Nach meiner Meinung sind das die schlimmsten, weil die teilweise hier auch provozieren. Die fragen noch nicht mal, die hauen erstmal zu und dann fragen sie. Hier am Zoologischen Garten gibt es öfter mal Streit."
    Gebraucht wird also eine gesamtpolitische Lösung so Ulrike Kostka von der Caritas und fordert einen Obdachlosen-Gipfel im Kanzleramt. Das Wohlstandsgefälle innerhalb der EU dürfe nicht das Problem der Parkanlagen und Suppenküchen sein:
    "Es muss die Frage geklärt werden, was mit Menschen geschieht, wenn die hier landen und wenn sie keinen Zugang zur Arbeit finden. Da ist eine Gesetzeslücke da und reine Überbrückungsleistungen und eine Rückfahrkarte helfen nicht, sondern offensichtlich bleiben die Menschen hier länger und wir müssen Verelendung vermeiden. Dieses Thema wird zunehmen und deshalb kann man es nicht nur den Ehrenamtlichen überlassen, die sozialen Fragen Europas zu lösen."