Archiv

Offline-Stil
"Die App-Schalter sind Trendsetter"

Zurück zum analogen Leben ist das Motto einer Avantgarde, die den digitalen Hype links liegen lässt. Der österreichische Zukunftsforscher und Unternehmensberater Franz Kühmayer hat an der Studie "Die neuen Trendsetter" mitgeschrieben und herausgefunden, warum die Digital Natives die Off-Taste drücken.

Franz Kühmayer im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski |
    Ein handy ist mit einem Schloss gesichert und kann nicht genutzt werden.
    App-Schalter wollen wieder zurück zur Sinnlichkeit des analogen Lebens. (imago/Thomas Eisenhuth)
    Adalbert Siniawski: Franz Kühmayer, was sind die Kennzeichen der Lebenseinstellung und des Alltags dieser App-Schalter, wie würden Sie die beschreiben?
    Franz Kühmayer: Ich glaube, dass der Trend zum App-Schalter sich aus mehreren Aspekten eigentlich gliedert. Das eine ist so was wie tatsächlich eine Retro-Entwicklung, wieder zurück zur Sinnlichkeit des analogen Lebens aus der Vergangenheit ein bisschen – sieht man in unterschiedlichen Aspekten des Lebens. Das Zweite ist so etwas wie eine Normalität des Alltags, das digitale Leben und das analoge Leben sind miteinander verschmolzen, es ist nicht mehr etwas Besonderes, digital zu sein oder die ganze Zeit sich in Facebook aufzuhalten. Und das Dritte sehen wir stärker im beruflichen Kontext eigentlich, also bei Menschen, die beruflich sehr viel mit Informationen zu tun haben. Da ist die Frage: Wie kann ich eigentlich tatsächlich abschalten? Muss ich 24 mal 7 erreichbar sein, oder wann ist auch mal Schluss?
    Siniawski: In der Studie habe ich gelesen: Klapphandys, Face-To-Face-Treffen sind wieder gefragt. Was sind vielleicht weitere Phänomene?
    Kühmayer: Das kann sein auch so etwas wie: zurück zur Schallplatte, also auch die Sinnlichkeit des Musikgenusses vielleicht wieder auf eine andere Art und Weise zu erleben. Das kann sein: auch zurück zum analogen Fotografieren, zum Fotografieren mit Film. Überall dort, wo wir es mit Kunstphänomenen zu tun haben, ist der Schlüsselbegriff der der Sinnlichkeit. Wie erlebe ich Musik, wenn ich mir eine Schallplatte kaufe? In der Regel gehe ich dann ins Geschäft, kaufe mir eine Platte, komme nach Hause, schaue mir zunächst einmal das große Cover an, lese vielleicht das Textbuch durch, lege diese Schallplatte dann auf den Schallplattenspieler in der Stereoanlage zu Hause, setze mich da gemütlich hin und horche mir das an. Das hat eine ganz andere Sinnlichkeit, als wenn ich Musik mit rechter Maustaste, mit einem Klick, irgendwo bestelle und herunterlade und 90 Cents bezahle und auf meinem mobilen Device höre. Das gleiche eben auch bei Kommunikation: Beim Umgang mit anderen Menschen ist auch eine andere Sinnlichkeit dahinter, wenn ich mit Menschen im direkten, im persönlichen Kontakt stehe, oder wenn ich über soziale Medien beispielsweise in Kontakt stehe.
    Siniawski: Hat uns also dieses Maschinelle, Unpersönliche und vielleicht Unhaptische des digitalen Lebens so ein bisschen diese Sinnlichkeit geraubt? Kann man das so sehen?
    Kühmayer: Ich glaube nicht, dass es einem die Sinnlichkeit geraubt hat. Ich glaube, dass es eine andere Form des Zugangs ist. Vielleicht einer, der mehr auf Geschwindigkeit ausgelegt ist, der auf Unmittelbarkeit ausgelegt ist und weniger auf etwas, das stärker reflektiert ist. Für manche Dinge denke ich, dass so etwas wie Muße, Geschwindigkeit zurücknehmen, vielleicht auch bis hin zur Langeweile etwas ist, was uns ganz guttut auch im Alltag und was viele Menschen auch so empfinden. Und das kann auch so sein, wenn man jetzt zum Beispiel mit der Bahn fährt: auch einmal aus dem Fenster herauszuschauen und sich 20 Minuten die Landschaft vorbeiziehend anzuschauen. Und nicht in den Zug einzusteigen, wenn man alleine fährt, dann sofort aufs Handy zu schauen und zu sagen: Hoffentlich habe ich in der Zwischenzeit eine Facebook-Nachricht gekriegt. Da gibt’s sicher eine gewisse Sehnsucht nach dieser, vielleicht auch, Leere.
    Siniawski: Man könnte vielleicht auch sagen: Will der Mensch wieder Mensch sein statt Mensch-Maschine, wie es diese Digitalentwicklung es einem nahe legt?
    Kühmayer: Ich bin sehr vorsichtig bei Maschinenstürmer-Argumenten, weil die eigentlich auf jede Generation von Kommunikationstechnologie oder überhaupt Technologie, zutreffen. Wenn man sich so schön Bilder ansieht aus der Vergangenheit, als das Telefon, also jetzt noch nicht einmal das Smartphone, sondern das Telefon eingeführt worden ist, hat man auch gesagt: Meine Güte, braucht wirklich jeder Mensch ein Telefon? Leute werden sich nicht mehr persönlich treffen, sondern nur noch über – fernmündlich, wie es damals geheißen hat – im Kontakt stehen. Als das Fax gekommen ist, hat man gesagt: Um Gottes Willen, niemand wird mehr Briefe schreiben, die Welt wird untergehen, Kulturlandschaft wird verrohen, wenn niemand mehr Briefe schreibt. Das ist mir zu platt und zu pauschal eigentlich in diese Richtung zu schauen, und wir erleben ja auch, dass nur ein sehr kleiner Anteil der App-Schalter so radikal an das Thema herangeht. Die meisten gehen eigentlich mit etwas heran, wo sie sagen: Weder das Digitale, noch das Analoge soll mein Leben 100-prozentig bestimmen – oder stelle ich in den Mittelpunkt – sondern finden eher zu etwas wie einer Natürlichkeit im Umgang. Vielleicht ist es auch deswegen so, weil jetzt eine Generation letztendlich herangewachsen ist, für die digitale Medien nichts Neues mehr sind.
    Siniawski: Wenn wir noch mal auf diese Sozialstruktur vielleicht der App-Schalter kommen: Was sind das für Leute? Was ist das für ein Teil der Gesellschaft?
    Kühmayer: Wir kennzeichnen die als in den späten 20ern ihres Lebensalters, Studien zeigen so in diese Richtung 27, 28 Jahre. Tendenziell gut gebildet. Sicher nicht jemand, der auf sein Smartphone verzichtet oder auf die Digitalität verzichtet aufgrund von finanziellen Einschränkungen – der also sagt: Ich kann mir das Smartphone nicht leisten. Sondern jemand, der bewusst diese Entscheidung trifft. Und vor allem jemand, der die Möglichkeit besitzt, ein sehr gutes und umfangreiches und differenziertes Sozialleben auch, ohne digitale Medien möglich zu machen.
    Siniawski: Ist es ein Protest gegen Mobbing und Diskriminierung in dieser Online-Bilderflut-Welt, wo man schnell sozusagen auch zum Opfer werden kann? Und eine zweite Frage direkt dahinter: Welchen Einfluss hat vielleicht auch die Diskussion um Überwachung und Privatsphäre?
    Kühmayer: Ich glaube, das sind beides wichtige Diskussionen, sowohl die Mobbingdiskussion, die An-den-digitalen-Pranger-gestellt-werden-Diskussion ist eine wichtige, als auch die der Privatsphäre. Was gebe ich von meinem Leben preis? Ich glaube, dass es wichtiger ist, sich sehr bewusst damit auseinanderzusetzen: Was kann ich preisgeben und welches Risiko gehe ich dabei ein? Das ist ein sehr starkes Bildungsthema auch. Da lernen wir jetzt gerade eigentlich auch, als Gesellschaft damit umzugehen, weil wir jetzt gerade diese Masseneffekte aufgrund der letzten Jahre, wo Soziale Medien groß geworden sind, auch so richtig erst in der Dynamik erleben können. In fünf Jahren wird das kein Thema mehr sein – da werden wir gelernt haben, damit umzugehen.
    Siniawski: Wenn man jetzt von der Alltagsbeobachtung her auf dieses Phänomen blickt, dann ist es doch eher anders herum. Also diese Digital Natives, die den ganzen Tag am Smartphone sitzen und in den Sozialen Netzwerken unterwegs sind, sind doch eher sichtbarer als die, die sich von dieser Welt fernhalten. Viele Digital Natives werden auch Digital Junkies. Wie kommen Sie darauf zu sagen, dass es eine Bewegung der App-Schalter gibt?
    Kühmayer: Wie gesagt: Es handelt sich auch nicht um 90 Prozent der Bevölkerung, sondern eher um eine Größenordnung acht, zehn, zwölf Prozent der Bevölkerung, die wahrscheinlich so umgehen, das heißt: Jeder – weiß ich nicht – zehnte Jugendliche in etwa, den Sie treffen oder 28-Jährige, den Sie treffen, hat im Schnitt so eine Verhaltensweise. Insofern fällt es vielleicht auch deswegen weniger stark auf – beobachtbar ist es allerdings.
    Siniawski: Es ist eine Avantgarde, könnte man sagen?
    Kühmayer: Ich glaube nicht, dass es – wenn Avantgarde so gemeint ist, im Sinne von: Wird das mehr? Werden das in fünf Jahren 40, 50 Prozent? – das glaube ich nicht. Was ich glaube, ist, dass wir die Phänomene der Überbelastung durch den Umgang mit digitalen Medien stärker zurückgedrängt sehen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Es sind ausreichend viele Menschen, die sich inzwischen durch die Menge an Informationen, die auf sie einströmt, durch diese permanente Daten- und Informationsflut, eher gestört oder genervt fühlen. Jetzt aber nicht in Extrem umschlagen und sagen: Jetzt drehe ich alles ab! Sondern einen Weg suchen, damit vernünftig umzugehen. Das werden wir erleben, dass es da gute Lösungswege geben wird in den nächsten Jahren, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite meine ich auch, dass wir deswegen besser mit der Digitalität umgehen, weil wir als Kulturtechnik das einfach inzwischen besser lernen, als gesamte Bevölkerung. Da können vielleicht diejenigen, die sich komplett ausklinken als App-Schalter einen Beitrag dazu leisten, nämlich vielleicht auch den Beitrag in Richtung der Sinnfrage, in Richtung der Frage auch nach einer Werthaltung. Was ist denn wertvoller: Mit jemanden zu chatten, mit jemanden über Skype oder ein anderes Medium in Videotelefonie zu stehen? Oder mit jemanden persönlich vorzugehen und eine Stunde spazieren zu gehen und zu sprechen? Ich meine es jetzt nicht wertend, aber ich glaube, man kann lernen davon, man kann vielleicht auch Begrifflichkeiten wiedererlernen, die wir in der Geschwindigkeit und in der Hektik des Alltags, wo uns die Digitalität unterstützt auch darin, den Alltag besser zu meistern, vielleicht ein wenig zurückgedrängt haben.
    Siniawski: Vielleicht wird’s auch einfach eine Elite sein. Wenn wir diese Entwicklung der App-Schalter weiterdenken oder weiterspinnen: André Wilkens, Autor des Buches "Analog ist das neue Bio", er meint, dass sich in Zukunft nur eine Elite eine analoge Lebensweise leisten können wird, eben nicht ständig online zu sein, während andere durch Online gestresst sind. Oder sich halt teure Platten leisten zu können. Sehen Sie das ähnlich, vielleicht so als Fortentwicklung dieses App-Schaltertums?
    Kühmayer: Es hat was Elitäres, wenn man es tatsächlich auf bestimmte Geräte zum Beispiel reduziert. Es ist inzwischen eine analoge Kamera teurer, es ist ein analoger Plattenspieler, wenn er einigermaßen qualitativ sein soll, wesentlich teurer, als sich einen guten MP3-Player zu kaufen oder eine gute Digitalkamera. Insofern hat es diesen kaufmännischen, elitären Aspekt dahinter. Den qualitativ elitären Aspekt finde ich kühn. Das ist so ein Klassisches: Alte Kultur schlägt moderne Kultur, E-Musik ist wertvoller als U-Musik, analog ist wertvoller als digital – daran glaube ich nicht.
    Siniawski: Wenn wir über das methodische Vorgehen sprechen bei der Studie. Wie sind Sie zu diesen Prognosen der Trendstudie gekommen? Also: Basieren diese wirklich auf Befragungen und Zahlen, oder sind es eher Einzelbeobachtungen, die Sie dann zu so einer Prognose verdichten?
    Kühmayer: Beides eigentlich, muss man sagen. Das Grundphänomen haben wir beobachtet anhand einer Handelsstudie, die sich das Kaufverhalten von Menschen angeschaut hat, hier wurden über 40.000 Menschen befragt nach ihrem Kommunikations- und Kaufverhalten in Deutschland. Was wir natürlich immer tun in der Trendforschung ist, wir versuchen, das zu Grunde liegende Phänomen zu verstehen: Warum sich Menschen damit beschäftigen. Und da ist natürlich dieser Wunsch beispielsweise nach Langsamkeit, nach Ruhe, nach Sich-zurückziehen-Können bis hin zur Langeweile, das auch mal wieder zu erleben. Sozusagen: Mir ist fad, mir ist langweilig – und das ist gut so.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.