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Ohne Kühlung keine Zeitung

Der Ich-Erzähler des Romans erinnert sich an seine Zeit in der DDR. Damals arbeitete er in der Druckerei der Zeitung "Neues Deutschland". Dort befand sich die "Kältezentrale", eine geheimnisvolle Maschine, ohne deren Kühlung die Druckmaschinen nicht liefen - und das "ND" nicht gedruckt werden konnte.

Von Oliver Seppelfricke |
    Inka Parei hat erst wenige Bücher geschrieben, die dafür aber umso mehr Eindruck hinterließen. Das tut das neue Werk auch. Denn die 1967 in Frankfurt am Main geborene Autorin, die mit 20 Jahren nach Westberlin ging, bricht mit einem lange gehegten Tabu: Eine Westdeutsche erzählt hier über die DDR, und damit noch nicht genug, Inka Parei begibt sich in ein Zentrum der Macht, dorthin, wo das "Neue Deutschland" gedruckt wurde. Inka Parei:

    "Also ich finde eigentlich auch nicht, dass die DDR ein Stoff ist, mit dem man einfach so umgehen kann und Dinge erfinden kann, die man nicht selbst erlebt hat. Oder ein Leben sich ausdenken, was andere viel besser und viel genauer kennen. Der Grund, weshalb ich das gemacht habe, ist der, zum einen, dass mir dieser Arbeitsplatz erzählt wurde und ich das Gefühl hatte, das ist so etwas Besonderes und eigentlich so ein Blick auf ein sehr zentrales, staatstragendes Gelände der Zeit damals. Aber gleichzeitig von so einer Randperspektive her. Dass ich meinte, das wäre interessant und mir auch wichtig, das in Literatur zu bringen, um es auch zu erhalten."

    Der Arbeitsplatz, von dem Inka Parei berichtet, ist der Ort, an dem, von einer riesigen, rätselhaften Maschine angetrieben, die Zeitung "Neues Deutschland" hergestellt wurde. Mittelpunkt der Anlage war ein Gebäude, das wegen seiner Kälte und wegen seiner Bedeutung nur die "Kältezentrale" genannt wurde. Ohne diese Kühlungsmaschine liefen die anderen Maschinen nicht und es gab kein "ND". Inka Parei hat dieses Gebäude gesehen und diese Begegnung war folgenreich:

    "Das hatte fast so etwas Archäologisches. Also ich habe dann dieses Gebäude mit diesen Maschinen besichtigen können. Die Möglichkeit, darüber zu schreiben, hat sich auch an der Betrachtung des Raums entzündet. Das ist bei mir ganz häufig so. Also dass die Geschichten von Orten ausgehen. Das ist das eine. Und zum anderen denke ich auch, es sind jetzt schon 20 Jahre vergangen und es ist viel geschrieben worden über die DDR. Und es wäre sicher etwas gewesen, was ich vor 15 Jahren so auch nicht hätte machen wollen. Jetzt denke ich aber schon, dass so ein kleiner Splitter des Noch-nicht-Erzählten - und ich hatte auch sehr stark das Gefühl, es ist nun etwas noch nicht Erzähltes - durchaus auch von mir wahrgenommen werden kann. Und darüber hinaus ist eine Außenperspektive auch immer eine andere. Aber ich habe mir schon sehr viele Gedanken darüber gemacht, im Vorfeld, ob ich das darf, ob das Okay ist."

    Ein Mann, so beginnt der Roman, sitzt im Jahr 2006 in einem Zimmer in Berlin-Wedding. Er versucht, einige Tage vor 20 Jahren zu rekonstruieren, als das Unglück in Tschernobyl passierte. Und einige Menschen, darunter seine Frau, vielleicht von einem ukrainischen LKW verstrahlt wurden. War es so? Der Mann ist inzwischen längst aus der DDR geflohen, zwei Ehen sind gescheitert, er war im Osten und ist jetzt im Westen zu Hause, er hat eine Geschichte als Handwerker in der Druckerei des "Neuen Deutschland" und er hat eine Geschichte im neuen Deutschland, im Westen. Das ist viel, und das bringt ihn durcheinander. Was hat er wo erlebt? Mit wem? Und war es auch so? Orientierungslos scheint er, und orientierungslos sind auch wir als Leser. Lange Zeit.

    Denn Inka Pareis Buch ist ein rätselhaftes Buch, ja geradezu ein Rätselbuch. Es bringt mehrere weit auseinanderliegende Orte und Zeiten zusammen, es springt von einer Handlung und einer Person zur anderen und schafft dadurch so etwas wie eine Oberflächenspannung, unter der es mächtig brodelt. Man ist als Leser permanent verunsichert, was hier passiert, was wahr ist, was erfunden. Das Erkennen, und das ist ein Markenzeichen von Inka Parei, bleibt gekonnt in der Schwebe:

    "Es ist ja eine Geschichte von einem Menschen, der unter falschen Voraussetzungen gelebt hat. Der erkennen muss, dass er die Welt wahrgenommen hat unter ganz bestimmten Vorzeichen, die immer fragwürdiger werden für ihn. Und natürlich stecken da ganz allgemeine Fragen nach Wahrnehmung und Erkenntnis dahinter, die immer für jeden an jedem Ort wichtig sind. Und die mir überhaupt bei meiner Arbeit schon immer wichtig waren. Also das Schreiben als Versuch, die Wahrnehmung Einzelner mit all ihren Irrungen und Wirrungen und Besonderheiten einzufangen. Und der Mensch ist recht desorientiert, in einer Krise setzt das Buch ein, und ich habe dann sehr schnell gemerkt, da ich ja doch dicht an ihm dran bin, das es mir wichtig ist, diese Desorientierung auch einzufangen. Dass man das mit in Form hineinbringt. Und damit habe ich sehr gerungen."

    Für das Buch hat es sich sehr gelohnt! Am Ende sind wir so schlau als wie zuvor. Die viele Erinnerungsarbeit hat zu nichts anderem geführt als zu der Erkenntnis, es hätte so, aber genauso gut auch ganz anders sein können. Wie war es nun wirklich? Die Frage bleibt offen. Denn: Wie schon Ulrich in Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" sagte: Erinnerung dichtet! Gekonnt spielt Inka Parei diese Tatsache aus, dass die Erinnerung immer neue Inhalte schafft, dass das Erinnerte stets neu und immer anders ist. Und gerne lassen wir uns von ihr auf solch ein Glatteis führen, von dem wir nie wissen, wann es bricht:

    "Also zum einen ist es ja ganz klar, das wissen wir, und inzwischen ist es ja sogar auch schon wissenschaftlich erforscht, dass wir die Erinnerungen ständig wieder neu erfinden. Das ist also etwas, das in jedem abläuft. Insofern kann man sowieso auch über dieses Buch sagen, es ist auch ein Buch über die Gegenwart. Ich finde sowieso gar nicht, wenn man jetzt so ganz genau rangeht, ist das ein Buch über die DDR, also das könnte man sehr in Fragezeichen setzen. Die DDR ist ja ganz viel. Und was ich hier mache, das ist so ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben eines Einzelnen. Da geht es eben sehr viel darum, wie ein Bruch, eine Ausreise, ein plötzliches Hineingeworfenwerden in ein anderes Land mit einem anderen Wertesystem, mit anderen Menschen, wie dieser Bruch sich dann noch mal auf Erinnerungen auswirkt."

    Mittelpunkt all der Erinnerungsarbeit und Zentrum der Recherche des Ich-Erzählers ist die mysteriöse Kühlmaschine, die "Kältezentrale". Es ist eine fast kafkaeske Maschine, von der man nicht weiß, wie sie funktioniert, ein Monstrum, das man nicht versteht, aber es läuft. Fast könnte man das als Metapher auf die DDR verstehen. Der Autorin Inka Parei geht das zu weit:

    "Das ist mir fast zu viel! Das ist jetzt mal einfach ein ganz bestimmtes symbolträchtiges Gebäude. Und auch diese Kältemetapher ist natürlich auch eine, wo es um Kälte in zwischenmenschlichen Beziehungen geht. Wo aber einiges auch davon nicht unbedingt DDR-spezifisch ist. Es gibt verwahrloste Kindheiten überall, und gleichzeitig ist es vor allen Dingen für mich ein Bild gewesen, jetzt doch wieder DDR, also diese Produktion von Ideologie, die ja eigentlich im geistigen Bereich stattfindet, der dann einen physischen Unterbau zu geben. Das hat mir einfach gefallen. Also das von der Handwerkerseite, von der ganz konkreten materiellen Seite darzustellen."

    Inka Parei: "Die Kältezentrale". Schöffling Verlag, Frankfurt/Main, 210 Seiten, Euro 19,95