Samstag, 27. April 2024

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Ohne Schuhe
Die Freuden des Barfußgehens

Von Maike Striethold | 10.04.2016
    - "Hallo!"
    - "Soll ich die Schuhe ausziehen?"
    - "Können Sie, müssen Sie aber nicht."
    Beim Betreten der Altbauwohnung von Frank Lotzkat im Hamburger Univiertel wird schnell deutlich: Dieser Mann ist unkonventionell. Nicht nur, weil Besucher durchaus die Schuhe anbehalten dürfen. Die Wände sind in kräftigen Rot- und Grüntönen gestrichen – gegen die Dunkelheit, wie der kleine, drahtige Mann mit leuchtenden Augen kommentiert. 73 Jahre ist Frank Lotzkat alt, studierter Volkswirt, und seit neun Jahren läuft er drinnen wie draußen barfuß. Und das kam so:
    "Ich habe eine Fernsehserie gesehen über Australien. Und da war einer, der war immer barfuß unterwegs. Auf heißem Sand, Geröll. Und die Tiere sind sehr giftig da. Und irgendwann, nach zehn oder zwölf Folgen habe ich mir gedacht: Hey, wenn der das im Outback macht, dann kann das in Hamburg auch nicht so schlimm sein. Und dann habe ich mir mal einen Tag lang die Schuhe ausgezogen - einfach so."
    Was die giftigen Tiere im Outback sind, sind in Hamburg Scherben und Hundekot. Dennoch: Der gute Eindruck des Testlaufs überzeugte Frank Lotzkat.
    "Das war ein warmer Frühlingstag. Das war richtig schön. Und das habe ich dann einfach beibehalten. Mal sehen. Und dann wurde es September, Oktober, November – und ich habe nie das Bedürfnis gehabt, Schuhe anzuziehen."
    Bis es dann irgendwann mal richtig kalt wurde:
    "Der erste kalte Winter, der erste kalte Morgen – da kann ich mich schon dran erinnern: Oha, oha, Frank. Drehst du jetzt wieder um, oder wie?"
    Frank Lotzkat drehte nicht um und zog – mit Ausnahme der Beerdigung seiner Mutter – bis heute keine Schuhe mehr an. Ein Glück, dass er damals schon Rentner war, sagt er. Im Job wäre es sicher schwierig geworden mit dem Barfußgehen.
    Inzwischen haben sich die Füße jedenfalls längst an Winterspaziergänge gewöhnt. Und so sind die heutigen zwei Grad Außentemperatur gar nichts, wie Lotzkat lächelnd bemerkt. Er zieht eine dicke Jacke und keine Schuhe an und es geht hinaus. Kaum auf dem kalten, harten Bürgersteig beginnt Lotzkat, zu schwärmen, was das Barfußgehen eigentlich so schön macht:
    "Man spürt die Welt. Bei jedem Schritt ist etwas anders. Hier ist es glatt, dann kommen hier die Kanten. Das kann man eigentlich gar nicht beschreiben, man hat einen ganz anderen Bezug."
    Und zwar nicht nur zur Umwelt, sondern auch zum eigenen Körper. Der durch die nackten Füße ohnehin ganzheitlich profitiere, wie Lotzkat erzählt. Ihm sei nun nämlich grundsätzlich wärmer.
    "Das geht durch Kreislauf, Blutzirkulation. Das ist mir erst viel später aufgefallen: Ich habe früher immer eine Mütze auf dem Kopf gehabt."
    Frank Lotzkat streicht über seine Vollglatze. Erkältet sei er dennoch fast nie, erzählt er. Gefährlich sei gelegentlich nur das, was da so auf der Straße herumliegt. Steinchen zum Beispiel.
    "Erst mal geht man aufmerksamer. Man guckt besser. Nur die ganz Kleinen, die man gar nicht spürt. Erst wenn sie sich nach Stunden oder Tagen durch die Haut bewegt haben – das ist dann schon mühsam. Streugut ist übrigens das Übelste beim Barfußgehen. Dieses Salz und diese Körnchen, dieses Gemisch – das frisst sich in die Haut."
    Steine der ganz anderen Art werden Lotzkat hingegen manchmal in öffentlichen Einrichtungen in den Weg gelegt:
    "Flugzeug, Schiff: So kommen Sie hier nicht rein, Sie müssen Schuhe anziehen - In den allgemeinen Beförderungsbedingungen steht nix von nackten Füßen. Ja, ich setze mich durch. Was sollen die auch machen, ich habe keine Schuhe dabei. Und die haben auch keine in meiner Größe."
    Frank Lotzkat schmunzelt, als er sich an die Situation erinnert. Er ist aber ganz froh, dass es an den Orten seines Alltags keinen Stress gibt:
    "Ich gehe zum Bäcker, zum Aldi, zum Edeka, zum Baumarkt. Da gibt's überhaupt keine Probleme. Bei Budnikoswky zum Beispiel, da kennen die mich schon mit dem Namen. Bin da fast schon bekannt wie ein bunter Hund – da bin ich so reingeraten."
    Dabei sei es ihm immer schon eher unangenehm gewesen, über die nackten Füße aufzufallen, erzählt Lotzkat. Oftmals würde er aber auch bewundert – gerade, wenn Passanten ihn ansprächen:
    "Das höre ich auch oft: Finde ich ja toll, finde ich ja mutig!"
    Allerdings manchmal eben auch das Gegenteil ...
    "Komischer Typ! Schon n bisschen spinnert, ne."
    Auch für obdachlos oder verwirrt habe man ihn schon gehalten. Alles aber definitiv kein Grund für Frank Lotzkat, das Barfußgehen wieder sein zu lassen:
    "Die Vorstellung, mir Schuhe anzuziehen, ist für mich ziemlich schrecklich! Da käme ich mir eingezwängt vor. Das würde ich nur tun, wenn ich es unbedingt müsste.”
    Muss er aber ja auch gar nicht. Es sei denn, er habe irgendwann nur noch ein Bein, wie Raucher Lotzkat mit einem Augenzwinkern anmerkt. Für diesen Notfall hat er allerdings daheim sogar noch ein paar alte Schuhe aufbewahrt – in einer Kiste im Abstellraum.