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Opérette militaire oder romantische Oper

Heute geht es um Theatermusik. Ich möchte Ihnen eine französische Neueinspielung von Jacques Offenbachs Opera bouffe "La grande Duchesse de Gérolstein" (dt. Die Großherzogin von Gerolstein) vorstellen.

Von Frank Kämpfer |
    * Musikbeispiel: Offenbach - aus: "La Grande-Duchesse de Gérolstein"

    Der Anlass verschwimmt, der Feind ist besoffen gemacht und General Boum verlangt es nach vierzehn Tagen schon wieder nach Krieg. Prince Paul seinerseits ersucht Tag für Tag um die Ehe, Baron Grog ist schön und vergeben und Fritz hat allein die Bäuerin Wanda im Sinn. - Ihr, die sich gern und viel zu schnell in Uniformierte verliebt, bleibt vom ganz großen Glück nur ein Traum.

    La Grande-Duchesse, die Großherzogin des Kleinst-Staates Gérolstein, Hauptfigur in Jacques Offenbachs gleichnamiger Bouffonerie, präferiert Illusionen und regiert absolut und impulsiv - so wie es ihrer Laune beliebt. In diesem Fall ist es der Bauernsohn Fritz, der in ihre Fänge gerät. Selbiger, zunächst und zuletzt Grenadier, wird von ihr in atemberaubender Eile zum Hauptmann erhöht, ja zum Armeegeneral und ebenso schnell fällt er zurück. Denn Fritz liegt nur wenig an Rängen, Lametta und der Liebe einer kindischen Staatslenkerin - er bleibt standhaft: sowohl in der für ihn siegreichen Schlacht wie in der Treue zu Wanda, die ihn am Ende verschmäht.

    Aufstieg und Fall eines Außenseiters - auf diese Formel wäre das Stück schnell gebracht. Wäre da nicht die Musik, die jedem ihren Rhythmus aufzwingt, dabei die Figuren verdoppelt und konterkariert und die zentrale Botschaft ausspricht: alle im Stück sind von Lüsten und Trieben beherrscht, sind gierig nach Liebe und Glück, lassen sich aber von Äußerlichkeiten verführen und kommen so niemals zu sich:

    * Musikbeispiel: Offenbach - aus: "La Grande-Duchesse de Gérolstein"

    Soweit Francois de Roux mit seinem Auftrittsschlager als General Boum, begleitet vom Grenobler Orchester Les Musiciens du Louvre samt Chor. Marc Minkowski am Pult bevorzugt einen frechen, schmissig-theatralischen Ton, vor allem wenn’s ums Politische geht.

    Wie kein anderes seiner Werke geriet "La Grande-Duchesse de Gérolstein", Offenbachs siebenundsechzigstes Bühnenstück, zur Zeit seiner Entstehung in den Sog der Realpolitik. Die komponierte Satire auf Kleinstaaterei, Militarismus und Hofschranzentum wurde bei der Pariser Weltausstellung 1867 - einem Jahrhundertereignis - aus der Taufe gehoben. Europas Könige und Fürsten erlebten und bejubelten das Stück - Jahre darauf waren die meisten von ihnen untereinander in Kriege verwickelt. Bereits vor der Premiere hatte die Pariser Zensur Entschärfung verlangt - nach der für Frankreich militärischen Schmach von 1870/71 stand das Werk auf dem Index und war für mehrere Jahre verboten.

    Das Werk heute zu spielen, für das Theater aufzubereiten, bedeutet nicht, die historischen Spitzfindigkeiten und Satiren von einst im Original zu rekonstruieren. Sinn und Substanz resultieren vielmehr aus dem, was heute unverbraucht und unabgegolten erscheint. Die Ambivalenz der Figuren und Szenen, vielerlei musikalisch-dramatische Mehrbödigkeit. Zeigend zum Beispiel die Willkür der Macht und die Lächerlichkeit dieser Willkür, die Gefährdung des Privaten durch Ruhm und Erfolg, das Absurde militärischer Organisiertheit und das Brutale der Waffengewalt. Die Gleichzeitigkeit also von Komik und Ernst, die für jedes Theater eine enorme Herausforderung darstellt. Die Präzision musikalischer Dramaturgie, nicht zuletzt der Drive der Musik schlechthin.

    Vorliegende Doppel-CD von Virgin Classics führt eindrücklich vor, wie all dies auch ohne bildliche Ebene glaubhaft umsetzbar ist. Man beachte dazu neben den Musiknummern auch deren Wechselwirkung mit den gesprochenen Szenen. Für Sopranistin Felicity Lott in der Titelpartie und Tenor Yann Beuron (Fritz) muss die Einstudierung der folgende Szene des 2. Akts eine Herausforderung und zugleich ein Heidenspaß gewesen sein - denn die Werbung der Gräfin um ihren blutjungen Soldaten erfordert eine sehr spezielle Mischung aus Gesangskultur und Darstellungskunst, um echte Sehnsucht, Verärgerung über Störungen durch das Personal, das Bewusstsein standesgemäßer Macht und die daraus folgende Fehleinschätzung der Lage in einem zu artikulieren.

    * Musikbeispiel: Offenbach - aus: "La Grande-Duchesse de Gérolstein"

    Opérette militaire oder romantische Oper - Offenbach-Forscher und Herausgeber Jean-Christoph Keck stellt die Gattungsfrage in seinem Booklet-Text nicht ohne Berechtigung. Vorliegende CD-Einspielung, die in Zusammenarbeit mit dem Theatre Musical de Paris Chatelet im Dezember 2004 entstand, basiert auf einer kritischen Neuausgabe, die ihrerseits auf sämtlichen Autographen, Skizzen, sowie den von der Zensur seinerzeit in Wien und Paris genutzten Libretti beruht. Die hiermit rekonstruierte Urfassung lässt so auch Nummern erklingen, die Offenbach sofort nach der Premiere im April 1867 zurückzog und ob deren Präsenz sich - so Keck - der Gesamteindruck von der Militär-Parodie zugunsten anderer Momente verschiebt.

    Deutlich wird dies vor allem im zweiten Finale, in dem Fritz seine Förderin, die liebeshungrige Großherzogin vor versammelter Mannschaft düpiert - indem er seine Verlobte zur Frau nimmt, die Bäuerin Wanda. La Grande Duchesse läutet zur Rache und stimmt eine höchst bemerkenswerte Musiknummer an, die in bisherigen Notenausgaben fehlte: "Le Carillon de ma Grandmére". Das alte Glockenspiel der gräflichen Großmutter ist zum einen das Zeichen für die Verschwörer, die Hochzeitsnacht zu stören. Zum anderen bietet die Musik ersatzweise Halt für die Geschmähte, ein Sich-Vergewissern der Tradition sozusagen - sie beginnt verträumt, um schließlich situationsmalerisch aus dem Rahmen zu gehen.
    * Musikbeispiel: Offenbach - aus: "La Grande-Duchesse de Gérolstein"

    Jacques Offenfach - "La grande Duchesse de Gérolstein"
    Felicity Lott, Sopran
    Yann Beuron, Tenor u.a.
    Chor +Orchester: Les Musiciens du Louvre
    Leitung: Marc Minkowski
    Label: Virgin classics
    Bestellnr.: 7243 5 45734 2 2 7873