Opposition
"Politik der Scheinreformen"

22. Oktober 1989. Der Telegraf, Zeitschrift der oppositionellen Ost-Berliner Umweltbibliothek, zur angeblichen Wende in der SED-Politik:

    "Es war schon überraschend, in der Aktuellen Kamera vom Samstag Abend zu sehen, wie in Berlin Stadtparteichef und Politbüromitglied Schabowski auf Demonstranten zuging, um mit ihnen zu sprechen, oder wie in Leipzig am Sonntag die Bürgerversammlung zu beobachten, auf der alles gesagt werden konnte und zum Abschluss zu einer Versammlung auf dem Karl-Marx-Platz geladen wurde.

    Es kommen viele wohl klingende Versprechungen, insbesondere zu besseren Reisemöglichkeiten, und der FDGB-Vorsitzende Tisch fordert, dass doch Gewerkschaften nun Interessenvertretungen der Werktätigen werden müssten.

    Es klingt alles wunderschön, aber ein Grundsatz wird immer eingehalten: So zu tun, als sei vorher nichts gewesen. Und die DDR-Medien erfreuen den Bürger mit angeordneter Offenheit. Nirgendwo jedoch gab es nur einen konkreten glaubwürdigen Schritt. Immer noch laufen Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten und sind Urteile in Kraft. Nirgendwo durften die für den Dialog abgestellten Kommunalpolitiker die Opposition als solche akzeptieren. Man sagt es ja ganz offen, dass es wichtig ist, die Menschen von den Demonstrationen weg zu bekommen, um die weitere Entwicklung der schon vorhandenen Solidarstrukturen zu bremsen.

    Die Opposition muss die Politik der Scheinreformen und reinen Volksberuhigung versuchen zu durchkreuzen, indem sie unter anderem den jetzt so eifrigen ‚Wende'- Politkern die offenen Rechnungen aus ihrer Vergangenheit präsentiert."