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Otto Jägersberg: "Die Frau des Croupiers"
"Man schämt sich sein ganzes Leben für sein Schrei­ben"

Otto Jägersberg lässt seine Leser gerne mal warten. Sein Buch "Die Frau des Croupiers" ist der erste größere Prosaband des Schriftstellers seit über 30 Jahren. Seine Texte: immer geistreich und unterhaltsam – eine nicht allzu häufige Mischung in der deutschsprachigen Literatur. Nun feiert der gebürtige Westfale seinen 75.Geburtstag.

Von Matthias Kußmann | 19.05.2017
    Schriftsteller und Filmemacher Otto Jägersberg liest am 13.03.2017 in Köln auf der Lit.Cologne, dem interationalen Literaturfest.
    "Man schämt sich sein ganzes Leben für sein Schreiben, Schreiben ist Schämen", sagt der Schriftsteller und Filmemacher Otto Jägersberg. (imago/Horst Galuschka)
    "Bayreuth: Sein Festspielhaus sollte nur perfekt sein, nur Festspielhaus. Richard Wagner ließ als Architekten den Deutschen Geist kommen. Der deutsche Geist war sein Baumeister. Noch im Zweiten Weltkrieg bombardierten amerikanische Bomberpiloten das Festspielhaus nicht, weil sie es für eine Brauerei hielten. Sieger brauchen Bier. Das hatte der Deutsche Geist mit einkalkuliert." (Zitat)
    Eine kleine hintergründige Geschichtsstunde oder -minute von Otto Jägersberg – aus seinem neuen Buch "Die Frau des Croupiers". Es ist sein erster größerer Prosaband seit über 30 Jahren. Doch an lange Wartezeiten sind Jägersberg-Leser gewöhnt. Auf seinen jüngsten Gedichtband, der vor zwei Jahren erschien, mussten sie fast genauso lang warten. Der Autor bedient keinen Markt; wenn er Lust hat, bringt er hie und da einen bibliophilen Band mit einer handvoll Texten heraus, das genügt ihm. Die Kehrseite davon ist freilich, dass sein Werk viel zu wenig Leser hat. Umso schöner, dass der Diogenes Verlag seinem Autor seit über 50 Jahren die Treue hält. - Otto Jägersberg wuchs im westfälischen Hiltrup auf. Otto Jägersberg:
    "Die ersten Schuljahre verbrachte ich in einem Wirtshaus, (…) weil alles zerstört war, auch das Schulhaus. So wurde in einer Gaststätte – im Festsaal wurden sechs oder sieben Klassen unterrichtet auf einmal. Später kam ich dann nach Münster in die Realschule, und dann hab ich eine Lehre in Münster gemacht als Buchhändler. (…) Schnell hab ich mich davongemacht, es interessierte mich da nicht so, zu bleiben. (…) Ich bin nach Berlin gegangen." (Zitat)
    Vom Berliner Kudamm über Zürich nach Stierstadt
    Jägersberg arbeitete in der legendären Buchhandlung von Marga Schöller am Kurfürstendamm. Später wechselte er in ein Antiquariat in Zürich, dann zur Eremitenpresse nach Stierstadt. 1964 erschien sein Debüt "Weihrauch und Pumpernickel", das den erst 22-Jährigen bekannt machte – ein wortgewaltiger Schelmenroman über eine Jugend in Westfalen, der jetzt bei Diogenes neu aufgelegt wurde.
    Nach einem zweiten Roman begann Jägersberg fürs Fernsehen zu arbeiten. Er schrieb Drehbücher für eine zeitkritische WDR-Serie, dann Fernsehspiele und Dokumentationen für den Südwestfunk. 1975 kehrte er für einige Jahre mit Gedichten, Romanen und Erzählungen zur Literatur zurück. Dann ging er wieder zum Fernsehen, publizierte nur vereinzelt bibliophile Drucke. Seit Jahrzehnten lebt er in der Kurstadt Baden-Baden. Der Autor Otto Jägersberg:
    "Ich habe das Glück, in dem Alten Dampfbad von Baden-Baden zu wohnen. Nur ist die Wohnung ziemlich klein – deswegen auch die Bücher oben unterm Dach..." (Zitat)
    Otto Jägersbergs neues Buch hat keine Gattungsbezeichnung. Am ehesten könnte man die Sammlung von Erzählungen, Anekdoten und Grotesken, Wort- und Gedankenspielen "Kalendergeschichten" nennen, in der Nachfolge von Hebel und Brecht. Otto Jägersberg:
    "Eigentlich ist es ein unterhaltendes Buch, ein Prosa-Magazin, das man so durch die Jahreszeiten durchblättern kann. (…) Es ist keine große Theorie dahinter. Außer dass ich doch den Leuten etwas präsentieren möchte, von dem ich denke, dass meine Art zu erzählen, ob kurz oder lang, ihr Interesse wecken könnte – oder sie zu unterhalten vermag, sonst könnte ich das gar nicht schreiben." (Zitat)
    Unterhaltsam sind die Texte allemal, oft sehr komisch, mit Themen aus verschiedensten Gebieten. Der Volksschriftsteller Ganghofer etwa trifft Ludwig den Zweiten, oder Kafka kommt einmal fast bis nach Baden-Baden. Jägersberg geht von knappen historischen Fakten aus, die Begegnung von Ganghofer und Ludwig gab es wirklich. Die Details aber spinnt er aus, je grotesker, je lieber. In anderen Geschichten geht es um Menschen im Supermarkt, richtiges und falsches Trinken, Kakerlaken, Buttermilch oder Kartoffelsuppe. Der Autor notiert Alltagsbeobachtungen, gibt ihnen dann aber eine plötzliche Wendung, und Gewöhnliches erscheint in neuem Licht. Jägersberg spielt mit Fallhöhen – sehr zum Vergnügen der Leser.
    Schreiben als Akt göttlicher Dimension
    "Man schämt sich sein ganzes Leben für sein Schreiben, Schreiben ist Schämen. Das ist ja ein Akt, den man sich da aneignet, der eine göttliche Dimension hat. Etwas ausdrücken zu wollen, das man nur selbst kann. Die Worte so zusammensetzen, die Atmosphäre zu schaffen, als sei das allen anderen verwehrt, und als müsste das unbedingt allen mitgeteilt werden ..." (Zitat)
    Sagt der Autor bescheiden. Doch es ist schon gut, dass er uns seine neuen Geschichten "mitgeteilt" hat. Drum zum Schluss noch eine der schönsten, die geradewegs in den Vatikan führt:
    "Arbeitsstelle: Arbeitete in einem Raum mit dem Papst und einem Mann im dunklen Anzug zusammen. Der Papst telefonierte dauernd, und ich musste seine Akten einräumen. Der Mann im dunklen Anzug beobachtete spöttisch den gerade mit Polen telefonierenden Papst und zwinkerte mir zu. Seine Funktion in dem Büro war unklar. Bis ich Begriff, es war Gott." (Zitat)
    Otto Jägersberg: "Die Frau des Croupiers"
    Prosa. Diogenes Verlag. Zürich 2016
    240 Seiten. 20 Euro