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Paragraf 175
Verurteilte Homosexuelle sollen rehabilitiert werden

50.000 Männer wurden in der Bundesrepublik wegen ihrer Homosexualität bis zur Abschaffung des Paragrafen 175 verurteilt. Mehr als 20 Jahre danach sollen die Männer rehabilitiert und entschädigt werden. "Der Staat hat Schuld auf sich geladen", sagte Bundesjustizminister Heiko Maas.

11.05.2016
    Verurteilte Homosexuelle sollen rehabilitiert und entschädigt werden.
    Verurteilte Homosexuelle sollen rehabilitiert und entschädigt werden. (imago stock & people)
    Die Urteile gegen mehr als 50 000 Männer sollen aufgehoben werden. Ein Rechtsgutachten, das die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) am Mittwoch vorlegte, soll dabei "berücksichtigt" werden. "Der Staat hat Schuld auf sich geladen, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert hat. Der Paragraf 175 war von Anfang an verfassungswidrig", teilte Maas mit. "Diese Schandtaten des Rechtsstaats werden wir niemals wieder ganz beseitigen können", sagte Maas, "aber wir wollen die Opfer rehabilitieren."
    Geschichte des Paragrafen

    Der Paragraf 175 StGB, der in verschiedenen Tatbeständen bis 1994 "Unzucht" zwischen Männern unter Strafe stellte, geht auf die Constitutio Criminalis Carolina aus dem Jahr 1532 zurück. Seither wurden sexuelle Handlungen zwischen Männern in vielen deutschen Landesverfassungen unter Strafe gestellt.

    Die Nationalsozialisten verschärften die Strafen für homosexuell lebende Männer - Homosexualität zwischen Frauen fand keinen Niederschlag im Strafgesetz. In der Bundesrepublik Deutschland galt der Paragraf 175 ab 1949 zunächst in unveränderter Form weiter. Bis zur Entschärfung 1969 wurden nach Schätzungen rund 50.000 Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, danach noch einmal etwa 3500. Im Volksmund wurden Homosexuelle gelegentlich "175er" genannt, der 17.5. als "Feiertag der Schwulen" tituliert.

    Bis 1994 galt der Paragraf. In der DDR wurde er bereits 1968 abgeschafft. Im Jahr 2002 wurden die Opfer des Paragrafen 175 aus der NS-Zeit rehabilitiert, nicht jedoch die Verurteilen der bundesrepublikanischen Geschichte.
    Aufhebungsgesetz soll Einzelfallprüfung unnötig machen
    "Die mehr als 50.000 Opfer sind durch Verfolgung und Verurteilung im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden", sagte ADS-Leiterin Christine Lüders. "Diese Ungerechtigkeit darf der Gesetzgeber nicht länger hinnehmen."
    Das Gutachten des Münchener Staatsrechtlers Martin Burgi empfiehlt die kollektive Rehabilitierung der Betroffenen durch ein Aufhebungsgesetz. Dies würde es den Opfern ersparen, in einer Einzelfallprüfung erneut mit der entwürdigenden Verletzung ihrer Intimsphäre konfrontiert zu werden. Die Entschädigung soll über einen Fonds organisiert werden. Burgi sprach von einem "Strafmakel".
    LSVD: Die Zeit drängt
    Der Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes, Axel Hochrein, sagte, die Bundesregierung könne sich nicht länger hinter Scheinargumenten verstecken, wonach eine Aufhebung der Urteile rechtlich nicht möglich sei. Das "Unrecht, das im Namen der Bundesrepublik Deutschland erfolgte", müsse noch in dieser Legislaturperiode ausgeräumt werden. "Die Zeit drängt, damit Opfer der Homosexuellenverfolgung noch die Aufhebung der Unrechtsurteile und die Wiederherstellung ihrer Würde erleben."
    Der Grünen-Bundestagabgeordnete Volker Beck sagte: "Wenn die große Koalition schon die Gleichstellung von Homosexuellen verhindert, kann sie wenigstens die Opfer der Homosexuellenverfolgung in Deutschland endlich rehabilitieren und entschädigen."
    (nch/tzi)