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Pelota Mixteca

Für die Maya war es vor Tausenden von Jahren ein Orakel. Für ihre Nachkommen - besonders im Süden Mexikos - ist es heute ein intelligenter Ballsport, aber vor allem auch ein kulturelles Erbe, das sie mit großem Stolz pflegen: "pelota mixteca".

Von Camilla Hildebrandt |
    "Mein Name ist Manuel Javier Pascual, ich bin der Sohn der berühmten "Cousins", der berühmtesten pelota mixteca-Spieler hier. Sie haben mir diesen Sport weitervererbt, den ich heute mit Stolz pflege. Ich spiele seit 50 Jahren."

    Manuel und seine Freunde treffen sich jeden Sonntag Morgen zum pelota mixteca spielen. Ihr Feld ist eine mit Kreide markierte Fläche, rund 100 Meter lang und zehn Meter breit. Es liegt auf einem Privatgrundstück außerhalb der Stadt Oaxaca, keine 200 Meter von der Schotterstraße entfernt. Daneben: ein Schaf-Stall, dessen Bewohner nur mäßig begeistert sind über den Besuch.


    "Dieser Sport ist autonom, unsere Ausrüstung, unsere Bälle, die Kosten für Reisen, das zahlen wir alles selbst. Wir bitten niemanden um etwas. Denn für uns ist pelota mixteca ein Ritual, etwas Mystisches. Früher spielte man es hier täglich."

    Es ist kurz nach zehn. Die Ersten sind schon mitten im Spiel. Manuel schnallt sich seinen Guante an die rechte Hand – einen rund fünf Kilo schweren, bunt verzierten Handschuh – und stellt sich an den Spielfeldrand. Jeder trägt dieses dicke Leder-Kunstwerk mit eingestanzten Nägeln. Denn damit wird der Ball zum Gegner geschlagen.

    Begonnen wird jeder Satz von der Mannschaft links, erklärt Manuel, und zeigt auf eine runde Steinplatte.

    "Das ist der "saque". Da lässt man den Ball darauf fallen und schlägt ihn dann mit dem Handschuh ins Feld der Gegner. Sie heißen el resto - der Rest"

    Der Ball springt wie ein Flummi, ist aus Hart-Gummi und muss nun, ähnlich wie beim Tennis, vom nächststehenden Gegner pariert werden.

    Jetzt haben sie ihn verloren, stöhnt Manuel, weil er auf der Linie gelandet ist!

    Kommt der Ball zwei oder mehrere Male auf dem Boden oder außerhalb des Spielfeldes auf, markiert der Schiedsrichter dort eine raya, eine Linie. Sie ist nun die neue Trennlinie zwischen den beiden Mannschaften, über die der 900 Gramm schwere Ball aus Hule, vulkanisiertem Kautschuk, hinweggeschlagen werden muss.

    "Die Herrscher Nahuas spielten das juego de pelota, um ihre Macht zu demonstrieren. Berühmt ist das Spiel zwischen Xihuiltémoc, der Herr von Xochimilco, und dem huey tlatoani Axayácatl, welcher, als er das Spiel verlor jemanden schickte, um den anderen zu töten."

    "Das sind die Punktzahlen, und wenn man drei Sätze gespielt hat, ist das Spiel komplett",

    erklärt einer der jüngsten Spieler heute auf dem Feld, der elfährige Gerardo. Zusammen mit seinen Freunden hat er erst vor zwei Monaten angefangen dieses Jahrtausende alte Ballspiel auszuprobieren.

    "Es wurde hier schon gespielt, bevor die Spanier kamen. Und auf dass es nicht verloren geht, müssen wir damit weitermachen."

    Die Regeln und die Praxis erlernen sie von ihren Vätern oder Großvätern – so wird das Spiel seit Generationen weitergegeben. Ihre Handschuhe wiegen gerade mal drei Kilo, etwas mehr als die Hälfte eines Erwachsenen-Guantes, erklärt der 45-jährige Leobardo.

    "Ich bin Leobardo Pacheco Vasquez, der Hersteller des Guante in Oaxaca, Mexico und auf der ganzen Welt"

    Ehrlich, sagt Leobardo strahlend! Außer ihm gäbe es niemanden weltweit, der den Guante herstelle. Einen Monat brauche er für die Fertigstellung dieses Prachtstückes, sagt er.

    "Pelota mixteca spielte man ehemals nur mit der bloßen Hand. Aber mein Großvater Daniel Pacheco Ramírez war Fleischer, und hatte sich an der Hand verletzt. Also suchte er nach einer Art Handschutz, denn er hatte ein sehr wichtiges pelota-Spiel vor sich. Er schnitt also aus seinem Pferdesattel zwei Stück Lederlappen heraus und nähte sich daraus einen Handschutz. Das war 1911, er war also der Erfinder des "Guante"

    "Auf dem Weg nach Sibalba spielten sie Ball, als es Hun Kane und Wuqup Kame, die Herrscher von Silbalba, gleich vernahmen. "Was geschieht denn auf der Erde? Wer sind jene, die sie erschüttern und die lärmen? Man gehe und bringe sie hierher, damit sie kommen, Ball zu spielen und wir sie besiegen!"

    Wann dieses Ballspiel zum ersten Mal gespielt wurde, ist heute nicht ganz einfach zu beantworten. Der Historiker Guillermo Marín schaut auf das Spielfeld seiner Vorfahren in den Ruinen von Monte Albán.

    Diese Tempelstadt war einst ein Ort der Wissenschaft und Zeremonien, und gilt heute eins der ältesten religiösen Zentren der Zapoteken.
    Ca. 500 bis 100 vor Christus war ihrer erste Blütezeit. Monte Albán liegt zehn Kilometer entfernt von Oaxaca Stadt, auf einer abgeflachten Bergkuppe in 1500 Meter Höhe über dem Meeresspiegel.

    "Wir sprechen hier von mehreren tausend Jahren, in welchen dieses Spiel existierte. Das heißt Mexiko hatte drei zeitliche Etappen: die Präklassik, die Klassik, die glanzvolle Zeit, und die Dekadente. Sie endet mit der Eroberung durch die Spanier 1521. In allen drei Etappen existierte dieses Spiel, aber je nach Zeit und Kultur hieß es anders und wurde anders gespielt."

    Heute existieren noch rund 1500 Spielfelder in Mittelamerika, von Zentralmexiko bis Honduras. Manche sind in alten Ruinen, andere liegen im Zentrum eines Dorfes und werden nach wie vor bespielt.
    Die Art und Weise "juego de pelota" zu spielen ist auch heute noch sehr unterschiedlich.

    "In der Mitte des Spielfeldes war eine Linie und es gab zwei Steine, die wie ausgehöhlte Mühlsteine aussahen. Derjenige, der den Ball dort hinein traf, gewann das Spiel",

    schrieb 1569 der spanische Missionar Fray Bernardino de Sahagún, einer der berühmtesten Chronisten, über die Völker "Neu-Spaniens".

    "Sie spielten aber nicht mit den Händen, sondern sie stießen den Ball mit den Gesäßbacken weg.Zum Schutz trugen sie um die Lenden einen Lederschutz."

    Das Ballspiel gab es ehemals auf drei Ebenen. Auf dem höchsten Niveau erfüllte es die Funktion eines Orakels, meint Guillermo Marín und zeigt nach unten auf das Spielfeld der Ruinen von Monte Albán. Es ist von rund drei Meter hohen Steinwänden gesäumt, welche stufenförmig nach oben zulaufen.

    "Dort verband man die irdischen Fragen mit den Göttlichen. Das heißt das Spielfeld war ein Modell des Kosmos, wo entweder fünf gegen fünf oder eins gegen eins spielten. Es ging immer um ein "Ja" oder um ein "Nein" auf wichtige Fragen. Wie zum Beispiel um neue Forschungsansätze."

    Auf einer zweiten Ebene wurde das Ballspiel als religiöse Zeremonie zu Ehren der verschiedenen Gottheiten verstanden. Miniaturmodelle eines Spielfeldes aus Stein, die den Gräbern als Opfergabe beigelegt wurden, zeugen davon.

    "Auf religiösem Niveau wurde als lebende Metapher benutzt für die Schöpfung und die Ordnung der Welt."
    Das juego de pelota als Metapher für den Kampf zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, Himmel und Erde!

    Pelota mixteca - das sei übrigens immer schon ein Ehrenspiel gewesen, erzählt Fidel Salazar Rosales, und zieht seinen Handschuh aus. Fidel ist der Präsident der autochthonen Sportarten Oaxacas, eine Gesellschaft, die vor 17 Jahren gegründet wurde.

    "Auf dass es weh tut, muss man für jedes Spiel etwas geben, also einen Wetteinsatz. Heute spielt man so um 100 Pesos."

    Früher habe man um viel mehr Geld gespielt, meint Manuel, der auch gleich der jüngeren Generation das Spielfeld überlassen wird.


    "Damals gab es auch noch Mäzene, und da wurde dann um Tausende Pesos gespielt. Wann? Na, noch in den 70ern."

    Und es gab hier auch kein Fest, ohne dass pelota mixteca gespielt wurde, auf regionaler und nationaler Ebene. Na ja, heute ist es vor allem regional wichtig, weil es auf Nationaler Ebene vom Fußball und Basketball verdrängt wurde."

    Rund 3000 bis 5000 aktive Spieler zählt Fidels Gesellschaft in der Region Oaxaca. Und in ganz Mexiko wird pelota mixteca in sechs Staaten praktiziert. Außerdem seit 30 Jahren auch in den USA, fügt der geborene Oaxaqueño voller Stolz hinzu.

    "Die ersten, die nach Amerika rüber gegangen sind, haben den Guante eingewickelt und in ihrem Gepäck versteckt und so den Rio Bravo – die Grenze zwischen den USA und Mexiko – überquert. (19) Seit 13 Jahren gibt es auch einen sportlichen Austausch mit den Spielern dort. Überall wo es Oaxaqueños gibt, wird pelota mixteca gespielt. Das ist etwas, was wir wie einen Chip in unseren Genen tragen."