Dienstag, 19. März 2024

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Pflegebedürftig
Kann man den Sicherheitsdateien des Bundes noch trauen?

Wurden 32 Journalisten zu Recht von der Berichterstattung über den G20-Gipfel in Hamburg ausgeschlossen? Ob die Betroffenen ein Sicherheitsrisiko darstellen, entscheiden die Behörden mithilfe von Dateien, deren Qualität Datenschützer immer wieder kritisieren.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 22.07.2017
    Rückseite der G20-Akkreditierung eines Journalisten
    Auch eine solche Akkreditierung half den betroffenen Journalisten nicht, aufs Tagungsgelände zu kommen. (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
    Manfred Kloiber: Der Sprecher des Bundesministeriums des Inneren, Tobias Plate, sagte vor einer Woche in der Bundespressekonferenz: "Es wird am Ende nie eine Liste geben, wo drauf steht: 29-mal richtig, dreimal falsch, oder von mir aus 32-mal richtig, keinmal falsch. Das liegt in der Natur der Sache, dass das nicht das Ergebnis am Ende sein kann."
    Und er wollte mit dieser Äußerung "Erwartungsmanagement" betreiben, wie er das selbst nannte, nämlich die Erwartungen der Journalisten dämpfen, dass bald aufgeklärt werde, ob 32 Journalisten zu Recht oder zu Unrecht von der Berichterstattung über den G20-Gipfel in Hamburg ausgeschlossen worden sind. Peter Welchering, Sie haben die Geschehnisse rund um den Entzug der Akkreditierung verfolgt. Warum dämpft der Ministeriumssprecher die Erwartungen hier so?
    Peter Welchering: Ich vermute, dass Tobias Plate die Datenqualität der Sicherheitsdateien des Bundes einfach ganz gut einschätzen kann. Denn dem Entzug der Akkreditierung lag ja eine Zuverlässigkeitsprüfung der Journalisten zugrunde. Die hat das BKA vorgenommen und dafür die Sicherheitsdateien der Polizeien des Bundes und der Länder, der Verfassungsschützer und des BND abgefragt.
    Die Datenqualität und die Datenverarbeitung von Informationen aus diesen Dateien sind zumindest während der vergangenen zehn Jahre von den Datenschützern immer wieder kritisiert worden, öffentlich, in Tätigkeitsberichten. Auf Sicherheitstagungen gab es erheblich Diskussionen darüber. Und als ich mir von BKA-Mitarbeitern erläutern ließ, was denn da bei diesen Zuverlässigkeitsprüfungen zum G20-Gipfel schief gelaufen ist, kam die lapidare Antwort: Dass und welche Eintragungen zu den 32 Journalisten vorlagen in den Sicherheitsdateien, war dem Bundespresseamt und auch dem Innenministerium schon lange vor dem Gipfel bekannt.
    "Da stehen unbescholtene Bürger in einer Straftäterdatei"
    Allerdings lautete die Einschätzung erfahrener Kriminalisten: Hängt es mal nicht so hoch, das sind wenig aussagekräftige Erkenntnisse. Die Sicherheitslage wurde am Donnerstagabend im Innenministerium schlechter bewertet, weil nämlich die Ereignisse rund um die Demonstration "Welcome to Hell" aus dem Ruder gelaufen waren. Und da haben wohl die schwachen Nerven zugeschlagen, und die Akkreditierungen wurden entzogen.
    Das Problem sind die Sicherheitsdateien des Bundes. Da stehen unbescholtene Bürger in einer Straftäterdatei. Da werden falsche Verknüpfungen hergestellt. Da kann nicht mehr nachvollzogen werden, woher bestimmte Erkenntnisse stammen und warum bestimmte Eintragungen vorgenommen worden sind.
    Kloiber: Zur Datenqualität bei den Sicherheitsdateien von BKA, Verfassungsschutz und Co, aber auch zur Datenbanktechnik haben uns zahlreiche Einschätzungen auch von Insidern erreicht. Wir haben hier die kritischen Punkte zusammengestellt, allerdings nur aus öffentlich zugänglichen Quellen, wie etwa den Tätigkeitsberichten der oder des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit.

    Abenteuerliche Analysen

    "Unglaublich, aber wahr! Demonstranten als gewaltbereite Extremisten erfasst."
    So lautet die Überschrift des Kapitels 5.13.8 des Tätigkeitsberichts der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Jahre 2013 und 2014. Die Datenschützerin hatte eine gemeinsame Projektdatei von Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz geprüft. Ihr Urteil:
    "Dabei musste ich schwerwiegende Rechtsverstöße feststellen. Denn das BfV hatte eine Vielzahl von Personen gespeichert, die bei einer Anti-Atomkraft-Demonstration lediglich ihr Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ausgeübt hatten. Dies ist rechtswidrig."
    Kernkraftgegner mit Linksextremismus assoziiert
    Natürlich sind die Datenschützer der Frage nachgegangen, wie denn die unbescholtenen Bürger in die Sicherheitsdatei geraten konnten. Denn diese Bürger hatten doch nur von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht, um mit einer Demonstration auf die Risiken der Kernenergie aufmerksam zu machen.
    "Das BMI hat in seiner Stellungnahme zu meinem Prüfbericht gleichwohl einen Zusammenhang zwischen Kernkraftgegnern und Linksextremismus hergestellt. Es folgert aus der Teilnahme an einer solchen Demonstration, dass die Nutzung der Kernkraft als Ausdruck des menschenverachtenden kapitalistischen Systems kritisiert werde und dementsprechend Kernkraftgegner dieses kapitalistische System überwinden wollten."
    Der Deutschlandfunk hat Mitte dieser Woche extra noch einmal im Bundesinnenministerium nachgefragt, ob man diese Argumentation noch immer aufrechterhalte. Die Antwort:
    "Leider liegen diese Informationen im BMI nicht vor."
    Innenministerium schweigt auf Nachfragen
    Auch zu anderen Fragen der Datenqualität und zu technischen Fehlern bei der Verknüpfung und Abfrage von Daten wollte sich das Ministerium nicht äußern. Und zu Fehlern kommt es oft, beispielsweise weil grundlegende Anforderungen beim Qualitätsmanagement einfach nicht beachtet werden.
    "So habe ich immer wieder auf die fehlende Protokollierung verschiedener Dateien hingewiesen. Eine Änderung der bestehenden Praxis wurde immer wieder abgelehnt", beschwert sich Bundesdatenschützerin Andrea Voßhoff in ihrem jüngsten Tätigkeitsbericht. So rutscht dann schon einmal ein völlig unbescholtener Bürger in eine Datei mit Straftätern, weil er zur selben Zeit an der Straßenbahnhaltestelle stand wie ein Verdächtiger.
    Gegen den aber wurde das Ermittlungsverfahren längst eingestellt, weil sich auch nicht der Anschein einer Straftat ergeben hat. Voßhoff: "Problematisch war in einigen Fällen zudem, dass der Aktenrückhalt fehlte. Hier handelte es sich um Fälle, in denen die Polizeibehörden der Länder dem BKA Informationen ohne entsprechenden Aktenrückhalt übermittelt hatten."
    Beim Übertragen wird Vermutung zu amtlicher Erkenntnisse
    Auch personengebundene oder ermittlungsunterstützende Hinweise sind ein Problem. Die sollen der Eigensicherung der Polizei dienen. Und deshalb kann zum Beispiel ein Sachbearbeiter hinter einem Personennamen vermerken "politisch motivierter Straftäter" oder "gewaltbereit".
    Wandern diese oft auf bloßen Vermutungen basierenden Anmerkungen in ein anderes Datenfeld und werden in eine andere Sicherheitsdatei übernommen, wird aus der bloßen Vermutung, jemand sei ein politisch motivierter Straftäter, eine amtliche Erkenntnis.