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Pflegeversicherung soll teurer werden

Angesichts des Koalitions-Streites über die Pflegeversicherungsreform hat die bayerische Sozialministerin Christa Stewens erklärt, verbesserte Leistungen seien nicht zum Nulltarif zu haben. In den 13 Jahren des Bestehens der Pflegeversicherung seien deren Leistungen nie angehoben worden. Das wolle man nun angehen. 2015 komme es daher zur nächsten Beitragssatzerhöhung.

Moderation: Dirk Müller | 27.02.2008
    Dirk Müller: Dauerstreit über Monate garantiert bei der geplanten Reform der Pflegeversicherung. Jetzt dreht sich alles noch um die Frage von weiteren Pflegeberatungsstellen sowie um den bezahlten Pflegeurlaub. Beides will die SPD, die Union ist eher dagegen. Aber die Fraktionsspitzen, die derzeit in Bonn zusammen tagen, signalisieren nun, wir kriegen das schon hin. Heute Mittag wissen wir darüber vielleicht auch schon mehr. Einig sind sich beide Parteien hingegen längst in einem Punkt, in der Forderung nach mehr Geld. So soll der Beitragssatz steigen um 0,25 Prozentpunkte auf dann 1,95 Prozent. Eine Reform, die dazu führt, dass die Abgaben nach oben gehen, wiedereinmal. Darüber sprechen wollen wir nun mit der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens, CSU. Guten Morgen!

    Christa Stewens: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Frau Stewens, warum bedeutet Reformpolitik der Großen Koalition, es wird teurer?

    Stewens: Grundsätzlich muss man mal sehen, dass die Pflegeversicherung mittlerweile 13 Jahre alt geworden ist und dass seitdem die Leistungen in der Pflegeversicherung nie angehoben worden sind, sodass diese Leistungen natürlich einer finanziellen Entwertung, Devaluierung, unterliegen. Und vor diesem Hintergrund hat man natürlich dann gesagt, wenn man eine Reform im Bereich der Pflegeversicherung in Angriff nimmt, dann sollen auch die Leistungen verbessert werden. Man will eine Anhebung, eine schrittweise Anhebung, in drei Schritten des Pflegegeldes bei der ambulanten Pflege und dann auch bei der Pflegestufe drei und bei den sogenannten Härtefällen. Man will eine Ausweitung des Anspruchs auf Tages- und Nachtpflege, will man auf das Anderthalbfache anheben des bestehenden Satzes. Man will eine Anhebung des zusätzlichen Betreuungsbetrages für Menschen mit Demenz, mit Altersdemenz. Wir haben bislang etwa, sind da 460 Euro im Jahr gezahlt worden. Das soll angehoben werden auf 2.400 Euro im Jahr. Es soll einen Anspruch auf die Pflegeberatung geben. Es sollen Pflegestützpunkte pro 20.000 Einwohner geben. Das alles ist natürlich, um nur die wichtigsten Bereiche aufzuzählen, nicht zum Nulltarif zu haben.

    Müller: Aber, Frau Stewens, wenn man alles verbessert oder viel verbessert und das immer teurer wird, kann das künftig eine Lösung sein?

    Stewens: Na, grundsätzlich würde ich sagen, gibt es natürlich wirklich wichtige Bereiche, die wir in der Pflegeversicherung verbessern müssen. Wir müssen die Entwertung der Leistungen ein Stück weit abfedern. Wobei die Entwertung der Leistungen kommt natürlich erst ab 2015. Was ich für wichtig halte im Bereich der Pflegeversicherung, dass wir die ambulanten Strukturen wirklich ausbauen. Dann wird es nämlich insgesamt ein Stück weit menschlicher. Es wird aber auf der anderen Seite durchaus auch kostengünstiger. Denn jede stationäre Unterbringung ist natürlich insgesamt dann für die Versicherung wesentlich teurer.

    Müller: Wir reden aber im Grunde darüber, dass wir 2015 mit der nächsten Beitragserhöhung rechnen müssen?

    Stewens: Moment, wann haben Sie gesagt?

    Müller: 2015.

    Stewens: 2015 werden die nächste Beitragssatzerhöhung bekommen, nach meiner Auffassung sogar noch etwas mehr. Sie haben das ja angesprochen, die 0,25 Beitragssatzerhöhung, das macht in etwa jährliche Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden aus. Die Leistungen, die ich Ihnen aufgezählt habe, da gibt es die Berechnungen des Bundesgesundheitsministeriums, die machen dann Steigerungen von oder eine notwendige Finanzierung von 2,2 Milliarden jährlich aus. Wobei wir der festen Überzeugung sind, dass das eine chronische Unterfinanzierung bedeuten würde. Und vor diesem Hintergrund gibt es den Streit zurzeit in der Großen Koalition, über die Pflegestützpunkte und über die Pflegeberater, ob sie in dieser Form tatsächlich auch notwendig sind.

    Müller: Aber wissen das so deutlich, wie Sie es jetzt ausgesprochen haben, Frau Stewens, die Menschen im Lande, die Bürger, diejenigen, die Steuern bezahlen, die Abgaben bezahlen, dass Krankenversicherung, dass Rentenversicherung, dass Pflegeversicherung immer, immer, immer teurer wird? Wer soll das irgendwann noch bezahlen?

    Stewens: Grundsätzlich, Herr Müller, möchte ich Ihnen schon sagen, dass natürlich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung fast um 50 Prozent gesenkt worden sind. Wenn wir auf 3,2 Prozent Arbeitslosenversicherung kommen, dann haben die Steuerzahler, die mittlerweile 27 Millionen Menschen, die in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, sind um 21 Milliarden entlastet worden in der Arbeitslosenversicherung.

    Müller: Die bezahlen aber auch mehr Mehrwertsteuer?

    Stewens: Das ist richtig. Die Mehrwertsteuer ist angehoben worden. Das ist natürlich gerade auch für den Otto Normalverbraucher durchaus eine ordentliche Belastung gewesen im Bereich der Mehrwertsteuer. Aber ich möchte schon darauf hinweisen, dass gerade im Bereich der Arbeitslosenversicherung die Menschen um 21 Milliarden dann insgesamt entlastet worden sind. Bei der Pflegeversicherung denke ich schon, wenn wir verhindern wollen, dass immer mehr Menschen in die Sozialhilfe, in die Grundsicherung im Alter abgleiten, dann gilt es hier tatsächlich, auch die Leistungen zu verbessern und vor allen Dingen den Strukturwandel auf den Weg zu bringen. Den Strukturwandel, dass wir mehr ambulante Hilfsangebote dann tatsächlich auch fördern, um eine Heimunterbringung wirklich zu vermeiden, um dann auch das System insgesamt kosteneffizienter und auch menschlicher zu gestalten.

    Müller: Nun ist, Frau Stewens, die Abgaben- und Steuerbelastung in Deutschland ja nicht ein Pappenstiel, sondern es sind ja doch erhebliche Belastungen für viele Familien, für viele Bürger. Wir haben über die Pflegeversicherung gesprochen, Krankenversicherung, Rentenversicherung. Das sind zwei Versicherungen, wo auch immer mehr Geld gebraucht wird, allerdings immer weniger Leistungen zurückkommen. Ist die Pflegeversicherung das Ausnahmemodell, man muss mehr bezahlen, bekommt aber auch mehr?

    Stewens: Pflegeversicherung ist in dem Fall durchaus ein Ausnahmemodell, wobei ich aber auch gleichzeitig sagen möchte, dass im Bereich der Gesundheitsversicherung, ich denke schon, dass die Beiträge durchaus steigen werden, man muss da auch ehrlich sein, aber auch im Bereich der Gesundheitsversicherung, durch diese Gesundheitsreformen sind keine Leistungseinschränkungen vorgenommen worden. Sondern hier sind durchaus auch Leistungsverbesserungen auf den Weg gebracht worden. Wenn ich alleine an den weiten Bereich der Palliativmedizin denke, hier wird wesentlich mehr gefordert, gefördert jetzt. Wenn ich zum Beispiel an den Impfkatalog denke, der ausgeweitet worden ist. Hier sind durchaus Verbesserungen für die Patienten auf den Weg gebracht worden.

    Müller: Aber immer mehr Menschen reden davon, dass sie Zusatzversicherungen brauchen, um entsprechende Versorgungsleistungen in der Krankenversicherung nach wie vor zu bekommen.

    Stewens: Das Ganze hängt natürlich, Sie haben die Rentenversicherung angesprochen, Sie haben die Gesundheitsversicherung angesprochen, das Ganze hängt natürlich auch mit der demographischen Entwicklung unseres Volkes zusammen. Wir werden alle immer älter, das ist vom Grundsatz her etwas Schönes, darüber sollten wir uns freuen. Aber wir wissen natürlich, dass das sich insgesamt auf die Kosten der Rentenversicherung auswirkt. Wir wissen, dass das sich ebenfalls auf die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung auswirkt. Denn mit zunehmendem Alter werden wir durchaus auch ein Stück weit kränker und beanspruchen dann auch die Leistungen aus der medizinischen Versorgung stärker. Und im Bereich Pflegeversicherung haben wir natürlich hier auch dann die ambulanten Strukturen ganz anders auszubauen. Darüber muss sich die deutsche Gesellschaft durchaus ein Stück weit bewusst werden.

    Müller: Bei uns live im Deutschlandfunk die bayerische Sozialministerin Christa Stewens, CSU. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!