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Philosophie
Vor 200 Jahren starb Johann Gottlieb Fichte

Der erste gewählte Rektor der Berliner Universität ist bis heute umstritten. Die einen sehen in Johann Gottlieb Fichte einen Freidenker, die anderen einen geistigen Vorläufer des Nationalsozialismus.

Von Eva Pfister | 29.01.2014
    Das große Thema von Johann Gottlieb Fichte war die Freiheit, die Freiheit des Denkens, des Willens, der Vernunft. Die Lektüre der Schriften Immanuel Kants hatte ihn auf diese Spur gesetzt und ihm die seligsten Tage seines Lebens beschert, wie er seiner Braut Johanna Rahn schrieb:
    "Sage Deinem theuren Vater, ich sei jetzt gänzlich überzeugt, dass der menschliche Wille frei sei, und dass Glückseligkeit nicht der Zweck unseres Daseins sei, sondern nur Glückwürdigkeit."
    In seiner "Wissenschaftslehre" ging Fichte über Kants aufklärerische Erkenntnistheorie noch hinaus: Die Freiheit des Ichs erträgt für ihn kein darüberstehendes "Ding an sich". Das Absolute liegt für Fichte im Bewusstsein des Menschen selbst als entscheidende Instanz seines Erkennens und Handelns. An seinen Freund Jens Baggesen schrieb Fichte:
    "Mein System ist das erste System der Freiheit. Wie die französische Nation von den äußeren Ketten den Menschen losreißt, reißt mein System ihn von den Fesseln der Dinge an sich, des äußeren Einflusses los und stellt ihn, in seinem ersten Grundsatze, als selbständiges Wesen hin."
    In der Philosophiegeschichte hatte dieser "subjektive Idealismus" nicht lange Bestand. Dass Fichte dennoch eine große Wirkung erzielte, lag an seinem Temperament, wie schon Heinrich Heine 1834 erkannte:
    "Wenn auch der ganze Transzendentalidealismus ein Irrtum war, so lebte doch in den Fichteschen Schriften eine stolze Unabhängigkeit, eine Freiheitsliebe ... Fichtes Ich war ganz übereinstimmend mit seinem unbeugsamen, hartnäckigen, eisernen Charakter."
    Der kämpferische Geist Johann Gottlieb Fichtes ist leicht aus seinem unruhigen Leben zu erklären. Er wurde am 19. Mai 1762 als Sohn eines Bandmachers in der Oberlausitz geboren. Schon als Kind fiel er durch seine Intelligenz auf; er konnte die Predigten des Pfarrers mühelos wiedergeben. Ein Adliger ermöglichte ihm den Besuch der Fürstenschule Pforta bei Naumburg, danach studierte Fichte in Jena und Leipzig Theologie. Als sein Gönner starb, musste er als Hauslehrer arbeiten und brach das Studium ab. Ein Zufall half ihm weiter. Seine Schrift "Versuch einer Kritik aller Offenbarung", die 1792 anonym in Königsberg erschien, wurde allgemein Immanuel Kant zugeschrieben. Als der berühmte Philosoph den Irrtum aufklärte, war Fichte auf einen Schlag bekannt und erhielt eine Professur in Jena. Seine Vorlesungen waren besonders lebendig und daher bei den Studenten beliebt, aber den Fürstenhöfen von Weimar und Sachsen war der kritische Philosoph ein Dorn im Auge. Seine Polemik gegen die Zensur und seine zustimmenden Schriften zur Französischen Revolution waren nicht vergessen. Eine religionskritische Schrift wurde 1799 Anlass zu seinem Hinauswurf. Fichte verstand sich zwar nicht als Atheist, aber sein philosophischer Gottesbegriff konnte dem Klerus nicht gefallen:
    "Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott. Wir bedürfen keines andern und können keinen anderen fassen."
    In Berlin fand Fichte seine letzte Wirkungsstätte. Er war Gründungsmitglied der neuen Universität und ihr erster gewählter Rektor. Nach den Siegen Napoleons über Preußen wurde der Philosoph zum Verfechter einer deutschen Nation, deren Überlegenheit er durch eine gewagte Sprachtheorie begründete. Die Nationalsozialisten hoben Fichte darum auf ihren Schild, Auszüge aus seinen "Reden an die Deutsche Nation" aus dem Jahr 1808 wurden im Reichsrundfunk gesendet, vor allem Sätze, die sich als Durchhalteparolen einsetzen ließen:
    "Das Leben bloß als Leben, als Fortsetzen des wechselnden Daseins, hat für ihn ja nie Wert gehabt. Er hat es nur gewollt als Quelle des Dauernden. Aber diese Dauer verspricht ihm allein die selbständige Fortdauer seiner Nation. Um diese zu retten, muss er sogar sterben wollen."
    Johann Gottlieb Fichte starb am 29. Januar 1814 in Berlin. Er wurde ein Opfer des Befreiungskriegs gegen Napoleon, obwohl er persönlich nicht am Kampf teilnahm. Seine Frau hatte Verwundete gepflegt und sich am sogenannten Lazarettfieber infiziert. Während sie wieder gesund wurde, überlebte der kränkelnde Philosoph die Ansteckung nicht.