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Neues Mediengesetz
Polens Journalisten unter Druck

Das neue Mediengesetz in Polen gibt der nationalkonservativen Regierung das Recht, Führungspositionen in den öffentlich-rechtlichen Medien zu bestimmen. Vielen Journalisten droht nun die Entlassung. Wer nicht linientreu berichtet oder gegen das neue Gesetz protestiert, muss gehen.

Von Martin Sander | 09.01.2016
    Tausende Polen demonstrieren gegen neue Gesetze mit roten Karten in den Händen.
    Tausende Polen demonstrieren gegen neue Gesetze mit roten Karten in den Händen. (dpa / picture alliance / Jakub Kaczmarczyk)
    Kamil Dąbrowa: "Das ist eine Ohrfeige für die Journalisten des öffentlichen polnischen Rundfunks. Das polnische Radio, und damit beziehe ich mich auf das erste Programm, das ich in den vergangenen vier Jahren geleitet habe, ist ein Radio gewesen, in dem es eine Vielfalt der Ansichten gab. Es gab einen rechten, einen linken Diskurs, einen konservativen und einen liberalen, einen neoliberalen und einen volkstümlichen."
    Nach Kamil Dąbrowas Auffassung gefährdet hingegen das neue polnische Mediengesetz diese Meinungsvielfalt. Die Kritik der EU an der dieser Politik hält Dąbrowa für gerechtfertigt.
    "EU-Kommissar Oettinger und der stellvertretende Vorsitzende der Kommission Frans Timmermans haben auf eine gefährliche Entwicklung hingewiesen. Polen tastet das europäische Rechtssystem an. Europa ist unser gemeinsames Haus, und wir sollten die Grundregeln in diesem Haus anerkennen."
    Unabhängiger Journalismus in Gefahr
    Die Aussichten für einen unabhängigen Journalismus in den öffentlichen Medien unter nationalkonservativer Regierungskontrolle seien nicht rosig, so der unbequeme Chefredakteur:
    "Die Journalisten werden ein hohes Maß an Servilität gegenüber den Machthabern an den Tag legen müssen, um einen Arbeitsvertrag zu bekommen."
    Am Donnerstag hat der polnische Staatspräsident Andrzej Duda die Novelle zum Mediengesetz unterzeichnet. Gestern fand der Machtwechsel in den öffentlichen Medien statt. Freitagmittag wurde Jacek Kurski zum neuen Chef von Radio und Fernsehen ernannt. Kurski ist ein Vertrauter und Wahlkampfexperte von Jarosław Kaczyński. Unlängst hat ihn ein Warschauer Gericht rechtskräftig wegen Verleumdung verurteilt. Die Amtsübernahme Kurskis - plus fast zeitgleicher Ernennung einer neuen regierungsgenehmen Chefin aller Radioprogramme - bekommt Kamil Dąbrowa am Freitagnachmittag zu spüren - persönlich während unseres Studiogesprächs:
    "Sie sprechen mit mir in einem unglaublichen Augenblick. Ich werde gerade in den Vorstand gerufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie mich in wenigen Augenblicken als Direktor entlassen. Schreiben Sie mir eine SMS."
    Kritischen Journalisten droht die Entlassung
    Freitag kurz nach 16.00 Uhr steht es offiziell fest: Kamil Dąbrowa ist als Chefredakteur des ersten öffentlichen Rundfunkprogramms gefeuert, seine Protestaktion gegen das Mediengesetz im eigenen Sender gestoppt. Die polnische Nationalhymne und die Europahymne dürfen seit gestern nicht mehr im Stundentakt erklingen. Heute war Kamil Dąbrowa unter den zahlreichen Demonstranten in Warschau vor dem Fernsehgebäude gegen die Medienpolitik der Regierung. Den Nationalkonservativen prophezeit er keine Zukunft:
    "Diese Regierung hält sich nicht länger als zwei Jahre. Denn sie macht die Demokratie kaputt. Doch die Polen schätzen die Demokratie hoch. Die letzten 26 Jahre waren in Polen die besten seit Jahrhunderten. Und wir haben uns daran gewöhnt."