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Pixies
"Wie im Evangelium herumpfuschen"

Es ist eine kleine Sensation: 10 Jahre nach ihrer Wiedervereinigung und 23 Jahre nach ihrem letzten Album legt eine der wichtigsten Indie-Rock-Formationen der 80er ein neues Werk vor - die Pixies. Von der Resonanz auf das Album "Indie City" zeigt sich Mastermind Black Francis im Corsogespräch verletzt.

Charles Michael Kittridge Thompson im Corsogespräch mit Marcel Anders |
    Marcel Anders: Herr Thompson, was haben die Fans für ein Problem mit diesem Album?
    Charles Michael Kittridge Thompson: Es ist so etwas wie die Ermordung der alten Pixies, wie sie die Leute gekannt und geliebt haben. Denn wir stehen ja für "Come On Pilgrim", "Surfer Rosa", "Doolittle", "Bossanova" und "Trompe Le Monde". Das sind die fünf Apostel im Neuen Testament der Pixies. Und alles, was wir tun, also wenn wir unserer Bibel nur ein neues Kapitel hinzufügen, ist das für einige Mitglieder unserer Religion schon ein Grund auszusteigen. Und den Anführer des Kults zu töten. Dabei ist das hier ehrlich, echt und kein billiger Abklatsch. Insofern tut es mir auch verdammt weh, wenn ich im Internet lese, uns würde es lediglich ums Geld gehen. Da kann ich nur sagen: "Ich wünschte, es wäre so." Ich meine, ich würde nie behaupten, dass wir damit nichts verdienen. Aber es ist längst nicht so viel, wie manche meinen. Und bei Musikern neigen die Leute eh zum Fantasieren. Nach dem Motto: Wer in einem Theatersaal spielt, muss zwangsläufig Millionen von Dollar verdienen. Doch das tun wir nicht – und abgesehen davon, müssen wir ja noch all diejenigen bezahlen, die für uns arbeiten und den größten Teil vom Kuchen abbekommen. Von daher kann ich nur sagen: Die Leute haben keine Ahnung."
    Anders: Der Status als Kultband hat sich finanziell nie ausgezahlt?
    Thompson: Es ist eine Tatsache, dass wir bis zu unserer Trennung 1993 keinen Cent mit unseren Platten verdient haben. Was an der Art lag, wie die Verträge der damaligen Zeit angelegt waren. Da gab es diesen Passus, der sich "Cross Collateralization" nannte und bedeutete, dass man dir ein bisschen Geld für die Produktion eines Albums gibt. Kaum hast du das abgeliefert, heißt es: "Kannst du noch eins machen?" Aber wenn du dann nach Geld fragst, um das Studio zu bezahlen, lautete die Standard-Antwort: "Das neue Kalenderjahr hat noch nicht angefangen. Alles, was du für das nächste Album ausgibst, addieren wir einfach zum ersten." Was nichts anderes hieß, als dass du immer weiter in die roten Zahlen gerutscht bist. Und die fälligen Tantiemen wurden erst ausgezahlt, nachdem wir uns getrennt hatten. Es hat wirklich bis zu unserer Reunion gedauert, ehe "Surfer Rosa" Goldstatus erreichte. Also 17 Jahre nachdem wir die Platte gemacht hatten. Was zeigt, dass wir eine echte Kultband sind. Wir haben nie Millionen von Alben verkauft. Wenn man alle zusammenaddiert, also alle Platten, die wir auf der ganzen Welt verkauft haben, ergibt das vielleicht anderthalb Millionen – nach 25 Jahren.
    Anders: Und als Kultband gibt man Euch nicht die Chance, sich weiterzuentwickeln oder zumindest neu zu beweisen?
    Thompson: Richtig. Was wir auch machen – und selbst wenn es ein Erfolg werden sollte – die neue Musik oder das neue Album töten gleichzeitig auch das, was davor war. Denn in den Köpfen der Menschen – wie auch in unseren eigenen – waren wir bislang etwas, das in ein ganz bestimmtes Zeitfenster gehörte. Nach dem Motto: Sie haben diese fünf Alben gemacht, dann haben sie sich getrennt, einige Jahre sind verstrichen, und anschließend war da diese Reunion, die sehr gut gelaufen ist. Und den Leuten allein deshalb gefallen hat, weil wir alles gespielt haben, was sie hören wollten – das gesamte Repertoire. Da hieß es dann: "Ihr seid wirklich die coolste kleine Band aller Zeiten." Aber diese Reaktion haben wir nur ausgelöst, weil wir uns auf die Vergangenheit beschränkt haben. Und weil die einhellige Meinung war: "Der Typ kann immer noch schreien, die Band rockt, der Klang ist solide und es klingt wie die Pixies. Sie sind immer noch lebendig." Wobei die Öffentlichkeit es am liebsten gehabt hätte, dass wir es dabei belassen, dass wir dieses nette Bild nicht zerstören. Denn sobald wir neue Musik gemacht haben, war das für einige Leute so, als ob wir im Evangelium herumpfuschen. Und als Kim mittendrin ausgestiegen ist, war das noch offensichtlicher.
    Anders: Was hat Kim überhaupt zu dieser Entscheidung bewegt?
    Thompson: Sie hatte ihre Gründe, warum sie die Zusammenarbeit nicht fortsetzen wollte. Und einige davon sind auch berechtigt. Schließlich hätte es durchaus passieren können, dass die neuen Songs nicht an die Qualität von "Monkey Gone To Heaven" heranreichen. Um das zu verhindern, hat sie auf stur geschaltet - und alles blockiert. Aber sie hat eben auch verhindert, dass dieses Album mit ihr entsteht. Und für einige ist ihr Ausscheiden wie ein Todeskuss – als ob Paul McCartney die Beatles verlässt. Aber unsere Reaktion war halt: "Machen wir einfach Musik." Genau darum geht es hier.
    Anders: Hat Sie das nicht verunsichert? Im Sinne von: Hatten Sie keine Angst, genau den kapitalen Fehler zu begehen, der Ihnen von außen angetragen wurde?
    Thompson: Angst nicht. Aber natürlich ist da diese Vorstellung, dass du nie wieder so gut sein kannst, wie du es in jungen Jahren warst. Einfach weil du nicht mehr dieselbe Naivität und Energie besitzt. Und das ist auch berechtigt. Nur denke ich nicht, dass wir Angst davor hatten. Wir waren einfach froh, endlich diese Platte angehen zu können – nachdem wir sieben oder acht Jahren darüber diskutiert haben. Eben: "OK, wir haben es geschafft, dass der Zug den Bahnhof verlässt. Jetzt machen wir weiter."
    Anders: Wobei sie nicht nur auf den bewährten Mix aus laut und leise, hart und hochmelodisch setzen, sondern auch wieder auf jede Menge Aliens. Wird das nie langweilig? Oder gehört das bei den Pixies schlichtweg dazu?
    Thompson: Dieses Außerirdischen-Ding hat sich einfach über die Jahre entwickelt. Bis ich bei meinen Solo-Alben irgendwann damit aufgehört habe, weil ich das Gefühl hatte, die Leute würden es nicht verstehen - oder ich könnte sie damit langweilen. Doch kaum ist Gil Norton wieder dabei, heißt es: "Ihr wart 20 Jahre auf dem Planeten Sound und kommt zurück auf die Erde." Er fängt also wieder mit diesem ganzen Weltraum-Kram an. Worauf wir zunächst sehr verhalten reagiert haben. Aber weil er nicht aufgehört hat, haben wir die Idee dann doch aufgegriffen. Deshalb taucht das in einigen Songs auf. Wie z.B. in "Ring The Bell", das von dieser Inselgruppe im indischen Ozean handelt – den Malediven. Die sollen in spätestens 75 Jahren komplett unter Wasser stehen. Und da ich das Meer und alles Nautische liebe, habe ich mir halt eine Geschichte einfallen lassen - über eine Person, die noch einmal an diesen Ort zurückkehrt, um Abschied zu nehmen. Und zwar vom Mond oder irgendeinem Satelliten. Das war die Art, wie ich mit Gils Vorlage umgegangen bin. Eben indem ich jemanden in naher Zukunft von ganz weit weg zurück auf die Erde hole. Oder indem ich in dem Song "Astro Queen" über die Königin des Saturn singe. Ich habe also versucht, Texte zu schreiben, die sich in unserem Sonnensystem aber zumindest außerhalb der Erde bewegen. Was ein poetisches Hilfsmittel ist. Und weshalb "Indie Cindy" auch kein Konzept-Album ist. Es sind einfach ein paar Songs.
    Anders: Die auch schon mal von einer fiesen Schlangen-Invasion handeln, nämlich in "Snakes". Was hat es damit auf sich?
    Thompson: Ich mag einfach apokalyptische Songs. Und bei diesem geht es darum, dass deine Stadt von ihnen heimgesucht wird. Sie nähern sich über und unter der Erde. Und sie kriechen an dir und an mir hoch. (schreit) Schlangen! Sie sind eine göttliche Strafe für unsere Sünden. Eben weil wir Mist gebaut haben.
    Anders: Wie geht es bei den Pixies weiter? Welche Pläne und Ziele haben Sie mit dieser Band?
    Thompson: Ich wäre bereit, noch heute nacht ins Studio zu gehen und das nächste Album aufzunehmen. Denn das ist es, was wir tun sollten - je schneller, desto besser. Doch da sind halt all die anderen Räder an diesem Zug – wie unsere Manager, unsere Tourmanager und die fest gebuchten Konzerttermine. Von daher ist es so, dass niemand wirklich in Eile zu sein scheint. Ich meine, früher musste alles so schnell wie möglich gehen. Eben: "Wann kannst du das nächste Album liefern?" Aber jetzt scheint sich niemand so recht mit dem nächsten Produkt auseinandersetzen zu wollen. Was ich aus künstlerischer Sicht sehr erdrückend finde. Ich weiß nicht, wohin das führt, aber wahrscheinlich muss ich mir meine Befriedigung woanders suchen. Denn ich kann nicht einfach so eine Studio-Session buchen, weil da zu viele Leute involviert sind – und zu viele Meetings. Und weil zu viel Aufmerksamkeit und Energie auf Konzerttourneen verwendet wird. Denn die liefern das gewünschte Ergebnis und bergen kein Risiko.
    Anders: Was schwebt Ihnen stattdessen vor?
    Thompson: Ich hätte das am liebsten wie 1989. Aber wir spielen ja in großen Hallen und verlangen stolze Preise für Eintrittskarten – also 50, 100, 200 Dollar. Dabei würde ich viel lieber wieder in der Markthalle in Hamburg auftreten – vor 800 Fans, bei brüllender Hitze und mit dem einen oder anderen Bier zu viel. Was heute kaum noch passiert, aber großartig wäre. Wir würden unsere Verstärker umnieten, und der Auftritt würde zum Desaster, weil wir betrunken sind. So wie wir es früher getan haben, und woran ich mich gerne erinnere. Aber es hat sich ja alles verändert.
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch
    Thompson: Yeah, sure.