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Platt bis provokant

Seit es politische Parteien gibt, werben sie mit Plakaten für ihre Ziele und wollen im Trend liegen. Doch die Werbebotschaften sind anachronistisch, sagt einer, der es wissen muss und auch weiß: Ohne sie würde uns ganz bestimmt etwas fehlen.

Von Verena Herb |
    "Liebe Freunde – Isch habe einen Entschluss jefasst: Ich will Bundeskanzler werden – isch kandidiere ..."

    Und der Wahlkampf kommt so langsam auf Hochtouren: Während Horst Schlämmer, alias Hape Kerkeling, auf sämtlichen Litfasssäulen und Werbetafeln auf seinen neuen Kinofilm aufmerksam macht, wollen Politiker und ihre Parteien auf sich aufmerksam machen. An jeder Straßenecke, an jedem Laternenpfahl lächeln, schmunzeln oder gar grinsen dem potenziellen Wähler die Kandidaten von Plakaten entgegen, Slogans versprechen Veränderung

    "Wat die andern nisch können, dat können wir schon lange..."

    Wahlwerbung per politischem Pappbild – gar kein so modernes Mittel, weiß F. C. Gundlach. 30 Jahre lang hat der Hamburger Wahlplakate fotografiert:

    "Das Plakat ist ja eines der ältesten Werbemittel. Das Plakat hat aber den Riesenvorteil – im Gegensatz zu unseren heutigen elektronischen Medien, dass die Rezeptionszeit unbegrenzt ist. Ein Plakat steht eben wochenlang da, und erinnert immer wieder an eine Person oder an einen Slogan oder an eine Politik. Ich glaube, darin liegt auch der Wert für die Partei, so viel Geld darin zu investieren."

    Schon in der Antike gab es Vorläufer: Im 16. Jahrhundert taucht das Plakat als Kommunikationsform für politische Zwecke auf – in den Niederlanden. Während des Befreiungskrieges in Spanien schrieben die Spaniengegner ihre Proteste auf große Zettel, auch bereits mit großen Lettern – und "plakten" sie dann überall an die Wände. Deswegen nannte man sie "Plakatten" – der Ursprung unseres Wortes "Plakat". Im 18. Jahrhundert setzten Regierungen diese dann ein, um Soldaten anzuwerben. Später, in der Weimarer Republik, nutzen die Nationalsozialisten Poster als perfide Propagandamittel, um für ihre neue Welt zu werben. Fotografien waren zu teuer. Auf den Postern prangten Illustrationen, und das noch bis in die 1950er-Jahre hinein. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich politische Plakate erst langsam wieder: Alles musste wieder aufgebaut werden, auch die Parteien.

    "Es hat sich gleich manifestiert bei der ersten Wahl, dass das Wahlplakat Präsenz hat, und dass das Wahlplakat von Wichtigkeit ist."
    Bei den Parteien damals ging es erstmals um Imagebildung: Vorrangige Ziele für die ersten Jahre der Bundesrepublik waren die Förderung des Wiederaufbaus und der wirtschaftlichen Integration. Man blieb allgemein, forderte auf den Plakaten auf, das Land mit aufzubauen, feuerte sich an – glücklich über den Frieden. "Es geht voran" war in großen Lettern zu lesen. Anhand der Plakatgeschichte kann man auch tatsächliche Geschichte ablesen, etwa während des Kalten Krieges. Illustrationen, die die Gefahr des Kommunismus thematisieren – eine große Hand, die von Osten aus nach der Bundesrepublik greift. Im Laufe der Zeit wurde der Wahlkampf immer persönlicher – die Kandidatinnen und Kandidaten rückten immer mehr in den Vordergrund:

    "Es gab Wahlkämpfe, die waren sehr emotional. Da gab´s Protagonisten, die provozierten. Denken Sie an Strauß und Schmidt und auch die Wahl von Brandt zum Beispiel. Da war das alles sehr viel emotionaler und sehr viel aggressiver zum Beispiel."

    O-Ton Willy Brandt (1961): "Jawohl, meine Damen und Herren. Wir brauchen eine neue Regierung. Wir brauchen eine Regierung, die den Geist höher achtet als das Geld. Eine Regierung, die die Bundesrepublik zu einem Staat machte, in dem es keine Stiefkinder mehr gibt. In dem die Menschen den Staat tragen werden, anstatt ihn bloß zu ertragen oder auszunutzen."

    Wohlstand ist für alle da – steht damals, 1961, in weißen Lettern auf dem schwarz-weißen Plakat der SPD. Brandt schafft nicht den Sprung ins Kanzleramt, doch die CDU/CSU verliert ihre absolute Mehrheit. Viele Wahlkämpfe kommen, Koalitionen folgen: Es regieren rot und schwarz, rot und gelb, dann schwarz und gelb. Im Wahlkampf 1980 tauchen erstmals Plakate mit Augenzwinkern auf: Die SPD plakatiert eine gezeichnete Blumenwiese und titelt: "Viele Blumen, aber keinen Strauß" - gegen den damaligen CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß. Es war eine Zeit, in der die brisante RAF-Zeit vorbei war, die Gesellschaft das Gefühl stabiler Sicherheit hatte. Es war die Zeit, in der die grüne Partei in den Fokus rückte, es war Zeit für Umweltthemen. Die Grünen provozierten mit einem Wasserfarbenbild eines Kindes oder einem Plakat von Joseph Beuys, wo ein Hase andere Hasen erschießt. 1982 wird Kohl Kanzler: vier Legislaturperioden lang, vier Wahlkämpfe lang. Fotograf Gundlach hat Kohls Plakate im Bild festgehalten und beschreibt:

    "Man sieht eine Veränderung des Gesichtes, man sieht aber auch die Veränderung seiner Brillen. Ich glaube, man kann eine Brillengeschichte daraus machen. Und zum Schluss trägt er gar keine Brille mehr, auf dem letzten Plakat ..."

    Das war 1998. Doch dazwischen lagen aufregende politische Zeiten. Die Wiedervereinigung und 1990 die ersten gesamtdeutschen Wahlen.

    "In der DDR gab´s keine Wahlplakate. Und in der DDR gab´s auch für diese Wahl keine Plakate und keine Wände, zum Beispiel. Was wir vergessen haben ist, dass die Mauer an der Ostseite nicht bemalt war. Da haben die Wähler, die Bürger, die leere Wand benutzt als Fläche."
    Damals zeigen die Plakate Kohl – den "Kanzler für Deutschland – Freiheit, Wohlstand, Sicherheit. CDU" – so steht's auf dem Wahlplakat. Die SPD hingegen wirbt mit Oskar Lafontaine für soziale Gerechtigkeit. F. C. Gundlach weist auf ein besonderes Plakat hin, das aus heutiger Sicht so wohl nicht mehr möglich ist:

    "Das Plakat ist schon Geschichte. STARK steht da ganz oben, in großen Lettern darauf. Das ist Scharping, Schröder und Lafontaine. Stellen Sie sich das mal vor: Zehn Jahre später, was aus diesen geworden ist."
    1994 war das. Vier Jahre später kommt Rot-Grün an die Macht. Nach 16 Jahren wird Kohl abgelöst, Gerhard Schröder wird Kanzler. 2002 tritt er gegen Edmund Stoiber, den Kanzlerkandidaten von CDU/CSU an:

    "Herr Stoiber, Sie wollen vielleicht Kanzler werden, aber Sie haben nicht die Fähigkeiten dazu."

    "Es geht letzten Endes darum, geht es abwärts weiterhin, oder geht es aufwärts?"

    "Hier haben wir ein anderes Plakat – damit es weiter 'abwärts' geht. Natürlich hieß der Slogan: Damit es weiter 'aufwärts' geht. Auch hier ist nur ein einziger Buchstabe verändert worden."

    F. C. Gundlach nennt die Manipulation an Wahlplakaten "die kleine Rache des Souveräns". Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hat Gundlach einige seiner Fotografien ausgestellt – im Fokus steht hier jedoch nicht in erster Linie die politische Aussage der Partei oder des Politikers, sondern: die Veränderungen, Graffitis beispielsweise, die auf die Plakate gemalt wurden.

    "Hier sehen sie etwas, wo jemand mit einem ganz großen Pinsel dran gegangen ist. Und das Gesicht bemalt hat, total übermalt hat. Wie ein Porträtmaler – also eine Fratze einfach draus gemacht hat."
    Zu sehen ist: Angela Merkel. Das führt Gundlach gleich dazu, über den jetzigen Bundestagswahlkampf zu sprechen – der, so seine Meinung, bis heute eigentlich ziemlich langweilig verlaufen sei:

    "Ich glaube, dass dieser Wahlkampf – der hat einmal an Fahrt gewonnen, und zwar gewaltig an Fahrt gewonnen, durch das Plakat von der Frau Lengsfeld."

    Tief dekolletiert, mit grüner Halskette verziert zu sehen: Vera Lengsfeld, CDU-Bundestagskandidatin in Berlin, neben der Kanzlerin: ebenfalls mit großem Ausschnitt. Darunter zu lesen: "WIR haben viel zu bieten."

    "Zum ersten Mal kam also Erotik oder Sexualität, wie immer Sie wollen, ins Spiel. Was bis dahin als Wahlplakat nie verwendet worden war."
    Also ein Novum im politischen Plakatwald. Ansonsten scheint es jedoch, als habe sich die Plakatkunst in den letzten 20 Jahren nicht verändert.

    "Das wundert mich ein bisschen, dass man nicht das Plakat eben auch grafisch im digitalen Zeitalter weiter entwickelt. Man müsste vielleicht andere Möglichkeiten finden. Denn die Plakatkunst war ja mal eine Gattung der bildenden Kunst, nicht wahr."