Dienstag, 23. April 2024

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Politologe Hajo Funke
"Die AfD ist zu einer rechtsradikalen Partei geworden"

Die AfD sei von einer zunächst rechtspopulistischen Partei im schnellen Tempo zu einer rechtsradikalen geworden, sagte der Politologe Hajo Funke im DLF. Das werde nun allmählich auch wahrgenommen. Die demokratischen Parteien müssten dieser Entwicklung mit einer guten, sozialen Politik entgegentreten.

Hajo Funke im Gespräch mit Jochen Spengler | 01.02.2016
    Der Politikwissenschaftler Hans Joachim Funke.
    Der Politikwissenschaftler Hans Joachim Funke. (Imago / IPON)
    Funke betonte, die AfD wolle mit Äußerungen beispielsweise zum Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge aufhetzen und Ressentiments mobilisieren. "Sie versucht, den Rechtsstaat an die Seite zu drängen." Die Berliner Landesvorsitzende Beatrix von Storch lege ein Denken frei, das nicht nur rechtswidrig sei, sondern auch nicht menschlich. Von Storch hatte gesagt, dass auch Frauen mit Kindern mit Waffengewalt an der Überquerung der Grenze behindert werden sollten.
    Auch wenn die AfD in Umfragen bei etwa zehn Prozent liege: "Der Einzug dieser Partei in den nächsten Bundestag ist überhaupt nicht gesichert." Es hänge sehr davon ab, ob die "anderen Parteien, die demokratischen Parteien eine vernünftige Politik zur Klärung der Flüchtlingsfragen im nächsten Jahr durchsetzen."
    Dass beispielsweise die Pegida-Bewegung "mit Lutz Bachmann als Rassisten" als Verbündete gesehen werde, zeige "die entgrenzte Strategie dieser zunächst rechtspoulistischen Partei, wie sie zu einer rechtsradikalen geworden ist - in einem schnellen Tempo", sagte der emeritierte Professor für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: Die Kritik an der rechtspopulistischen AfD wegen Äußerungen ihrer Führung zum Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an der Grenze hält an. Die Alternative für Deutschland vergifte damit das gesellschaftliche Klima und zeige ihr wahres Gesicht, hieß es etwa vonseiten der CSU. Umstritten ist die Forderung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, die AfD unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu stellen. Wir wollen nicht inhaltlich über den AfD-Vorschlag diskutieren, weil der nicht nur rechtswidrig, unmenschlich und verabscheuungswürdig ist, sondern wir wollen darüber reden, was mit einem solchen Vorschlag bezweckt werden soll und was ein solcher Vorschlag bewirkt. Helfen soll uns dabei Professor Hajo Funke, Rechtsextremismus-Forscher in Berlin. Guten Tag, Herr Funke.
    Hajo Funke: Guten Tag.
    Spengler: Herr Funke, solche Äußerungen wie die von Frau Petry, auf Flüchtlinge an der Grenze im Notfall zu schießen, die sind nicht in der Hitze eines Wahlkampfgefechts gefallen, sondern im Interview mit einer Zeitung. Das heißt, dass sie nicht zufällig gefallen sind, sondern mit Absicht. Man will kalkuliert provozieren. Was glauben Sie, mit welcher Absicht?
    Funke: Ja mit der Absicht, die sich in diesen Äußerungen zeigt: der Aufhetzung, der Mobilisierung des Ressentiments, des Rassismus.
    "Sie versucht, den Rechtsstaat an die Seite zu drängen"
    Spengler: Das heißt, die AfD versucht, mit solchen Vorschlägen die Grenze des Anstands zu verschieben, die definiert, worüber wir ernsthaft diskutieren müssen in dieser Gesellschaft und worüber nicht?
    Funke: Genau. Und darüber hinaus: Sie versucht, den Rechtsstaat an die Seite zu drängen. Immerhin hat vor Monaten schon Herr Pretzell aus NRW etwas Ähnliches gesagt, und Frau Petry ist dann noch mal getoppt worden von Frau von Storch, die auch Kinder zu den Schießobjekten zählt, die man an der Grenze abhalten muss.
    Spengler: Das hat sie aber zurückgenommen inzwischen.
    Funke: Ja, ja. Aber sie hat es zunächst gesagt und legt damit ein Denken frei, das nicht nur rechtswidrig ist, sondern auch nicht menschlich.
    Spengler: Will die AfD die Verrohung der öffentlichen Debatte?
    Funke: Offenkundig. Jedenfalls kalkuliert sie das ein.
    "Einzug der Partei in den Bundestag ist noch nicht sicher"
    Spengler: Was tut man denn dagegen? Was können die demokratischen Parteien dagegen tun?
    Funke: Demokratie, Öffentlichkeit und Medien können genau dies kennzeichnen, dass wir hier eine schnell, im Vergleich kaum sonst gehabt, radikalisierte Partei haben, die über alle Grenzen hinaus sich radikalisiert und gegen Fremde hetzt als Feinde. Das muss man kennzeichnen. Man muss sie in der Öffentlichkeit für deswegen nicht wählbar erklären, weil sie das Gemeinwesen auf Dauer mit dieser Eskalation, die auch die Gewalt der anderen einkalkuliert, zerstört.
    Spengler: Aber ist es nicht so, dass das schon gekennzeichnet wird und dass auch die Empörung groß ist, aber dass, wie Heribert Prantl heute in der "Süddeutschen Zeitung" schreibt, der Aufschrei und die Empörung gegen solche unmenschlichen Vorschläge und sogar auch eine sachliche Debatte darüber dennoch die AfD beflügelt?
    Funke: Da bin ich nicht sicher. Das mag jetzt noch oder gestern oder morgen noch sein, aber auf die Dauer habe ich Deutschland in der Nachkriegszeit nie so erlebt, dass sie, dass Deutschland, dass die große Mehrheit der Bevölkerung die Zerstörung des eigenen Gemeinwesens, den freiheitlich-rechtsstaatlichen Zusammenhalt will, oder mindestens die Gefahr zulässt, die dies, eine Eskalation in die Gewalt durch die verbalen Brandfackeln, bedeuten würde.
    Spengler: Aber die zehn Prozent des Volkes, die Umfragen zufolge die AfD wählen würden, die scheinen ja nicht abgeschreckt zu sein. Wählen sie sie trotz solcher Äußerungen oder wegen solcher Äußerungen?
    Funke: Das wissen wir im Einzelnen nicht. Dazu gibt es noch keine Untersuchung. Aber ich bin sicher: Wenn man das klar und ohne selbst hysterisch zu werden, klar macht, dann ist der Einzug dieser Partei in den nächsten Bundestag überhaupt nicht gesichert. Das sind zehn oder zwölf Prozent nach Umfragen, aber es ist immer noch eine Minderheit. Es ist noch rechter Rand und es hängt sehr davon ab, ob die anderen Parteien, die demokratischen Parteien eine vernünftige Politik zur Klärung der Flüchtlingsfragen im nächsten Jahr durchsetzen und als solche anerkannt werden. Es ist eine Herausforderung an eine gute Politik, übrigens auch an eine sozialere Politik, weil im Untergrund dieses Ressentiments auch die Erfahrung, zu sozial und sonst ohnmächtig zu sein, mit eine Rolle spielt.
    "Ich würde mit Frau von Storch nicht auf eine Bühne gehen"
    Spengler: Aber dieses Ressentiment ist in Teilen der Gesellschaft vorhanden. Es lässt sich ansprechen, es lässt sich aufputschen. Wieso?
    Funke: Das ist eine neue Situation, vergleichsweise. Wir hatten immer wieder rechtspopulistische Parteien auf Landesebene in Hamburg, auch rechtsextreme wie in Baden-Württemberg in Landtagen, auch im Osten, noch immer, die NPD etwa. Es gibt dieses Potenzial. Nach Umfragen oder nach Studien ist es zwischen zehn und 25 Prozent etwa in einzelnen östlichen Bundesländern. Bislang ist es kaum gelungen, dies auf Dauer in politisches Verhalten umzumünzen, also in Wahlverhalten, in eine entsprechende Politik. Jetzt steht die Bundesrepublik davor, ob das diesmal gelingt. Sicher ist das immer noch nicht, obwohl es diese riesige Herausforderung durch die Flüchtlingslage gibt. Es hängt deswegen umso mehr an einer sowohl öffentlichen Debatte über das, was das eigentlich will, was da diese Partei treibt, und davon ab, ob wir eine gute Politik gerade in den zentralen Herausforderungen haben werden durch Länder und Bund, also in der Frage der Flüchtlinge, in der Eindämmung der Krisen im internationalen Maßstab und in der Stärkung der sozialen Seite der gegenwärtigen Politik. Da kann man noch gut nachlegen.
    Spengler: Herr Professor Funke, wenn Sie sagen, wir brauchen eine öffentliche Debatte, in der die AfD gebrandmarkt wird als Partei, wie sie wirklich ist, soll man diese Debatte mit der AfD in Talkshows führen oder ohne sie?
    Funke: Wenn Sie mich persönlich fragen, ich würde mit Frau von Storch nicht auf eine Bühne gehen. Nach diesen Äußerungen, nach diesen Entmenschlichung fordernden Äußerungen, nach diesen Brandfackeln nicht mehr. Das heißt nicht, dass man sich selbst stellt und auch diese Partei stellt. Man muss abwägen, mit wem man das noch kann.
    "In schnellem Tempo rechtsradikal geworden"
    Spengler: Ist die bundesweite Empörung über die AfD möglicherweise bewusst einkalkuliert von der Partei, weil man sich dann wieder als Märtyrer aufführen kann?
    Funke: Ich glaube, das ist auf Dauer eine Fehlkalkulation. Ich glaube, dass es tatsächlich so einkalkuliert war. Auch die anderen: Björn Höcke ist dafür bekannt, dass er entgrenzt hetzt. Auch Alexander Gauland sagt, dass diese Pegida-Bewegung mit Lutz Bachmann als Rassisten natürlicher Verbündeter der Partei ist. Das ist schon starker Tobak und es zeigt die entgrenzte Strategie dieser zunächst rechtspopulistischen Partei, wie sie zu einer rechtsradikalen geworden ist in einem schnellen Tempo, und ich glaube, dass das allmählich wahrgenommen werden wird und man dann nicht mehr diese Umfrageerfolge haben wird.
    Spengler: Eine rechtsradikale Partei wäre ein Fall für den Verfassungsschutz?
    Funke: Ja.
    Spengler: Danke, Professor Funke, Rechtsextremismus-Forscher in Berlin. Danke für das Gespräch, Herr Funke.
    Funke: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.