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Polnische Medien-Startups
"Verkauf' deine Leser nicht für dumm"

Kritische, investigative Artikel sind seit dem Regierungsantritt der rechtskonservativen Populisten in Polen immer mehr zur Mangelware geworden. In diese Lücke stoßen neue Journalismus-Startups - und erfahren großen Rückhalt und Unterstützung aus der Bevölkerung.

von Pauline Tillmann | 25.04.2018
    Porträt der Journalistin Agata Scszesniak
    Redakteurin Agata Szczesniak ist überzeugt: Medien-Startups werden in Poeln gebraucht. (Pauline Tillmann / Deutschlandradio)
    OKO.press ist der Shooting-Star unter den Medien-Startups in Warschau: monatlich mehr als eine halbe Million Unique Visitors, auf Facebook gut 160.000 Fans. Innerhalb kürzester Zeit ist es zu einer der meistzitierten Quellen in Polen geworden. Dabei hat alles als Experiment angefangen, erzählt Redakteurin Agata Szczesniak. Die wesentliche Frage war:
    "Ist es in Polen möglich, ernstgenommen zu werden, wenn man nur - wie in unserem Fall - digital erscheint? Außerdem ist es ein Experiment in Hinblick auf die Finanzierung."
    Die 38-Jährige war von Anfang an dabei. Gegründet wurde OKO.press im Juni 2016 - ein halbes Jahr nach dem Regierungsantritt der Partei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, die vom rechtskonservativen Jaroslaw Kaczynski geführt wird. Und das ist auch kein Zufall.
    "Es ist wohl keine Überraschung, dass, wenn Populisten oder Menschen an der Macht sind, die wesentliche Grundrechte missachten, dass so ein Medium noch viel stärker gebraucht wird als jemals zuvor."
    Faktencheck und Recherche
    Das Projekt hat sich vor allem Faktencheck und investigative Recherche auf die Fahnen geschrieben. Unter anderem deckt es also auf, wenn polnische Politiker die Unwahrheit verbreiten. Ansonsten kümmern sich die 15 Mitarbeiter um Themen wie Frauenrechte, Umwelt, Geschichte und Gefahren für den Rechtsstaat.
    "Die Grundrechte, die ich immer als selbstverständlich erachtet habe - wie beispielsweise demokratische Institutionen, Unabhängigkeit der Justiz, Pressefreiheit oder auch Frauenrechte, sind in Gefahr. Deshalb ist es genau die richtige Zeit, hier mitzumachen",
    erzählt Politikredakteur Krzysztof Pacewicz, der direkt von der Uni zu OKO.press gestoßen ist. Eigentlich war er dabei zu promovieren, hat dann aber gemerkt, dass ihm die Arbeit für das Medien-Startup wichtiger ist. Woran er aktuell mit seinem Kollegen Daniel Flies arbeitet, will der 28-Jährige nicht verraten. "I cannot say...investigation."
    Echter Bedarf an alternativen Informationen
    Der Großteil des Budgets - etwa 85 Prozent - kommt von der Community. Mehr als 6500 Menschen unterstützen OKO.press jeden Monat mit einem Betrag von zwei bis 120 Euro. Der Rest stammt von Stiftungen oder wohlhabenden Gönnern. Fragt man Agata Szczesniak nach dem Erfolgsgeheimnis, so antwortet sie:
    "Man sollte Vertrauen aufbauen und die Leser ernstnehmen. Verkaufe deine Leser nicht für dumm, sondern sehe sie als Partner, kommuniziere mit ihnen und versuche, eine Beziehung aufzubauen. Sorge dafür, dass sie sich dafür verantwortlich fühlen für das, was du tust."
    Zum Schluss sagt sie, sie finde es ermutigend, dass sich immer mehr Polen dafür interessierten, was um sie herum passiere. Deshalb gebe es einen echten Bedarf an alternativen Informationen und genau das sei auch der Grund, warum es eine eindeutige Tendenz gebe, dass die Medien-Startups vonseiten der Bevölkerung finanziell unterstützt würden.
    "Uns ist die Gier nach Sensationen egal"
    Ortswechsel: Ein Business-Center im Zentrum von Warschau. Im 5. Stock befinden sich die Redaktionsräume des Monatsmagazins Pismo.
    Am Eingang begrüßt mich Chefredakteur Piotr Nesterowicz. Der 47-Jährige hatte vor einem Jahr die Idee für das Magazin.
    "Es wird viel über die Boulevardisierung der Medien und Fake News gesprochen. Also wollten wir ein Heft haben, das gegen diesen Trend angeht. Das heißt, wir haben lange Artikel und Illustrationen anstelle von reißerischen Bildern und Überschriften. Uns ist die tägliche Politikberichterstattung oder die Gier nach Sensationen egal."
    Im Januar kam die erste Ausgabe mit einer Auflage von 30.000 Stück auf den Markt. Bis das Magazin wirtschaftlich ist, wird es wohl eineinhalb bis zwei Jahre dauern. Die ersten Reaktionen von Fachpresse und Publikum waren wohlwollend, mitunter euphorisch. Bislang hat "Pismo" alles richtig gemacht und die Zeichen stehen gut, dass es das Startup noch eine ganze Weile geben wird.