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Posthume Entdeckung

Martin Kippenberger war ein Ausnahmekünstler: Er wollte viel, lebte schnell und maßlos, starb 1997 mit 44 Jahren viel zu früh und gilt heute als moderner Klassiker, auf den kein Museum verzichten kann. Die Londoner Tate Gallery widmet Martin Kippenberger jetzt eine große Retrospektive, die ab Juni auch in Düsseldorf zu sehen sein wird.

Von Hans Pietsch | 08.02.2006
    Der Künstler selbst heißt den Besucher willkommen und führt ihn in die Ausstellung: Arm in Arm mit einem Zechgenossen, mit dem Rücken zum Betrachter, schlendert er an einer einschlägigen Düsseldorfer Bar vorbei und in den zweiten Ausstellungsraum hinein.

    Das Gemälde "Ohne Titel" ist Teil der Serie "Lieber Maler, male mich" - 1981 ließ sich Martin Kippenberger von einem gewissen Herrn Werner, einem Berliner Schildermaler, 12 Ölbilder malen, nach von ihm ausgesuchten Fotos. Der Maler als Ideenlieferant, der die Ausführung anderen überlässt - ein Seitenhieb gegen die gerade berühmt werdenden "Jungen Wilden".

    Und dann entfacht die Schau ein wahres Feuerwerk von Kreativität - hier ist ein obsessiver Künstler am Werk, der alles, was er anfasst, in Kunst verwandelt. Ein heilloses, aber köstliches Durcheinander von künstlerischen Medien: Gemälde, Zeichnung, Plakat, Collage, Buch, Skulptur, Fotografie, Installation. Und immer wieder die eigenwillige und systematische Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie - der kleine Martin, zeichnend; der vom Alkohol aufgeschwemmte nackte Körper des noch jungen Künstlers; Kippenberger in der Pose einer Figur eines Gemäldes von Théodore Géricault.

    Die umfassende Werkschau verzichtet auf Chronologie, wie Doris Krystof erläutert, Kuratorin der Kunstsammlung Nordrhein -Westfalen in Düsseldorf, wo die Ausstellung ab Juni zu sehen sein wird:

    " Das macht bei Kippenberger vielleicht weniger Sinn als wirklich nach Motiven vorzugehen und nach Strategien. Also was uns interessiert hat an Kippenberger ist die Art und Weise, wie er als Künstler ganz strategisch ganz bestimmte Motive in Umlauf bringt, wie er immer wieder sich damit auseinandersetzt, was es bedeutet, in der Gesellschaft seinen Platz zu behaupten als Künstler."

    Und eine dieser Strategien ist Ironie, mit der er souverän umgeht, so Krystof:

    " Ironie ist für ihn ein Stilmittel, auf das er zurückgreift, was für ihn eigentlich zu einer Erkenntnis, zu einer fast moralisch verstandenen Erkenntnis dient. Kippenberger war, kann man fast manchmal denken, Moralist, der einen sehr, sehr hohen Anspruch gehabt hat an Wahrheit, an Aufrichtigkeit, und auch angeprangert hat, was er so gesehen hat im Kunstbetrieb, diese ganzen Eitelkeiten und Verlogenheiten, und da ist Ironie natürlich ein bewährtes Mittel."

    Seine Ironie ist es wohl auch, die ihn in den letzten Jahren für jüngere Künstler so anziehend gemacht hat. Und seine Fähigkeit, Grenzen zu überschreiten, immer von neuem für Überraschungen zu sorgen. "Einen eigenen Stil finden, daran hat es bei mir gehapert," schrieb er, "bis mir auffiel, dass stillos zu sein, auch ein Stil ist, und den habe ich dann verfolgt. Da war ich dann befreit.

    Die Schau entlässt den Besucher mit einer weiteren Installation, in der Kippenberger noch einmal ironisch mit der Vorstellung vom Künstler als vereinzeltem Individuum spielt, das autonome Objekte anfertigt. Für "Heavy Burschi" von 1991 ließ er sich von einem Assistenten nach von ihm ausgewählten Vorlagen 50 Gemälde anfertigen, war jedoch mit dem Ergebnis unzufrieden. Er ließ die Bilder zerstören, nachdem er sie fotografiert hatte. Die Fotos ließ er auf die Originalgröße vergrößern, rahmen und sie hängen nun an der Wand, als die Originale, die wiederum in einer Mülltonne liegen - eine Art "doppelter Kitsch", wie er selbst sagte.

    Herzstück der Schau ist aber Kippenbergers größte und selten gezeigte Rauminstallation "The Happy End of Franz Kafka's 'Amerika'" von 1994, mit der er den Fragment gebliebenen Roman Kafkas sozusagen zu Ende schreibt. Noch einmal Doris Krystof:

    " Im Roman geht es darum, dass der Protagonist Karl Rossmann zum Schluss seiner Reise durch Amerika in eine ganz surreale Situation gelangt. Es wird nämlich verhießen, ein großer Zirkus sei in der Stadt und Mitarbeiter seien gesucht, Künstler. Jeder wird gebraucht, jeder kann hier Anstellung finden, und dieses utopische Setting von massenhaft zu führenden Einstellungsgesprächen, die alle positiv verlaufen - das hat Kippenberger dazu angeregt, diese große Installation anzufertigen."

    Auf einem 14 mal sechs Meter großen grünen Fußballfeld steht ein Sammelsurium von 50 Tischen und 100 Stühlen, an denen die Einstellungsgespräche stattfinden sollen. An zwei Seiten des Feldes stehen wie im Stadion Sitzbänke, von denen aus die Besucher die imaginären Interviews verfolgen können. Ein Happy End bei Kafka? Das ist nur in meiner Kunst möglich, scheint Kippenberger sagen zu wollen. Doch auch fürs eigene Leben erhoffte er sich ein solches Happy End. Vergeblich, denn mit 44 Jahren starb er 1997 an Leberkrebs, den er - bewusst - vernachlässigte.

    Tate Modern, bis 14. Mai 2006. Anschließend: K21, Düsseldorf, 10. Juni bis 10. September 2006