Mittwoch, 08. Mai 2024

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Präsidentenwahl in Österreich
"Man muss die Ängste ernst nehmen"

Bei der Präsidentenwahl in Österreich hat der Rechtspopulist Norbert Hofer fast die Hälfte der Stimmen erhalten. Viele Leute in Österreich hätten den Eindruck, dass sich die Parteien immer weniger um ihre Belange kümmerten, sagte der Historiker Philipp Blom im DLF. Das Leben werde unsicherer und man suche nach Schuldigen dafür. Die FPÖ biete den Menschen solche Schuldigen an.

Philipp Blom im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 23.05.2016
    Philipp Blom lacht
    Philipp Blom: "Die Wahl für van der Bellen ist eine urbane Wahl" (Alejandro Garcia, dpa picture-alliance)
    Doris Schäfer-Noske: Österreich hat einen neuen Bundespräsidenten gewählt - schon gestern, doch wer gewonnen hat, das wurde erst heute Nachmittag nach der Auszählung aller Briefwahlstimmen klar. Der parteilose Kandidat Alexander van der Bellen ist der Sieger. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hat dagegen verloren. Auch der Rechtspopulist hat allerdings fast die Hälfte der Stimmen erhalten. Klar ist also auch bei einem Bundespräsidenten van der Bellen, dass die österreichische Gesellschaft tief gespalten ist. - Frage an den Autor und Historiker Philipp Blom, der seit einigen Jahren in Wien lebt: Herr Blom, wie kommt es denn, dass so viele Wähler für einen Kandidaten gestimmt haben, der offen gegen Homosexuelle, Flüchtlinge und Muslime wettert?
    Philipp Blom: Das ist ein europäisches Phänomen. Das ist nicht nur ein österreichisches Phänomen. Das haben Sie mit der AfD, das haben Sie mit Marine Le Pen und so weiter und so fort. In Österreich war es noch stärker als in anderen Ländern, so dass sich die beiden sogenannten Volksparteien, also die Sozialisten und die Konservativen, die Macht wirklich nach einem auch so genannten Proporzsystem eigentlich untereinander aufgeteilt haben, und zwar die politische Macht und auch die Posten, die daran hingen, und viele Leute hier haben den Eindruck, dass sich die Parteien immer weniger um ihre Belange gekümmert haben. Das ist vielleicht kein richtiger Eindruck, aber bei einem Eindruck zählt meistens nicht, ob er richtig ist, sondern nur, dass er besteht.
    "Die ländlicheren Regionen haben fast zu zwei Dritteln für Hofer gestimmt"
    Schäfer-Noske: Was drückt denn das Ergebnis dieser Stichwahl aus? Ist das die Suche nach neuen Eindeutigkeiten, also die Suche nach einem starken Mann?
    Blom: Es ist sicherlich die Suche nach neuen Eindeutigkeiten. Journalisten hier schreiben, man darf die Wähler der FPÖ nicht als ungebildet oder provinzlerisch verteufeln. Aber wenn Sie sich die Daten ansehen: 60 Prozent der Männer wählen FPÖ und je weniger Bildungsqualifikationen sie haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie FPÖ wählen, und wenn Sie sich die Landkarte ansehen, dann ist die Wahllandkarte von gestern fast solide blau mit grünen Einsprengseln, und die grünen Einsprengsel sind genau da, wo Städte sind. Die Wahl für van der Bellen ist eine urbane Wahl und die ländlicheren Regionen haben oft fast zu zwei Dritteln für Hofer gestimmt.
    Schäfer-Noske: Als Erklärung wird immer wieder die Angst genannt, die Angst vor Überfremdung oder vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Der österreichische Schriftsteller Clemens Setz warnt jedoch vor diesen Ängsten, denn die sind für ihn Todschlagargumente. Wenn man nämlich sagt, ich hab halt Angst, dann sei das genauso, wie wenn man sagt, es ist Gottes Wille. Was meinen Sie, Herr Blom? Wie ernst muss man diese Ängste nehmen?
    "Die FPÖ, der einzige Freund des kleinen Mannes"
    Blom: Man muss die Ängste ganz einfach ernst nehmen, weil in einer Demokratie zählt, was das Wahlvolk denkt und fühlt. Und diese Ängste sind real, diese Ängste werden an Flüchtlingen festgemacht. Meiner Ansicht nach sind diese Flüchtlinge ein Symptom einer Veränderung, nicht die Veränderung selbst, und diese Veränderung ist Globalisierung, diese Veränderung ist die internationale Finanzwirtschaft, diese Veränderung ist auch Klimawandel. Und das heißt, dass sich in unseren Gesellschaften sehr viel ändern wird, sehr viel sehr radikal ändern wird. Darin versagt die Politik in eigentlich allen europäischen Ländern, das offensiv anzusprechen und ihren Wählern und Wählerinnen zu erklären, und deswegen greifen die Leute nach einfacheren Erklärungen, denn sie sehen, wer heute ein normales Mittelklassenleben lebt, der lebt schlechter als vor 10 oder vor 20 Jahren, die jüngeren Leute kriegen keine Jobs mehr oder nur noch weniger Jobs, das Leben wird unsicherer und man sucht nach Schuldigen dafür. Und da bietet die FPÖ solche Schuldigen an, diese Schuldigen heißen Flüchtlinge, diese Schuldigen heißen auch, wie Herr Hofer das so charmant formulierte, die Hautevolee, womit er meinte, alle Leute, die in den Städten wohnen und ein bisschen gebildet sind und vielleicht auch reisen und ein bisschen weltoffener sind, und das sind diejenigen, die so verschwörungsgleich das wahre Volk betrügen und zum Narren halten und auch klein halten, und da ist die FPÖ der einzige Freund des kleinen Mannes.
    Schäfer-Noske: Nach der Orbánisierung Europas hat auch Österreich Grenzkontrollen am Brenner angekündigt. Die Balkan-Route ist zu. Wird denn diese, von Angst getriebene Gesellschaft weiter zu einer Verstärkung der Wagenburgpolitik führen?
    Blom: Das ist durchaus möglich. Und man darf nicht vergessen: Auch wenn der grüne Kandidat Alexander van der Bellen gewonnen hat, dann heißt das noch nicht, dass er eine Regierung Strache wird verhindern können. Er hat gesagt, er würde einen FPÖ-Politiker nicht angeloben als Kanzler, aber das heißt letztendlich nur, dass es dann eine Regierungskrise und eine Neuwahl gäbe. Aber wie gesagt: Das ist kein rein österreichisches Phänomen. Das gibt es in vielen europäischen Ländern und die Rhetorik, die Herr Hofer gebraucht, ist der Rhetorik, die Herr Trump gebraucht, sehr ähnlich. Es braucht wirklich ein Wiedererwachen der liberalen Kräfte, die begreifen müssen, dass es zwar wichtig und schön ist, sich über Transgender-Toiletten zu unterhalten, aber letztendlich geht es jetzt wirklich um das Retten der Demokratie. Denn ich bin Historiker und ich kann Ihnen sagen: Im Mai 1914 hat auch niemand vorausgesehen, was passieren würde, und es ist deswegen ein ganz grober Fehler anzunehmen, das Schlimmste kann nicht passieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.