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Premiere am Theater Oberhausen
Neustart mit Tabubrüchen

Eine total verkommene Familie: In "Schimmelmanns" soll vorgeführt werden, welche Gefahr Deutschland droht, wenn sich die gesellschaftlichen Diskurse weiter radikalisieren. Der Autor, der das Stück als "Dramödie" bezeichnet, wählt dafür die Form eines grotesk überspitzten Gruselkabinetts - Tabubrüche inbegriffen.

Von Dorothea Marcus | 23.09.2017
    Das Theater Oberhausen aufgenommen am 18.02.2012 in Oberhausen.
    Will das Haus öffnen und politischer positionieren: Neustart für das Theater Oberhausen mit Intendant Florian Fiedler (dpa / Caroline Seidel)
    Ein schickes Mittelstands-Wohnhaus, hinten Bretterkulisse, hinter denen die Figuren hervorschnellen wie Kasperlefiguren. Michael Frayns Boulevard-Komödie "Der Nackte Wahnsinn" lässt grüßen. Doch zuerst wird die Höhe markiert, aus der Deutschland fallen könnte: Originalaufnahmen der Nürnberger Kriegsprozesse werden eingeblendet, der Endpunkt von Hitlers verbrecherischem Zivilisationsbruch. Eigentlich ein Allgemeinplatz, der da in Erinnerung gerufen wird. Dann geht der Vorhang auf, und am Seil in der Höhe zappelt: Toni Schimmelmann, ein Sohn der Familie, schuftet in Amerika als Zirkusclown für eine ehemalige SS-Größe - und muss Satin-glänzende Auschwitz-Häftlingskleidung tragen. Über dem Teich geht man mit dem Holocaust irgendwie doch entspannter um als hierzulande.
    Ihre Mutter ist am Telefon. Beerdigung Ihres Großvaters. Sie haben ihr immer noch gesagt, dass Sie nicht kommen. Das geht Sie nichts an! Sagen Sie, für den Flughafen wurde eine Terrorwarnung ausgesprochen … Ja, mit meinem Urgroßvater haben Sie Juden vergast…
    Toter Nazi-Großvater erscheint als Schatten
    Mit Tabubrüchen, die den Atem stocken lassen, geht es weiter: Triumphale Seifenoperhymnen begleiten Mutter Rosi, Söhne Siegfried und Felix, Tochter Klara, Schwiegertochter Gerlinde zur Beerdigungsfeier, der tote Nazi-Großvater erscheint als projizierter Schatten mit Fackel auf der Wand. Bühnentechnisch haben sich Regisseur Florian Fiedler und seine Bühnenbildnerin Marie-Alice Bahra einiges einfallen lassen. Schick in Szene gesetzt ist diese feine Familie, die Raubkunst in der Wohnung hängen hat, gegen Flüchtlinge hetzt und sie zugleich ausbeutet.
    Ihr brennt nur die Heime der Konkurrenz nieder, und keine Asylanten, ist das klar? Ich brauch die Syrer für meine Firma. Wir brauchen deine Heime nicht anzuzünden. Es sind genug Heime zum Anzünden da! Heute Nacht restaurieren wir das deutsche Land! Meine nationale deutsche Armee wird Deutschland heute noch befreien. Mama. Ohne die Flüchtlinge käme die Mama mit dem Putzen gar nicht mehr hinterher. Die Flüchtlinge sind auch eine große Hilfe! Gewöhn dich lieber nicht daran! Die machen hier nur ein Praktikum. Wäre doch noch schöner, wenn wir die dafür bezahlen, dass die nicht zerbombt werden. Och. Ich hab meine Mutter vergessen. Die wartet seit sechs im Pflegeheim! Die weiß doch gar nicht dass sie seit drei Stunden wartet! Die zieht noch ihren Rock hoch und kackt mir in die S-Klasse.
    Rassistische Fäkalsprache
    Eine Altnazi-AfD-Familie, die alles ausspricht, was in Deutschland zur Zeit mal gesagt werden muss, meist eher im Internet. Lautstark und klamaukig werden die Bösartigkeiten des gierigen, selbstgerechten Deutschen von der Bühne gebrüllt, Vergewaltigung und Kindesmissbrauch kommen auch noch dazu. Als "Hilfeschrei" hat Autor Salazar sein Stück bezeichnet, das er laut Programmheft schrieb, nachdem die AfD in Sachsen 22 Prozent erreichte. Mit rassistischer Fäkalsprache soll hier vorgeführt werden, welche Gefahr Deutschland droht, wenn sich die gesellschaftlichen Diskurse weiter radikalisieren.
    Aber wem will man mit dieser Holzhammermethode überhaupt etwas mitteilen? Sicher nicht dem wohlmeinenden Bürgerpublikum, das da in Oberhausen den Theaterneustart erwartet. Er habe sich den "Nazi-Kleinbürger in sich selbst" herausschreiben wollen, sagt der Autor Salazar im Schlussmonolog des Stücks, den man in Oberhausen leider gestrichen hat. Er wäre vielleicht doch sinnvoll gewesen. Denn so ungefiltert begibt sich der wütende Autor mit dieser womöglich sogar justiziablen Sprachverschmutzung auf die gleiche Erregungsebene, die er kritisiert. Da nützt auch der distanzierte Trash-Sprachgestus der Schauspieler nichts, und auch nicht die etwas bemühten philosophischen Diskurs-Einsprengsel der Frankfurter Schule. Auch zum Lachen reizt das grotesk überspitzte Gruselkabinett, vom Autor als "Dramödie" bezeichnet, nie. Dass das neue Team in Oberhausen spannende Ideen und Projekte für die Stadt umsetzen will, man ahnt es. Mit dieser Aneinanderreihung von brachialen Tabubrüchen hat man der Sache leider eher geschadet.