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Premieren Residenztheater München
Dramatische Zeiten brauchen Dramatik

Am Münchner Residenztheater setzt Intendant Martin Kusej auf politisches Theater und eröffnet die neue Spielzeit mit Schillers "Räubern" und Sartres "Schmutzigen Händen". Gleich zwei Stücke, die nach der Legitimation politischer Gewalt fragen. Großartiges Theater zum Saisonauftakt, findet Theaterkritiker Sven Ricklefs.

Von Sven Ricklefs | 25.09.2016
    Das undatierte Probenfoto zeigt eine Szene aus der neuen Inszenierung von «Die Räuber» am Residenztheater in München (Bayern). Die Inzenierung von Ulrich Rasche feiert am 23.09.2016 Premiere.
    Premiere «Die Räuber» (dpa / picture alliance / Andreas Pohlmann / Residenztheater München)
    Wenn das fahle Licht aufflammt, sieht man auf der Bühne zwei in sich gestapelte Gefängniskäfige. In der Mitte hängt eine Bahre schräg im Raum, darauf wird gleich der tote Körper von Hoederer liegen, die Arme zur Seite hängend, wie gekreuzigt. Regisseur Martin Kusej liebt starke Bilder. Und immerhin ist Hoederer, der politische Taktiker mit den schmutzigen Händen, ja tatsächlich umgebracht worden: Von Hugo, dem jungen Intellektuellen aus gutem Hause, der als gewaltbereiter Anarchist seine Herkunft vergessen will. Der Auftrag kam von der Partei, die die Reinheit der Idee in Gefahr sieht, weil Hoederer im Kampf um die Macht und zum Verhindern von Blutvergießen durchaus auch zum Pakt mit dem politischen Feind bereit ist. Erzählt, wie sich Idealismus und Pragmatismus hier gegenüber stehen, wird im Rückblick:
    Hugo: "Ich bin in die Partei gekommen, weil sie für die gerechte Sache eintritt. Und ich werde sie verlassen, wenn sie das nicht mehr tut. Und was Menschen angeht: Nicht wie sie sind, interessiert mich, sondern, was sie werden können."
    Hoederer: "Und ich liebe sie so wie sie sind. Mit all ihren Sauereien, mit all ihren Lastern. Ein Mensch mehr oder weniger auf der Welt: Für mich zählt das Hugo. Das ist kostbar!"
    Und so diskutieren sie sich durch die Eindeutigkeiten dieses Stückes, das nur noch höchst selten aufgeführt wird, was wohl vor allem an seiner Thesenhaftigkeit liegt. Die allerdings scheint den Intendanten des Münchner Residenztheaters, Martin Kusej, nicht gestört zu haben. Mit großer Ernsthaftigkeit und der ganzen Verve seiner wie immer zupackenden Regiehand hat er "Die schmutzigen Hände" auf die Bühne gehievt und lässt sie in zwei Stunden in seiner Käfiglandschaft abspielen. Trotzdem spürt man von diesen Figuren, die da teilweise mit plakativ großen Wunden am Körper durch die Geschichte laufen, eher wenig, was sicherlich auch daran liegt, dass sie einem in ihrer Käfiglandschaft merkwürdig entrückt sind.
    Dass Martin Kusej seinem Residenztheater in den gegenwärtigen brisanten Zeiten eine bewusst politische Note geben will, ist ihm hoch anzurechnen, dass bei diesem Plan nicht alles zünden kann oder wird, ist dabei nur selbstverständlich. Doch einen Paukenschlag kann Kusej bereits verbuchen, denn eröffnet wurde die Spielzeit schon am Freitag mit Schillers "Räubern" in der Inszenierung von Ulrich Rasche.
    "Nicht die Welt ist verloren, wir haben die Welt verloren. Und verlieren sie unaufhörlich. Nicht die Welt wird bald zu Ende gehen. Wir sind am Ende."
    Und auch hier ein Theater der starken Setzungen: Da ragen gigantische Laufbänder schräg in den Bühnenhimmel und dominieren den Raum wie in einem Maschinentheater. Da marschieren auf diesen Laufbändern die Räuber im martialischen Gleichschritt und skandieren nicht nur ihre Mordgelüste, sondern auch Passagen aus dem Manifest "Der kommende Aufstand", das in Frankreich trotz oder gerade wegen seines eher diffusen Aufrufs zum Aufruhr vor einigen Jahren für Aufsehen sorgte. Da tragen auch die Gebrüder Franz und Karl Moor ihren Geschwisterzwist auf diesen Laufbändern aus und kommen dabei nicht wirklich von der Stelle. Und: Da sorgt der von Ari Benjamin Meyers durchkomponierte - und auf vier Musiker und drei Stimmen verteilte Soundteppich für Rhythmus und Emotion und koppelt so Überwältigungswucht mit einer martialischen Ästhetik, die mit Schwarz-Weiß-Kontrasten, Nebeleffekten und nackten Muskeln umzugehen weiß. Ohne dabei konkret zu werden, verweisen diese "Räuber" damit natürlich auch auf unsere unmittelbare Gegenwart, in der sich nicht unerhebliche Strömungen wieder in dumpfer Polemik und Gewalt gefallen. Und so ist diese Schillerinszenierung durchaus ambivalent in ihrer Wirkung und zugleich; großartiges Theater, das diesen Saisonauftakt am Münchner Residenztheater tatsächlich zu einem Ereignis macht.