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Pro Woche ein neues Kohlekraftwerk

Noch im Jahr 2000 verbrauchten die USA dreimal so viel Energie wie China. Nun hat die Volksrepublik aufgeholt. Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, hofft, dass sich auch China bald der umweltschonenden Energieerzeugung zuwenden wird.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Georg Ehring | 20.07.2010
    Georg Ehring: China hat die USA beim Energieverbrauch überholt. Die Volksrepublik habe im vergangenen Jahr eine Energiemenge konsumiert, die 2,3 Milliarden Tonnen Öl entspricht, sagte der Chefvolkswirt der Internationalen Energieagentur Fatih Birol. Wie schnell der Energieverbrauch Chinas wächst, das zeigt auch ein Blick in die nahe Vergangenheit: Noch vor zehn Jahren konsumierten die USA dreimal so viel Energie wie China. Diese Entwicklung verändert die Energiemärkte der Welt, und sie ist auch ein Problem für den Klimaschutz. Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Professor Claudia Kemfert gesprochen. Sie ist Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW. Ich habe sie zunächst gefragt, ob sie erwartet, dass Chinas Energieverbrauch weiter so schnell wächst.

    Claudia Kemfert: Ja, leider muss man sagen, denn dieses Land wächst ja enorm, wie manch andere Schwellenländer auch, aber China besonders stark. Und das, was wirklich Sorgen macht, ist natürlich einerseits, dass sie nicht die Techniken haben, um zum Beispiel auch beim Ölverbrauch uns zu entkoppeln, dass China auch Mobilität nutzt, die eben kein Öl mehr verbraucht, was wir jetzt auch bei der Ölkrise natürlich sehen. Und der zweite Punkt ist die Kohle, denn China verbraucht unglaublich viele Kohle, 70 Prozent der Energieproduktion in China kommt aus der Kohle, und das ist natürlich ein großes Problem für den Klimaschutz. Und deshalb brauchen wir neue Techniken, wie zum Beispiel auch die saubere Kohle oder die Abscheidung von CO2 und die Einlagerung sogenannter Carbon Capture and Storage, eine deutsche Technik, die wir auch China anbieten können. Und da liegt, glaube ich, auch der Schlüssel in der Technologie.

    Ehring: Nun müssen wir eine kleine Einschränkung machen: Pro Kopf der Bevölkerung ist der chinesische Energieverbrauch noch weit hinter dem, was zum Beispiel die USA haben oder auch, was Deutschland hat.

    Kemfert: Ganz richtig, und darauf beruft sich China ja auch immer. Denn es ist natürlich richtig, dass Amerika unglaublich viel Energie immer noch verschwendet, pro Kopf deutlich, deutlich über China liegt, auch Europa. Obwohl wir deutlich besser sind, müssen wir sagen, wir sind deutlich effizienter. Aber China hat natürlich hier ein Problem, wenn es dieses Wachstum aufrechterhält, wie es die Energieversorgung auch sicherstellen wird. Das hat dann Auswirkungen auch bei uns, weil wir sind natürlich abhängig von den globalen Energiemärkten.

    Ehring: Geht das überhaupt, werden da die Rohstoffe nicht so schnell erschöpft, lässt sich die Ölförderung zum Beispiel und auch die Kohleförderung so schnell überhaupt steigern?

    Kemfert: Also beim Öl haben wir in der Tat ein Problem, bei der Kohle nicht. Öl, das haben wir jetzt ja gesehen, kann ja auch Probleme machen, ist eine riskante Förderung, die wir gerade in der Tiefsee sehen, und Öl wird immer knapper und teurer – und gerade weil wir es nicht geschafft haben, alternative Techniken an den Markt zu bringen, insbesondere im Bereich Mobilität. Bei Kohle ist es anders, die gibt es noch für die nächsten 200 Jahre auch in ausreichendem Maße in der Welt. Aber wenn wir die gesamte Kohle verbrennen, haben wir natürlich ein enormes Klimaproblem, und da brauchen wir technologische Lösungen.

    Ehring: Wenn Chinas CO2-Ausstoß so rasant wächst, werden dann nicht sämtliche Klimaschutzanstrengungen zunichte gemacht durch den wachsenden Ausstoß von China – und es gibt ja noch mehr Schwellenländer, zum Beispiel Indien, die auf einem ganz ähnlichen Pfad sind?

    Kemfert: Ja, wir müssen auf jeden Fall es schaffen, dass wir einerseits den Energieverbrauch entkoppeln vom Wirtschaftswachstum und andererseits auch neue Techniken einsetzen, die wirklich CO2-frei sind. Das sind zum einen die erneuerbaren Energien, Energieeffizienz, aber auch die Mobilität, die weg muss vom Öl, und letztendlich eine saubere Kohle, also eine umweltfreundliche Kohletechnik. Nur mit diesen Lösungen können wir das schaffen, dass wir auch global gesehen in den nächsten 20, 30 Jahren es schaffen, zumindest die Treibhausgase nicht weiter steigen zu lassen. Denn im Moment steigen sie natürlich weiter an, gerade weil wir so viel Kohle verbrennen, auch in China und anderen Schwellenländern, und das ist letztendlich das Problem. Und da müssen wir weg und neue Techniken an den Markt bringen.

    Ehring: Die saubere Verbrennung von Kohle ist aber doch noch nicht serienreif und sie gilt als enorm teuer und eigentlich unwirtschaftlich. Muss man da trotzdem drauf setzen in China?

    Kemfert: Ja, wir haben gar keine andere Chance. 70 Prozent des Energieverbrauchs wird halt aus Kohle in China gewonnen, in Indien ganz ähnlich, und die Kohle gibt es noch für die nächsten 200 Jahre. Deswegen brauchen wir Techniken, wo wir zumindest einen Teil dieser CO2-Emissionen einfangen und einlagern. Die Technik ist noch nicht erforscht, das ist richtig, das ist eine deutsche Lösung, die wir auch anbieten können, auch China anbieten können als Exportschlager, aber wir müssen es erforschen, auch sehen, was macht das CO2, wenn wir es einlagern. Es ist kein Endlager in dem Sinne wie bei Atommüll, aber es muss natürlich erforscht werden, ähnlich wie Gas, was wir auch einlagern können. Und deshalb brauchen wir diese Technik, insbesondere weil wir nicht wollen, dass der Klimawandel unbegrenzt fortschreitet.

    Ehring: Wie sehen Sie denn die Bereitschaft Chinas, sich auf einen solchen Pfad zu begeben und zum Beispiel verbindlichen Klimaschutzzielen zuzustimmen?

    Kemfert: Ja, China wird sich immer darauf berufen zunächst in den nächsten Jahren, dass sie pro Kopf gesehen weit unter unseren Größenordnungen liegen, insbesondere auch bei Amerika, die ja deutlich mehr CO2-Emissionen per Kopf ausstoßen als China. Aber ich sehe schon Hoffnung, ich sehe auch Bereitschaft insbesondere, weil China auch sieht, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein kann, in Klimaschutztechniken zu investieren, sei es im Bereich Mobilität, zum Beispiel Elektromobilität, sei es im Bereich Photovoltaik, auch Sonnenenergie, wo China mittlerweile auch schon Marktführer ist, oder auch in anderen Energiebereichen und auch Infrastruktur und Energie und Dateninfrastruktur. Da, glaube ich, wird man China auch gerade, weil sie so stark wachsen und auch einen Wirtschaftsfaktor haben, dann auch sehen, dass man sie darüber bekommt, sei es jetzt nicht über verbindliche Klimaschutzziele, aber zumindest über den Wettbewerbsfaktor. Und das nützt uns ja auch und das nützt letztendlich auch dem Klima.

    Ehring: Wie lange kann sich das Weltklima denn leisten, dass Chinas CO2-Ausstoß weiter wächst, und wie lange wird es wahrscheinlich weiter wachsen Ihrer Meinung nach?

    Kemfert: Ja, dadurch, dass wir sehen, dass in China derzeit pro Woche noch immer ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht, durchschnittlich gesprochen, wissen wir, dass wir in den nächsten 30, 40 Jahren auf jeden Fall steigende CO2-Emissionen in China sehen werden. Danach müssen wir den Turnaround schaffen, wir müssen deshalb jetzt die Techniken erforschen, sie auch anbieten, gerade im Bereich Mobilität und Kohle. Also Kohle ist hier der elementare Faktor. Und wenn wir das schaffen und auch hinbekommen, einerseits saubere Kohle, andererseits die erneuerbaren Energien oder auch andere Techniken im Bereich Stromerzeugung zu haben und auch einzusetzen, dann können wir auch im Bereich Klimaschutz etwas sehen und die Treibhausgase dann nach 2030 auch wirklich senken. Denn das müssen wir schaffen, sonst wird ein irreversibler Klimawandel kommen.

    Ehring: Herzlichen Dank! Das war Professor Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.