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Progressive Rock (Teil 1)
Steven Wilson - virtuos auf Weltniveau

Steven Wilson macht Musik, die ihre Blütezeit Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre hatte: "Prog Rock". Progressive Rockmusik wurde von englischen Bands wie King Crimson, Genesis oder Yes vor 45 Jahren populär gemacht. Bei seinem Kölner Konzert zeigte sich Steven Wilson mit seinen Bandkollegen jedoch auf der Höhe der Zeit.

Am Mikrofon: Carlo May |
    Die Kompositionen waren höchst kompliziert und es brauchte ausgesprochen virtuose Musiker, um sie umzusetzen. Steven Wilson hat sich für seine Plattenaufnahmen und vor allem für seine Konzerte einige der besten Musiker gesucht, die es gegenwärtig wohl gibt. Bei seinem Auftritt in Köln spielte Guthrie Govan Gitarre, Marco Minnemann saß am Schlagzeug, Adam Holzman an den Keyboards und Nick Beggs am Bass. Steven Wilson selbst sang, spielte Gitarre und Keyboards. Ein fesselnder Auftritt.
    Aufnahme vom 20.3.15 im E-Werk in Köln.
    (Teil 2 am 11.9.15)
    Interview mit Steven Wilson
    "Das Album "Hand. Cannot. Erase", von dem wir im Konzert einige Songs spielen, erzählt eine moderne Geschichte: Eine Frau lebt mitten in der Großstadt, im Herzen von London, umgeben von Millionen Menschen, aber eines Tages verschwindet sie einfach und niemand bemerkt es. Es ist also eine Geschichte über Isolation und vor allem den Gedanken, dass wir im modernen Zeitalter glauben, wir wären durch diese sozialen Netzwerke unglaublich miteinander verbunden. Aber in Wirklichkeit sind wir zugleich auch mehr isoliert als je zuvor. Denn die echte Interaktion von Angesicht zu Angesicht wird immer seltener.
    Ja, es ist ein Konzeptalbum, das eigentlich nur im Ganzen Sinn macht. Aber ich wäre nicht sauer, wenn jemand nur Teile davon hören würde. Denn ich freue mich über jeden, den ich irgendwie mit meiner Musik erreiche. Als Musiker des 21. Jahrhunderts ist es ja schwer, überhaupt jemanden zu erreichen, Aufmerksamkeit für irgendetwas zu bekommen. Jeder einzelne Hörer bedeutet einen kleinen Erfolg. Aber natürlich: Wenn ich schon mal jemanden erreicht habe, würde ich ihr oder ihm auch sagen: Du weißt schon, dass Du hier ein Konzeptalbum hörst und nicht wirklich alles, den ganzen Sinn dahinter mitbekommst, oder? Wer beginnt denn ein Buch oder einen Film in der Mitte? Und bei dieser Art progressiver Musik mit einem Konzept, mit einer Erzählstruktur macht es ja schon den meisten Sinn, alles komplett zu hören.
    Als musikalische Reise konzipiert
    Auf der anderen Seite ist das wiederum das Schöne: Man kann das eben auch mit Musik machen. Mit einem Film oder einem Buch geht das nicht, bei Musik kann man sich gezielt das herauspicken, was man gerade haben möchte. Aber bei meiner Art von Musik, meinem Ansatz und der Philosophie dahinter ist es eigentlich schwierig, da sie eigentlich als Erzählung, als musikalische Reise konzipiert und gedacht ist. Klar, bei einem Konzert reiße ich die Musik zum Teil auch aus ihrem Zusammenhang, da wir ja das Album ja nicht von vorne bis hinten durchspielen. Ich würde also sagen: Hey, hör' es doch so, wie ich es mir gedacht habe, aber ich freue mich natürlich, dass Du überhaupt zuhörst.
    Ich mache einfach meine Musik, meistens kann ich das beim Schreiben gar nicht beeinflussen, die Musik oder zuerst die Texte sind einfach da. Ich betrachte meine Songs auch nicht als schwierig oder sperrig, wie es konzeptionellem Progressive Rock ja oftmals zugeschrieben wird. Ich sehe sie als Popmusik: sie ist zugänglich, melodisch. Und sie funktioniert – so ungern ich das auch manchmal wahrhabe – auch ohne Texte. Denn Musik wirkt durch Melodie, Harmonien, Rhythmus. Einfach durch die gesamte Atmosphäre, die gesamte Struktur von Musik erfasst einen emotional. Das sollte also auch ohne Texte funktionieren.
    Musik ohne Voraussetzungen
    Mir war immer bewusst, dass jede Musik, die intellektuellen Anschub benötigt, nachgerade sinnlos ist. Ich bin überzeugt, dass Popmusik genauso ernsthaft ist wie Klassik oder Avantgarde, was auch immer! Ich war immer schon ein ebenso großer Fan von ABBA wie von Karl-Heinz Stockhausen, schon immer, habe diesen Snobismus gegenüber populärer Musik nie verstanden. Vielmehr mag ich diese These: Man benötigt nichts, um durch Musik weiter voran zu kommen."
    Interview: Tim Schauen