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Proteste in Hamburg
"Es gibt einen von der Polizei entfachten Zorn, der sich dann manchmal entlädt"

Bei Demonstrationen für den Erhalt des linken Kulturzentrums Rote Flora in Hamburg ist es zu schweren Krawallen gekommen. Die Polizei wirft den Protestierenden vor, massive Gewalt ausgeübt zu haben. Das sei die typische Dämonisierung eines Protestes, kritisiert dagegen der linke Publizist Thomas Ebermann im DLF-Interview. Es habe kein "Klima des Entglasens" gegeben.

Thomas Ebermann im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Hansestadt Hamburg hat am Samstag die wohl schlimmsten Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Polizei seit Jahren erlebt. 7.000 oder bis 10.000 Demonstranten wollten sich mit einer Kundgebung für das alternative Kulturzentrum Rote Flora einsetzen. Dann aber eskalierte das Ganze. Über 120 Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt. Wie viele Demonstranten Blessuren erlitten, darüber gibt es keine verlässlichen Angaben. Polizei und Vertreter von CDU, SPD und FDP in der Bürgerschaft in Hamburg prangern eine blinde Zerstörungswut der Autonomen an. Grüne und Linke geben auch der Polizei eine Mitschuld. Sie habe die Demonstration von Beginn an behindert und gezielt sich nicht entfalten lassen.
    In Hamburg begrüße ich Thomas Ebermann. Er war einst bei den Grünen, bei der Grün-Alternativen Liste, die er mitbegründet hat Anfang der 80er-Jahre. Dann ist er ausgetreten als Vertreter des linken Flügels, heute ist er Publizist und schreibt satirische Texte. Guten Tag, Herr Ebermann.
    Thomas Ebermann: Guten Tag.
    Meurer: Sie waren am Samstag bei der Demonstration mit dabei.
    Ebermann: Ja.
    Meurer: Wie haben Sie das alles erlebt?
    Ebermann: Na ja, wenn man einige Erfahrung hat und, ich weiß nicht, 14:30 Uhr da so aufläuft im Schulterblatt, dann hat man die erste Ahnung: Wir sollen heute keinen Meter demonstrieren. Wir werden faktisch eingekesselt werden, und diese, meine Prognose hat sich dann ja auch bestätigt. Es wird einem ein Gefühl von Ohnmacht, Machtlosigkeit vermittelt, wenn man gute drei Stunden rumsteht, sich nicht bewegen kann. Die Menschen, die da Verantwortung tragen, von der Demoleitung, vom Lautsprecherwagen, geben dann durch, was man erwartet, dass wir besonnen und entschlossen sein sollen, machen wir ein bisschen agitatorische Reden und informieren die Demonstranten darüber, wie es um die Verhandlungen mit der Polizei steht und Ähnliches.
    "Dies ist eine faktische Einkesselung einer Demonstration"
    Meurer: Was sagen Sie denn zu der Argumentation der Polizei, die sagt, wir sind von Beginn an mit Steinen und Bengalos beworfen worden? Was hätte die Polizei tun sollen?
    Ebermann: Na ja, erst mal gibt es ja so etwas wie eine erlaubte Demo-Route. Und wenn ich komme und weiß, das soll jetzt verhindert werden, hier ist Weihnachtszeit angesagt, dann ist es einfach mir klar gewesen, ganz unabhängig davon - Sie können sich ja vorstellen in meinem Alter, dass ich da nicht der hyperaktive Militante war an so einem Tag, sondern mit guten alten Bekannten da rumgestanden habe und, ich glaube, vier-, fünfmal auch eine Parole gerufen habe. Man wusste einfach, dies ist eine faktische Einkesselung einer Demonstration. Und dass einen das zornig macht, dass man sich nicht abfinden will damit, dass dann um 17:30 Uhr die Durchsage kommt, die Polizei hat dies beendet oder aufgelöst, geh nach Hause, das finde ich hoch plausibel. Es ist eher mein Alter und mein kaputtes Knie, dass ich dann auf der Reeperbahn nicht mit rumlaufen kann.
    Meurer: Macht Sie denn nicht auch zornig, was die Autonomen gemacht haben, die Gewalt gegen Polizisten und das Entglasen, das Einwerfen von Schaufensterscheiben?
    Ebermann: Aber das ist doch völlig klar, dass ich von einzelnen Aktionen immer eine schlechte Meinung habe. Es ging von den Veranstaltern nicht aus und wir wissen, dass im Nachhinein immer, wenn vor dem eine Dämonisierung stattgefunden hat, diese Behauptung aufgestellt werden muss. Denken Sie einfach mal, an wie vielen nicht erlaubten Demonstrationen ich in meinem Leben teilgenommen habe. Einiges kann man jetzt sagen und wird dafür gelobt, denken Sie an die verbotenen Demonstrationen gegen Atomkraftwerke in den 70er-Jahren zum Beispiel, oder gegen die Wiederaufbereitungsanlage. Der Rhythmus ist immer derselbe: Davor werden wir latent als Ausländer stigmatisiert, oder jedenfalls als Zugereiste, oder als Chaoten, oder als Berufsdemonstranten.
    Meurer: Das ist ja alles nachvollziehbar, Herr Ebermann. Rufen Sie die Autonomen auf, Schluss mit der Gewalt?
    Ebermann: Ach, das ist doch Blödsinn. Nein, das tue ich selbstverständlich nicht.
    Meurer: Wieso? Was ist daran Blödsinn?
    Ebermann: Es war eine Bündnisdemonstration, die Demonstrationsleitung hat sich bemüht, das alles in den Bahnen zu halten, die das Bündnis abgemacht hat.
    "Die Autonomen, das ist doch alles Blödsinn"
    Meurer: Und die Autonomen haben sich nicht daran gehalten an diese Leitung.
    Ebermann: Die Autonomen, das ist doch alles Blödsinn. Es ist die Lebenserfahrung der Biografie der Roten Flora, und ich will übrigens sagen, die Menschen, die man Lampedusa-Gruppe nennt, haben etwas Verbotenes gemacht, um überhaupt in Hamburg zu sein und die Chance zu kriegen, vielleicht hier, wenn der Staat sich nicht zu inhuman verhält, einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erlangen.
    Meurer: Die Demo für die Flüchtlinge lief friedlich. So geht es auch.
    Ebermann: Ja! Es gibt solche und solche und es gibt einen von der Polizei entfachten Zorn, der sich dann manchmal entlädt. Wenn Sie jetzt einfach denken, Sie müssten berichten aus der Ukraine, oder aus Thailand - das russische Staatsfernsehen hat eine schlechte Meinung von denen, die da demonstrieren, das deutsche eher eine gute. Also zeigt das russische brennende Barrikaden am Rande und das deutsche zeigt Wladimir Klitschko. Ich kann auch nur sagen: Da wo ich war, war nichts los. Wir haben manchmal durch das Schaufenster des griechischen Restaurants geguckt, wie das Fußballspiel HSV gegen Mainz 05 stand. Es ist doch Blödsinn zu sagen, dass es ein Klima des Entglasens war. Es ist unzutreffend, ganz bestimmt.
    Meurer: Was hilft es - Ihnen geht es ja unter anderem um dieses Kulturzentrum Rote Flora. Was nützt es dann da, die Schaufensterscheiben von der Bezirksverwaltung einzuschlagen und Polizisten zu verprügeln?
    Ebermann: Nein, das nützt nichts. Aber die Rote Flora ist eines der Kulturzentren. Wenn man ein Haus besetzt, hat man zwei Wege: Entweder man wird nach und nach legalisiert, bekommt Planstellen von der Stadt oder dem Land zugewiesen, muss Rechenschaftsberichte schreiben und so etwas. Da habe ich gar nichts gegen. Und es gibt den zweiten Weg: Dann sagt man, wir verhandeln nicht, wir haben es uns genommen und das ist unser autonomer Freiraum. Und die Rote Flora ist in diesen 25 Jahren ihres Bestehens immer wieder damit konfrontiert worden, dass ihre Existenz infrage gestellt wird, und dann haben die Aktivisten der Roten Flora bekannt gemacht, demonstriert, dass dann ganz schön viel Unruhe und Rebellion und Unberechenbares in der Stadt stattfinden wird, und das ist der Hintergrund, dass es sie immer noch gibt. Sehen Sie mal, das ist doch urkomisch. Es ist jetzt 27 Jahre her, da bin ich zu einigen Tausend Mark Geldstrafe verurteilt worden wegen einer Auseinandersetzung mit einem Polizisten, als es noch darum ging, dieses Operetten- oder Musical-Zentrum hier zu verhindern. Und ich weiß noch ganz genau, dass das ungerecht war, was mir da zugefügt wurde.
    "Nur staatsbürgerlich korrekt erreicht man seine Ziele oft nicht"
    Meurer: Man fühlt sich ja überhaupt in eine andere Zeit versetzt: die Hafenstraße, ewig lange Proteste und Besetzungen. Wieso dauert das in Hamburg bis heute alles an?
    Ebermann: Lassen Sie doch nur analytisch an sich heran, dass es auch die Hafenstraße gibt heute, weil damals entschlossen - und ich spreche jetzt bewusst das böse Wort aus -, auch verbotenerweise und ein bisschen militant demonstriert wurde, sodass man also sagen muss, nur mit Petitionen, nur mit staatsbürgerlich korrekt, ich bitte, dass wir nicht geräumt werden, oder wir bitten, dass wir nicht abgeschoben werden, im Falle der Lampedusa-Leute, erreicht man seine Ziele oft nicht.
    Meurer: Die Polizisten, die jetzt verletzt im Krankenhaus liegen, die sehen das anders.
    Ebermann: Ja, ganz bestimmt und auch die Demonstranten, die verletzt sind, und selbstverständlich bin ich Freunden begegnet, die sehr verätzte Gesichter hatten, weil sie in den Strahl des Wasserwerfers gekommen sind, und es ist auch überhaupt nicht meine Rolle, das wäre doch völlig lächerlich, jetzt hier den Barrikadenkämpfer zu geben. Ich wollte nur sagen: Oft - denken Sie an die Demonstration zu Blockupy, oder denken Sie meinetwegen auch an "Stuttgart 23" - kommt doch in den Tagen und Wochen danach erst raus, wie groß die staatliche Repression war, und dann, insbesondere wenn die Demonstranten das Glück hatten, dass auch zwei, drei Journalisten was abbekommen haben, dann relativiert sich die Dämonisierung, die man direkt nach solchen Aktionstagen erlebt, auch erheblich.
    Meurer: Pro und Contra der Tage in Hamburg mit viel Gewalt und mit vielen Verletzten - darüber sprach ich mit Thomas Ebermann, heute Publizist, früher war er Politiker bei den Grünen. Herr Ebermann, danke und auf Wiederhören nach Hamburg.
    Ebermann: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.