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Proteste in Polen
"Die Bürgergesellschaft ist doch sehr stark"

Mit ihrem Vorgehen gegen das Verfassungsgericht habe die neue polnische Regierungspartei PiS eine Grenze überschritten, sagte der Direktor des Willy-Brandt-Zentrums der Universität Breslau, Krzysztof Ruchniewicz, im DLF. Die Demonstrationen der letzten Wochen hätten gezeigt, dass die Bürgergesellschaft in Polen sehr stark sei.

Krzysztof Ruchniewicz im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.12.2015
    Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des WillyBrandt-Zentrums für Deutschschland- und Europastudien der Universität Breslau.
    Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des WillyBrandt-Zentrums für Deutschschland- und Europastudien der Universität Breslau (Wroclaw). (picture alliance / dpa / Lukasz Wolak/Zentrum für Deutschschland- und Europastudien)
    Ann-Kathrin Büüsker: In mehr als 20 Städten in Polen haben am Wochenende wieder Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und gegen den Kurs der nationalkonservativen Regierung demonstriert. Seit Wochen fährt die Partei Recht und Gerechtigkeit von Präsident Duda und Ministerpräsidentin Szydlo einen Kurs, der dahin führt, der dahin führt, dass die Regierung mehr Macht bekommt und alle anderen Verfassungsorgane weniger. Jetzt hat sie offiziell das Verfassungsgericht entmachtet. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Krzysztof Ruchniewicz, Professor an der Universität Breslau und Direktor des dortigen Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien. Guten Tag, Herr Ruchniewicz.
    Krzysztof Ruchniewicz: Guten Tag.
    Büüsker: Herr Ruchniewicz, warum haben die Polen diese Regierung gewählt?
    Ruchniewicz: Die waren zunächst enttäuscht über die PO-Regierung, die Vorgängerregierung. Acht Jahre an der Macht und viele haben mehr oder weniger Stillstand festgestellt und waren auch enttäuscht, wie man zumindest nach außen sagte, von vielen Affären, kleineren und größeren Affären und man wollte mehr oder weniger damit Schluss machen. Die PiS-Partei, die bisherige Oppositionspartei, hat zumindest vor den Wahlen ganz vollmundig angekündigt, die Politik zu verändern, das heißt hat sich sehr moderat gezeigt und hat immer wieder betont, dass sie eine ganz andere Partei ist, dass sie auch Schlüsse gezogen hat aus der Niederlage, die sie vor Jahren noch zu verzeichnen hatte, hat viele Versprechungen auch gemacht, die jetzt die Bürgerplattform nicht machen konnte. Da war in der Tat in diesen Versprechungen die Bürgerplattform, die regierende Partei sehr zurückgezogen und hat zwar Reformen vorgeschlagen, aber viele haben diese Reformen jetzt nicht überzeugt. Dagegen die PiS-Partei, die Oppositionspartei, hat wirklich eine Fülle von Reformen vorgeschlagen und vor allem soziale Versprechungen gemacht, die viele akzeptiert haben, und so ist es auch zu erklären, dass diese Partei letzten Endes gewonnen hat.
    "Da ist eine bestimmte Grenze überschritten worden"
    Büüsker: Die Unzufriedenheit bei den Menschen in Polen ist jetzt aber offensichtlich groß. Die Zustimmungswerte für die PiS sinken. Wir haben am Wochenende viele Demonstrationen gesehen. Zehntausende sind da auf die Straße gegangen, auch gegen die Regierung, aber auch für die Regierung. Ist die Bevölkerung in Polen jetzt tatsächlich so zwiegespalten, wie das aussieht?
    Ruchniewicz: Das ist auch richtig. Ich denke, da muss man dazu sagen, in der Wahlkampagne war keine Rede von diesen grundsätzlichen Reformen, die gerade jetzt stattfinden, Verfassungsreform beziehungsweise die so weit gehen, dass sie die Demokratie in Polen infrage stellen können. Es war mehr die Rede von sozialen Reformen und hier haben viele gesehen, ja das ist vielleicht die Partei, die doch unsere Lage etwas verbessert und so weiter und so fort.
    Hinzu kommt, dass man auch anders fragen muss, wer die PiS-Wähler waren. Es waren vor allem Wähler in den Kleinstädten, denen es nicht so gut gegangen ist und die gesagt haben, na ja, vielleicht können wir mit dieser Partei doch unsere Lage etwas verändern. Gerade in den letzten Wochen, wo schon der ganze Kampf um das Verfassungsgericht läuft und auch um das, was jetzt die Folgen dieser Reformen anbetrifft, die jetzt jedem Polen mehr oder weniger klarer werden, haben gezeigt, dass da eine bestimmte Grenze überschritten worden ist, dass letzten Endes unsere Demokratie infrage gestellt worden ist. So ist auch zu erklären, dass gerade diese Stimmung doch umgekippt ist, dass der Großteil der Polen doch die Sache etwas kritischer sieht, und so ist auch zu erklären, dass die Polen auf die Straßen gegangen sind. Das heißt, sie stimmen nicht jetzt gegen diese Regierung. Das muss man vielleicht auch ganz deutlich sagen. Denn die Regierung beziehungsweise die Partei ist gewählt worden in einem normalen Prozess. Sie sind vielmehr einfach gegen diese Veränderungen, die jetzt so schnell stattfinden. Praktisch jeder von uns, muss man vielleicht so sagen, verliert so langsam den Überblick, denn alle diese Vorgänge, die gehen so schnell vor sich, dass man in der Tat nicht nur sehr verwundert ist, sondern einfach fragt, wieso brauchen wir diese Eile, kann man diese Dinge nicht anders machen, kann man über diese Dinge nicht reden. Ich glaube, das ist jetzt hier der Grund, weswegen so viel Missstimmung herrscht, dass letzten Endes auch diese Partei an Zustimmung verliert, und wir müssen jetzt abwarten, wie es weitergeht.
    "Die Demonstrationen waren eine große Überraschung für die Regierungspartei"
    Büüsker: Glauben Sie denn, dass die Regierung sich von diesen Protesten in irgendeiner Art und Weise beeindrucken lässt und von ihrem Kurs abweicht?
    Ruchniewicz: Das ist eine gute Frage und da müssen wir in der Tat abwarten. Zunächst muss man sagen, dass die ersten Demonstrationen, die vor zwei Wochen schon begonnen haben, eine große Überraschung waren für die Regierungspartei. Damit haben sie überhaupt nicht gerechnet. Da muss man dazu sagen, dass die Opposition zurzeit im polnischen Parlament sehr schwach ist. Die ehemalige Regierungspartei kann sich nicht zurechtfinden in der neuen Situation, ist mit sich selbst beschäftigt und so weiter und so fort. Dagegen die neuen Parteien, die eingezogen sind, zum Beispiel die Partei Nowoczesna von Richard Petrus, die ist, könnte man sagen, das Gesicht dieser Opposition, aber von der Zahl her ist sie zu klein, um etwas zu bewirken. Trotzdem ist es wichtig, dass es diese Gegenstimmen gibt, und diese Bürgerproteste haben ganz deutlich den Regierenden gezeigt, dass die Polen vielleicht doch nicht in der Mehrheit, wie sie sich das bisher gewünscht haben beziehungsweise erwartet haben, die Politik einfach gut heißt. Da müssen sie auch mit dieser Kritik rechnen und das ist, denke ich, auch gut so. Das ist auch ein ganz notwendiges Korrektiv für diese Situation, die in Polen herrscht.
    "Die Bürgergesellschaft in Polen ist sehr stark"
    Büüsker: Also eigentlich für die Demokratie gerade ein guter Prozess in Polen?
    Ruchniewicz: Das glaube ich auch. Und wissen Sie, das muss man auch noch mal ganz stark betonen. Viele Polen sind selbstverständlich überzeugt von den Errungenschaften der letzten 25 Jahre. Die haben auch geschätzt, in einem freien Polen zu leben, in einer gut funktionierenden Demokratie und auch guten Wirtschaft. Und ich glaube, auf einmal haben sie sich ein wirklich sehr schwarzes Szenario vor ihren Augen gemalt, dass sie das alles mehr oder weniger jetzt verlieren können, und ich glaube, das ist schon wichtig. Diese Demonstrationen zeigen, dass diese Bürgergesellschaft, dass die zivile Gesellschaft doch in Polen sehr stark ist und dass das vielleicht auch ein ganz notwendiges Korrektiv ist für die nächsten Schritte der polnischen Regierung. Und wie gesagt, das ist eine ganz interessante Situation in Polen, und da müssen wir in der Tat abwarten, wie sich das weiterentwickelt.
    !!Krzysztof Ruchniewicz war das, Professor an der Universität Breslau. Vielen Dank für das Gespräch und schöne Weihnachtsgrüße nach Breslau.
    Ruchniewicz: Ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen auch schöne Weihnachten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.