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Pulver und Pillen aus Pflanzenresten
Nahrungsergänzungsmittel in der Kritik

Gemahlene Avocadokerne, Kirschstiele und Blätter von Aloe Vera sollen im Körper wahre Wunder vollbringen. So werben manche Hersteller mit der positiven Wirkung von Pflanzenreste. Doch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht das ganz anders.

Von Susanne Kuhlmann | 24.11.2017
    Avocado
    Aber über Avocadokerne weiß noch niemand etwas Genaues - vor anderen Nahrungsergänzungsmitteln wie beispielsweise aus Blattrinden warnt die Verbraucherzentrale (jala | photocase.de)
    Gemahlene Obstkerne, geschnittene Kirschstiele und Fruchtfleisch aus Blättern der Aloe Vera – das alles gehört nicht ins Essen, sondern in die Tonne, urteilt Angela Clausen. Sie ist Ernährungswissenschaftlerin und bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen unter anderem für Nahrungsergänzungsmittel zuständig. Pulver und Pillen aus den genannten Pflanzenteilen werden im Internet als Zutaten zur Nahrungsergänzung verkauft. In Foren und Blogs kursieren auch Rezepte zum Selbermachen. Zum Beispiel Pulver aus Avocadokernen, dem in der Werbung eine Reihe von Gesundheitswirkungen zugesprochen wird.
    Erzeugnisse aus der Blattrinde nicht essen
    "Beim Avocadokern haben wir schon gelesen, dass es das Immunsystem stärken soll, Entzündungen vorbeugen, Bakterien, Viren würden keine Chance haben dagegen, man sollte den Cholesterinspiegel senken können, der Stoffwechsel wird angeregt, dass man damit leichter abnehmen kann. Aloe Vera gilt immer schon als wahnsinnig tolles Heilmittel. Im kosmetischen Bereich hat es sicher seine Berechtigung. Für die innere Anwendung gibt es keinerlei Belege."
    Erzeugnisse aus der Blattrinde sollten weder gegessen noch eingenommen werden, warnt Angela Clausen.
    "In der Blattrinde sind sehr stark abführende Stoffe enthalten, die sogar als krebserregend und erbgutschädigend gelten. Deswegen wird heute Aloe Vera auch nicht mehr als Abführmittel eingesetzt."
    Auch für Kerne bitterer Aprikosen zur Nahrungsergänzung wird geworben. Das sind Kerne einer Aprikosenart, die die Lebensmittelindustrie zu Persipan verarbeitet, einem Marzipanersatz.
    Die bitteren Aprikosenkerne werden seit vielen Jahren immer wieder propagiert, dass sie hilfreich sein sollen gegen Krebs, weil dort ein Stoff – Amygdalin – drin ist. Der wird im Körper zu Blausäure umgewandelt und soll damit die Krebszellen bekämpfen. Wenn ich größere Mengen davon zu mir nehme, dann kann das zu schweren akuten Vergiftungen mit Krämpfen, mit Erbrechen und Atemnot führen."
    Nahrungsergänzungsmittel sind keine Arznei
    Schließlich hat die Verbraucherzentrale sich noch die Angebote für getrocknete Kirschstiele angesehen.
    "Und auch bei den Kirschstielen heißt es, dass sie wunderbare Detox-Mittel sind, dass sie Nieren- und Blasengrieß, also die Vorstufe von Steinen lösen können sollen und auch gegen Arthritis, Gicht, Rheuma, Bronchitis helfen sollen."
    Tatsächlich sind Nahrungsergänzungsmittel aber keine Arznei, sondern Lebensmittel - also nicht dazu bestimmt, Krankheiten zu verhüten oder zu heilen. Dr. Karen-Ildico Hirsch-Ernst leitet die Fachgruppe Ernährungsrisiken, Allergien und Neuartige Lebensmittel beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
    "Nahrungsergänzungsmittel unterliegen als Lebensmittel dem Lebensmittelrecht, und als Lebensmittel müssen sie sicher sein."
    Dafür sind die Hersteller verantwortlich, auch die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln.
    "Allerdings ist es so, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht einer Vorabprüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit unterliegen."
    Avocadokerne noch nicht erforscht
    Aprikosenkerne enthalten, wie erwähnt, eine Vorstufe von Blausäure und in der Rinde von Aloe Vera Blättern stecken Stoffe, die krebserregend sein können. Das ist bekannt. Aber über Avocadokerne weiß noch niemand etwas Genaues, sagt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
    "Die Avocadokerne wurden nie in irgendeiner Form bisher verzehrt. Deswegen sind die sogenanntes neuartiges Lebensmittel."
    Und dazu zählen Lebensmittel, die in der EU vor 1997 noch keine Rolle bei der Ernährung spielten.
    "Man weiß, dass in der Pflanze und im Kern ein Bitterstoff vorkommt, der heißt Persin, und der ist für fast alle Haustiere giftig. Für den Menschen ist er in geringen Mengen ungefährlich. Das wissen wir. Aber wir wissen gar nicht, welche Mengen in den Avocadokernen, in dem Pulver drin ist. Wir wissen nicht, ob da noch irgendwelche anderen Stoffe drin sind. Das hat nie jemand untersucht."
    Angela Clausen warnt ausdrücklich davor, Pulver und Pillen aus gemahlenen Pflanzenresten zu kaufen oder selber herzustellen. Karen-Ildico Hirsch-Ernst vom Bundesinstitut für Risikobewertung ergänzt:
    "Aus Sicht des BfR sind Nahrungsergänzungsmittel in den meisten Fällen überflüssig. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung den Körper bei Gesunden mit allen lebensnotwendigen Nährstoffen versorgt."