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Qualitätsjournalismus auf dem Rückzug?

Die "Berliner Zeitung" wird verkauft: von der Mecom-Gruppe um David Montgomery an den Kölner DuMont Schauberg Verlag. Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass sich der Zeitungsmarkt im Umbruch befindet. Der Chefredakteur von süddeutsche.de, Hans-Jürgen Jakobs, hat sich mit seiner Branche befasst und das Buch zur Krise geschrieben.

Von Brigitte Baetz | 26.01.2009
    Medien sind der Kitt der Zivil- und Bürgergesellschaft. Ein Gemeinschaftswesen ist nicht lebendig ohne Presse und Rundfunk, die den Bürgern gemeinschaftliche Themen liefern. Soziologen wissen, dass Menschen etwas wissen wollen über die Werte, an die sie sich halten können - und von solchen Werten können sie nur in unabhängigen, freien Medien erfahren. Diese Medien stehen, wenn sie stark sind, für Glaubwürdigkeit. Wenn sie diese Qualität verlieren, gehen sie unter im Kampf um die nächste Gesellschaft.

    Nicht ganz ohne Pathos beschreibt Hans-Jürgen Jakobs ein beängstigendes Szenario. Die große Tradition des Qualitätsjournalismus, in die er auch Emile Zola oder Heinrich Heine stellt, drohe unterzugehen. Die Ökonomie, die unsere ganze Gesellschaft im Griff habe, dominiere auch den Journalismus und grabe ihm damit das Wasser ab - eine These, für die Jakobs mannigfache Beweise anbringen kann. Der extremste ist der fatale Einfluss von Finanzinvestoren auf den Medienmarkt. Diese kaufen Unternehmen auf, die Rendite versprechen, trimmen sie rücksichtslos auf noch mehr Rendite und versuchen sie dann gewinnbringend weiter zu verhökern, den Untergang des betroffenen Unternehmens durchaus in Kauf nehmend. Jüngste abschreckende Beispiele: die Senderkette ProSieben.SAT.1 oder die Berliner Zeitung.

    "Wir freuen uns natürlich erst mal. Aber: wir wissen noch nicht, was kommt. Wir hoffen, dass wir auf der Basis unseres Redaktionsstatutes mit Alfred Neven DuMont auf eine gute Gesprächsbasis kommen."

    Doch auch traditionelle Medienunternehmen haben längst den finanziellen Gewinn als einzigen Maßstab für erfolgreiches Handeln verinnerlicht. Guter Journalismus aber, so schreibt Jakobs, lässt sich nicht in Bilanzen darstellen, nicht am Gewinn messen.
    Keine Zahl, keine Tabelle ermittelt den Nutzen, den Qualitätsjournalismus für die Gesellschaft hat. Nirgendwo ist zu quantifizieren, ob eine Zeitung besonders viel zur Meinungsbildung beiträgt. Kein Index veranschaulicht, wie stark eine Redaktion noch investigativen Journalismus betreibt. Keine Messgröße gibt wieder, ob Korrespondenten gut eingebunden sind. Die Anzahl der Zitationen in anderen Medien, die sich Verlage gern gegenseitig stolz präsentieren, sagt womöglich in Wirklichkeit mehr aus über die Kunst, Nachrichtenagenturen zu bedienen, als über die tatsächliche Exklusivität.

    Es gäbe kaum noch Verleger, die diesen Namen auch verdienen, meint Jakobs, die publizistische Projekte, die ihnen am Herzen liegen, langfristig quer subventionieren und damit auf kurzfristig höhere Gewinne verzichten. Die Berliner Zeitung wäre nie an die Finanziers der Mecom-Gruppe verkauft worden, hätte das Bertelsmann-Unternehmen Gruner + Jahr sich nicht von ihr getrennt, weil sie zwischenzeitlich nicht in die hochfliegenden Börsenpläne des damaligen Vorstandes passte. Gesellschaftliche Verantwortung ist nach Jakobs Ansicht der neuen Generation von Controllern in den Vorständen der großen Medienunternehmen fremd. Zudem hat das alte Modell des Familienunternehmens im Mediengeschäft mehr und mehr ausgedient. Auch hier scheinen die USA einmal mehr Vorreiter zu sein. Dort ist nur noch die Washington Post im Besitz der Gründerfamilie, alle anderen Verlage wurden gegen Höchstgebot an Spekulanten oder an den Medientycoon Rupert Murdoch verkauft.

    Einzug hielt ein zügelloser Casino-Kapitalismus sowie das Modell des Pressezaren. Die Folgen: Namhafte Journalisten müssen sich eine neue Heimat suchen, und die Bürger, die sich zunehmend vom Medium Zeitung abgewendet haben, finden immer weniger Gründe, Leser zu werden. Auflagen sinken auf breiter Front, gelesen wird im Internet. Die Werbung zieht die Gelder ab, die Umsätze rauschen in den Keller. Die Nerven liegen blank.

    Der Kostenlos-Kultur des Internet stehen die Medienunternehmen weltweit noch weitgehend ratlos gegenüber. Um ihre bislang hohen Renditen zu halten, brauchen sie neue Geschäftsmodelle - und in denen wird der Journalist immer mehr zum Kostenfaktor, der möglichst gesenkt werden muss. Gleichzeitig beobachtet Jakobs, dass weltweit das Gespür dafür sinkt, wie wichtig die Medien als Gegenöffentlichkeit zur Kontrolle der Mächtigen sind. Stattdessen, siehe Berlusconi in Italien, siehe Sarkozy in Frankreich, verschwimmen die Grenzen zwischen politischer Macht und Medienmacht, im schlimmsten Fall werden sie sogar eins. Ein klassisches Versagen der Medienpolitik der Europäischen Union, die es bisher versäumt habe, hier länderübergreifend Standards zu setzen. Deutschland, so meint Jakobs, ist einer flächendeckenden Berlusconisierung bislang deshalb entgangen, weil man hier aus der Hugenberg-Vergangenheit gelernt hat. Allerdings gäbe es auch bei uns keine wirkliche Medienpolitik, die sich mit den Konzernen anlegen könnte. Die Folge: die Medienkonzentration nimmt auch bei uns immer mehr zu, bei sinkender journalistischer Qualität.
    Für die Zivilgesellschaft ist das alles eine riesige Herausforderung. Sollten immer weniger gut recherchierte Artikel entstehen, die aufklären, sollte es zu wenige Kommentatoren geben, deren Kompetenz die Leser trauen können, und sollte sich eine Dampfplauderei breit machen, droht Protest im Markt - und noch mehr Leser wandern ab. Der Printjournalismus darf da nicht weitermachen, wo das private Fernsehen vielfach mit seinen journalistischen Ansprüchen stecken geblieben ist. Dann böten am Ende auch Zeitungen und Zeitschriften einfach nur more of the same, mehr vom Selben.

    Hans-Jürgen Jakobs belässt es nicht nur bei seiner ausführlichen und erschreckenden Analyse, er macht auch bedenkenswerte Verbesserungsvorschläge. Er fordert unter anderem eine Generalinventur unserer Medienordnung und eine mutige Medienpolitik, die die Ideale einer publizistischen Aufklärung unterstützt. Mehr als sinnvolle Anliegen,, für die aber das nötige politische Personal anscheinend nicht zur Verfügung steht. Warum, so fragt er zudem, leistet sich die Bundesrepublik Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, warum unterstützt sie nicht auch die Qualitätspresse? Doch hier widerspricht sich Jakobs selbst: denn die Zeitungen befinden sich ja in keiner finanziellen Notlage, ihre Eigner möchten nur höhere Renditen erzielen als diese zur Zeit abwerfen. Würde eine staatliche Subventionierung da nicht eher zu Mitnahmeeffekten führen? Wie auch immer, Hans-Jürgen Jakobs hat ein wichtiges und lesenswertes Buch vorgelegt, dem man viele Leser wünscht - und von dem man hofft, dass es dazu beiträgt eine längst überfällige politische Debatte in Deutschland anzustoßen: wie retten wir die journalistische Kultur in unserem Land?

    Brigitte Baetz über das Buch von Hans-Jürgen Jakobs "Geist oder Geld - Der Ausverkauf der freien Meinung". Das Buch ist beim Pendo-Verlag erschienen, es hat 240 Seiten und kostet 18 Euro.