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Radiolexikon Antibiotika

Seit den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts sind Antibiotika auf dem Markt. Sicher das bekannteste ist Penicillin. Bis heute sind viele weitere hinzu gekommen, sie heißen Streptomycin, Tetrazyklin oder Methicillin. In der Regel sind es Naturstoffe, die zum Beispiel aus Schimmelpilzen gewonnen werden. Doch wie genau ist die Wirkungsweise der Antibiotika?

Von Thomas Liesen |
    Es fängt banal an. Eine kleine Verletzung, zum Beispiel am Fuß, nicht weiter schlimm. Doch nach einigen Tagen wird es nicht besser, im Gegenteil: Ein Zeh ist geschwollen, hat sich entzündet. Der Hausarzt diagnostiziert eine bakterielle Infektion. Das ist der klassische Fall, um Antibiotika zum Einsatz zu bringen. Der Begriff "Antibiotika" kommt aus dem griechischen und heißt wörtlich: gegen Leben. Oder anders ausgedrückt: Antibiotika sollen töten – die Bakterien nämlich, die einen Menschen infiziert haben. Wie sie das schaffen, erklärt der Infektiologe Prof. Gerd Fätkenheuer von der Uni Köln:

    " Ein Mechanismus, der zum Beispiel für die Penicilline als bekannte Gruppe der Antibiotika gilt, ist, das sie die Wand der Bakterien zerstören und damit die Bakterien sozusagen auslaufen. Andere Antibiotika stören den Stoffwechsel der Bakterien, so dass sie sich nicht mehr richtig vermehren können, das sind so die wesentlichen Charakteristika."

    Aber ganz wichtig ist: Antibiotika töten nur Bakterien, keine Viren. Und jedes Antibiotikum wirkt nur auf ganz bestimmte Bakterien. Penicillin zum Beispiel tötet Streptokokken. Sie sind als Eitererreger bekannt und verursachen unter anderem Halsentzündungen. Wer dagegen eine Durchfallerkrankung hat, kann mit Penicillin nichts anfangen. Er muss eher Tetrazyklin nehmen, ein Wirkstoff, der zum Beispiel Colibakterien den Garaus macht. Es gibt allerdings auch sogenannte Breitbandantibiotika, die zwar auch nicht gegen alle, aber zumindest gegen viele verschiedene Bakterien wirken. Zumindest meistens. Denn es kann auch anders kommen. Beispiel: der enzündete Zeh.

    Trotz Antibiotika wird es nicht besser. Nach einigen Tagen geht der Patient wieder zum Arzt. Der äußert einen schlimmen Verdacht: Ein besonders Bakterium hat die Wunde infiziert, eines das gegen die meisten Antibiotika resistent ist. Ein sogenannter multiresistenter oder MRSA-Keim sitzt in der Wunde. Für Gerd Fätgenheuer leider ein Fall, der immer häufiger vorkommt. Der Patient muss dann ins Krankenhaus und wird isoliert.

    " In der Regel kommt er dann in ein Einzelzimmer. Er darf dieses Einzelzimmer nicht verlassen oder nur für die aller nötigsten Untersuchungen. Menschen, die zu ihm reinkommen, müssen sich extra mit Überkitteln, Handschuhen, Gesichtsmasken verkleiden, das ist also sehr aufwendig für alle Beteiligten und für den Patienten eine Belastung, weil er nicht mehr den normalen Kontakt pflegen kann."

    Zum Glück gibt es mittlerweile einige neu entwickelte Medikamente, die gegen MRSA-Keime wirken. Dennoch: Den Nimbus des schnell und zuverlässig wirkenden Allheilmittels bei Infektionen haben Antibiotika ein wenig verloren. Denn Antibiotikaresistenzen haben sich stark ausgebreitet. Der Hauptgrund: Sie werden zu häufig verordnet. Denn eigentlich sollten sie nur bei ganz bestimmten, schweren Fällen eingesetzt werden.

    " Antibiotika muss man geben bei schweren Infektionskrankheiten, die durch Bakterien verursacht werden. Also Klassiker wäre eine schwere Lungenentzündung oder die Meningitis, die Hirnhautentzündung. Wenn man die nicht mit Antibiotika behandelt, dann sterben die Patienten daran."

    Doch die Regel ist: Schon bei banalen Infekten, sehr häufig zum Beispiel bei einer Bronchitis, verordnet der Hausarzt Antibiotika.

    " Das ist leider so, dass die Antibiotika zu oft angewendet werden, auch in Situationen, wo sie gar nicht nötig sind und auch gar nicht wirken. Da wissen wir, dass die Bronchitis in aller Regel durch Viren ausgelöst wird und Viren werden durch Antibiotika gar nicht erfasst. D.h. Wenn man da behandelt mit Antibiotika, dann hat es erstens mal keinen Sinn, es kann möglicherweise Nebenwirkungen für den Patienten machen und es kann drittens, wenn man es häufiger in der Bevölkerung macht, Resistenzen gegen Antibiotika auslösen. "

    Sprecher: Ob überhaupt eine bakterielle Infektion vorliegt und wenn ja, welche – das müßte eigentlich jeder Arzt zunächst analysieren. Doch das ist aufwändig und kostet Zeit. Zumindest mehr Zeit, als ein Arzt heute pro Patient einkalkuliert. Im Hygiene-Institut der Uni Köln zeigt Prof. Harald Seifert, wie eine solche Analyse abläuft. Der Mikrobiologe bekommt Proben von Patienten, die mit Bakterien infizierten sind, zum Beispiel Wundabstriche.

    Sprecher: Der Wundabstrich wird auf sogenannte Nährplatten verteilt, Bakterien wachsen besonders gut darauf. Die Platten kommen dann über Nacht in einen Schrank, der auf konstant 37Grad aufgeheizt ist.

    " Und dann sehe ich, dass auf dem Wundabstrich von der vereiterten Wunde am dicken Zeh Styphylococcus aureus gewachsen sind. Das sind goldgelbe Kolonien und von diesen Bakterien will ich als nächstes wissen, gegen welche Antibiotika sie empfindlich sind."

    Die Bakterien werde auf neue Platten übertragen. Dann kommt der entscheidende Schritt:

    "Hier habe ich jetzt eine Stempel in der Hand und hier sind sechs verschiedene Antibiotika, die ich mit einem Stempeldruck auf die Agaroberfläche bringe. Als nächstes kommt diese Agarplatte erneut in den Brutschrank. Am nächsten Morgen nehme ich sie wieder heraus und sehe jetzt verschieden große Hemmhöfe auf dieser Agarplatte, dh. Das sind Bezirke rund um die einzelnen Antibiotika, auf denen keine Bakterien gewachsen sind durch die Wirkung der Antibiotika. Und anhand der Größe der einzelnen Hemmhöfe kann ich ablesen, ob das einzelne Antibiotikum gegen das Bakterium wirksam ist oder umgekehrt: ob das Bakterium gegen das Antibiotikum resistent geworden ist."

    Erst nach einer solchen Analyse kann man gezielt ein wirksames Antibiotikum einsetzen. Doch viel zu häufig agieren Ärzte nach dem Schrotschussverfahren: Sie verschreiben ein Breitbandantibiotikum, in der Hoffnung, dass es schon wirken wird. Und das auch noch bei Krankheiten, die gar nicht durch Bakterien, sondern durch Viren verursacht werden. Dabei sind Antibiotika keineswegs besonders gut verträglich, im Gegenteil: Nebenwirkungen sind wahrscheinlich, sagt Gerd Fätkenheuer:

    " Relativ häufig sind Allergien. Penicillinallergie, das ist etwas, was jeder auch vom Sprachgebrauch her kennt, dann Durchfälle ist etwas, was relativ häufig dadurch ausgelöst wird. Es gibt ganz schwere Formen, bis hin zu lebensbedrohlichen Erkrankungen, die durch Antibiotika ausgelöst werden können, dazu werden bestimmte Arten von Durchfallerkrankungen, da ist die sogenannte pseudomembranöse Colitis zu nennen, eine große Zahl, von Möglichkeiten, die es da gibt, was durch Antibiotika ausgelöst werden kann."

    Aber wenn sie gezielt eingesetzt werden, sind Antibiotika nach wie vor ein Segen. Krankheiten, die noch vor wenigen Jahrzehnten die Menschen hinwegrafften, sind heute mit Hilfe einiger Pillen in wenigen Tagen überstanden. Damit das trotz zunehmend resistenter Keime so bleibt, liegt auch ein wenig in der Veranwortung der Patienten. Nicht bei jedem Husten sollten sie nach einem Antibiotika verlangen.