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Rami Hamdallah
Politisch bedeutsamer Besuch im Gazastreifen

Rami Hamdallah ist seit 2007 der erste palästinensische Regierungschef, der den Gazastreifen besucht. Damit hat er symbolisch wieder die Verantwortung für das Küstengebiet übernommen und eine wichtige Bedingung der westlichen Staatengemeinschaft für die anstehende Geberkonferenz in Kairo erfüllt.

Von Torsten Teichmann |
    Palästinensischer Regierungschef Rami Hamdallah auf Besuch im Gazastreifen am 09.10.2014.
    Palästinensischer Regierungschef Rami Hamdallah auf Besuch im Gazastreifen am 09.10.2014. (picture alliance / dpa - Mohammed Saber)
    Hunderte Palästinenser begleiten Ministerpräsidenten Hamdallah in die zerstörten Teile von Beit Hanoun im Gazastreifen. Einige Häuser sind seit dem Krieg im Sommer nur noch Skelette oder graue Trümmerhaufen. In andere sind wieder Familien eingezogen, selbst wenn den Gebäuden zum Teil eine Außenwand fehlt.
    Es ist Hamdallahs erster Besuch im Küstenstreifen - nicht nur seit dem Krieg. Sondern der erste Besuch eines palästinensischen Regierungschefs aus dem Westjordanland in Gaza seit sieben Jahren. Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie eine ältere Palästinenserin dem Politiker um den Hals fällt:
    "Mir kamen die Tränen als ich in Beit Hanoun sah, wie die Menschen leben und wo sie schlafen. Es schmerzt. Unsere erste Aufgabe ist deshalb der Wiederaufbau."
    Besuch als Symbol für Verantwortung
    Und für diesen Wiederaufbau hat Hamdallah eine wichtige Bedingung der westlichen Staatengemeinschaft erfüllt: Mit seinem Besuch in Gaza hat er symbolisch wieder die Verantwortung für das Küstengebiet übernommen. Ein Gebiet das von der konkurrierenden Organisation, der Hamas dominiert wird. Jetzt kann die internationale Hilfe eigentlich kommen.
    Tatsächlich ist seit mehr als sechs Wochen, seit Ende des Krieges kaum etwas vorangegangen: Zunächst waren viele Bewohner erleichtert, der Gewalt entkommen zu sein. In den 50 Tagen der Kämpfe mit Israel waren über 2.200 Palästinenser und mehr als 70 Israelis getötet worden.
    Situation wie in den Wochen vor dem Krieg
    Doch der Erleichterung Ende August folgte schon im September das Gefühl von Resignation. Alles schien wie in den Wochen vor dem Krieg: Kein Strom, zu wenig Trinkwasser, kein Baumaterial: Mohammed Ja'abari lebt in Schedschaija, einem schwer zerstörten Viertel von Gaza-Stadt. Er klagt, dass die Bewohner nicht ausreichend Hilfe erhalten:
    "Sie haben gerade erst eine Straße wieder geöffnet. Aber wir wollen nicht, dass sie nur Straßen eröffnen. Wir brauchen mehr. Sie müssen wieder aufbauen. Sie müssen mehr tun. Wir haben kein Wasser, nichts. So geht das nicht."
    Nur ein Beispiel: Mehr als 100.000 Palästinenser sind seit dem Krieg obdachlos. Das Flüchtlingshilfswerk UNRWA sorgt in 18 Schulen, in sogenannten Sammelstellen, immer noch für beinahe 54.000 Menschen die nicht in ihre Orte zurückkehren. Andere Familie erhalten von der UNWRA bis 250 US-Dollar im Monat, damit sie eine Unterkunft mieten können.
    Im Viertel Schedschaija sind an die rosafarbene Wand einer Ruine Namen und Zahlen gesprüht. Es sind die Telefonnummern der Eigentümer. Die Familien wollen angerufen werden, falls Hilfsorganisationen kommen, um Schäden aufzunehmen. Auch sie wohnen längst nicht mehr hier.
    Versprechen vom palästinensischen Ministerpräsidenten
    In Anbetracht der Situation bleibt dem palästinensischen Ministerpräsidenten Hamdallah beim Besuch in Gaza nur die Möglichkeit, die Standhaftigkeit der Palästinenser zu loben und ein Versprechen auf eine bessere Zukunft abzugeben:
    "Wir werden bei der Wiederaufbaukonferenz in Kairo ein großes Paket an humanitären Projekten und Entwicklungsprojekten vorlegen, um die Not der Bevölkerung aktiv und schnell zu lindern."
    Konkret könnte der Wiederaufbau in Gaza vier Milliarden US-Dollar kosten rechnen palästinensische Politiker vor. Dabei geht es um akute Hilfslieferungen, den Wiederaufbau von Häusern, Schulen und Gebäuden und Projekte für eine Entwicklung des Gazastreifens. Das Flüchtlingshilfswerk UNWRA will in Kairo allein um 1,6 Milliarden US-Dollar bitten – das sei beispiellos, sagte ein Sprecher der Organisation.
    Bereits kommende Woche soll zum ersten Mal Baumaterial für private Häuser über die Grenze aus Israel nach Gaza kommen. Das israelische Verteidigungsministerium hatte die Lieferungen bisher untersagt, mit dem Hinweis, die Hamas-Organisation in Gaza könne mit Stahlträgern und Zement ihr unterirdisches Tunnelsystem wieder aufbauen.
    Im Streit um Löhne und Gehälter haben sich die Palästinenser offenbar geeinigt: Die von der Hamas in Gaza eingestellten Beamten sollen vorerst aus Ramallah bezahlt werden. 1.000 Dollar bekommen sie pauschal, bestätigte der Hamas-Funktionär Haniyeh:
    "Dr. Rami Hamdallah sagte, dass die Löhne von Beamten bereits ausgezahlten wurden. Wir werden uns auch um die Polizisten kümmern, keine Sorge. Wir werden über diesen Punkt verhandeln, bis wir eine Lösung finden."
    Bisher hatte Israel den Transfer von Geld für die Bezahlung von Hamas-Angestellten in Gaza untersagt. Als die Vereinten Nationen im Frühjahr bereits einmal sondieren wollten, wie Geld in den Gazastreifen gelangen könnte, unterstellte Israels Außenminister Liebermann der Weltgemeinschaft, sie unterstütze Terroristen.
    Auch die Ablehnung der palästinensischen Einheitsregierung, also einer Regierung, die von Fatah und Hamas-Organisation getragen wird, konnte Israel nach dem Krieg nicht mehr durchhalten: Die israelische Militärverwaltung als Vertreter der Besatzungsmacht, stellte dem palästinensische Ministerpräsident Hamdallah und dessen Kabinett in dieser Woche Genehmigungen aus. Ohne diese Papiere hätten die Politiker Gaza nie erreicht.
    Kein grundsätzlicher Politikwechsel erkennbar
    Aber ein grundsätzlicher Politikwechsel ist nicht zu erkennen: Sowohl Israel als auch Ägypten lockern die Blockade des Küstengebiets nur zögerlich. Bleiben die Grenzen aber geschlossen, kommt der Wiederaufbau nicht voran. Der Jugend-Botschafter der Hilfsorganisation UNWRA, der palästinensische Popstar Mohammed Assaf bittet deshalb in einem Internet-Video, um eine Öffnung aller Grenzübergänge:
    "Hebt die Blockade des Gazastreifens auf. In sechs Jahren hat Gaza drei Kriege erlebt. Die erste Zerstörung, die zweite, die dritte. Wie reden über Wiederaufbau. Aber das ist nicht der Kern. Das Problem ist die Blockade des Gazastreifens, die alle Aspekte des Lebens lahmlegt."
    Diese diese politische Frage kann nicht die internationale Geberkonferenz am Wochenende lösen. Die teilnehmenden Staaten werden sich nur verpflichten, Millionen zur Verfügung zu stellen. Ob das Geld gut angelegt ist, entscheidet sich erst ab Ende des Monats. Erst dann verhandeln Israelis und Palästinenser mit ägyptischer Vermittlung wieder über die Bedingungen für eine dauerhafte Waffenruhe.