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Recht
Die Macht der internationalen Gerichte

Internationale Gerichte erlangen immer mehr Macht. Zwei Autoren stellen sich in ihrem Buch die Frage, in wessen Namen sie agieren - und analysieren das an vielen Einzelbeispielen.

Von Annette Wilmes | 20.01.2014
    Gerichte, auch internationale Gerichte, sind dazu da, Streit beizulegen. Dieses gängige Verständnis von den Aufgaben eines Gerichtes sei nicht falsch, aber doch unzureichend, stellen die beiden Autoren des Buches gleich zu Beginn klar. Gerichte, die im internationalen Rahmen agieren, sind viel mehr als Instrumente der Streitbeilegung. Internationale Gerichte setzen Recht. Armin von Bogdandy:
    "Das sieht man etwa daran, wenn es um irgendwelche wichtigen Fragen geht, etwa, ob Leute, die in einer Sicherungsverwahrung sind, nun freigelassen werden müssen. Da schaut man sich nicht nur internationale Verträge oder die Verfassung an, sondern da schaut man auch, was internationale Gerichte dazu gesagt haben. Und selbst, wenn es dann gar nicht um den spezifischen Fall geht, wird man es in aller Regel so machen, wie es in einem Urteil einmal niedergelegt worden ist. Also, sie sind auch rechtsetzend tätig."
    Gerichte kontrollieren aber auch andere Institutionen. Kurzum, das ist die Hauptthese der beiden Völkerrechtler, Gerichte üben öffentliche Gewalt aus, wie andere internationale Institutionen auch.
    "Und das ist ein Phänomen, was man vorher so nicht gesehen hat. Man hat internationale Organisationen gesehen als Arenen, als Orte, wo Staaten sich treffen. Man hat internationale Gerichte eben gesehen als Mittler im Streit zwischen zwei Parteien. Aber das war doch eine sehr beschränkte Rolle. Und in den letzten 20 Jahren hat sich das geändert. Heute haben internationale Institutionen und eben damit auch die Gerichte eine viel größere Bedeutung in dem Leben vieler Menschen."
    Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, der prinzipiell allen Staaten offensteht, ist eine Einrichtung der Vereinten Nationen. Die zentrale Funktion, die ihm zugeschrieben wird, ist die "Streitbeilegung zur Friedenssicherung". Er hat jedoch auch eine andere Aufgabe, nämlich, den "Respekt vor dem Völkerrecht zu sichern". Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang das "Nicaragua-Urteil" von 1986, in dem die USA zur Beendigung der "ungesetzlichen Anwendung von Gewalt" gegen Nicaragua verurteilt wurden. Mit seiner Rechtsprechung zum Gewaltverbot und zum Selbstverteidigungsrecht hat der Gerichtshof völkerrechtliche Normen gesetzt und außerdem staatliche Machtausübung kontrolliert.
    Die internationalen Strafgerichtshöfe, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Internationale Seegerichtshof, die WTO (die Welthandelsorganisation), und die Investitionsgerichtsbarkeit werden in ihren unterschiedlichen Funktionen im Buch vorgestellt und analysiert. Auf der globalen Ebene gibt es zahlreiche Interessen, die durch Gerichte unterstützt werden können.
    "Das sind insbesondere ökonomische Interessen. Sehr wichtig ist in der letzten Zeit die Investitionsschutzgerichtsbarkeit geworden, also internationale Schiedsgerichte, die eben die Investitionen von Ausländern in anderen Ländern schützen. Gegen Deutschland laufen ja inzwischen auch Verfahren wegen des Atomausstieges. Das wird jetzt vor einem internationalen Schiedsgericht verhandelt und kann die Bundesrepublik Milliarden Euro kosten."
    Armin von Bogdandy und sein Co-Autor Ingo Venzke sehen ihr Buch in der Tradition der deutschen Staats- und Verfassungslehre, die größere Zusammenhänge thematisiert und sich anderen Disziplinen öffnet. So werden philosophische, historische, soziale und politische Aspekte einbezogen. Die Autoren gehen in der Geschichte weit zurück, bis in die griechische Antike, denn der erste Eintrag der internationalen Gerichtsbarkeit ins kollektive Gedächtnis der Völkerrechtler stammt aus dieser Zeit: ein Streit zwischen Athen und Sparta, der von einem Schiedsgericht entschieden wurde. Auch die Entwicklungen der neueren Zeit werden im Buch mit zahlreichen Beispielen belegt, was die Lektüre des wissenschaftlichen Werkes nicht nur enorm erleichtert, sondern sogar Spannung erzeugt. Das Buch ist gut strukturiert, die Sprache ist klar und die Schlussfolgerungen sind gut nachzuvollziehen.
    "Die Logik lautet, internationale Gerichte üben öffentliche Gewalt aus, weil sie wichtige öffentliche Funktionen erfüllen. Sie schlichten Streit, sie setzen Recht, sie kontrollieren andere Herrschaftsträger, sie legitimieren andere Herrschaftsträger, sie bestätigen eine Rechtsordnung. Und da sie eben solche Funktionen ausüben und öffentliche Gewalt ausüben, das führt unweigerlich zu der Frage, ob denn diese Institutionen demokratisch legitimiert sind. Denn, wie wir wissen, alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, dazu zählt ohne jeden Zweifel auch die richterliche Gewalt. Also müssen sich auch internationale Gerichte dieser Frage, dieser demokratischen Frage, stellen."
    Die wesentliche Frage, die schon im Titel des Buches gestellt wird, in wessen Namen die internationalen Gerichte entscheiden, wird erst am Ende des Buches beantwortet. Sie entscheiden - zunächst - im Namen der Staaten. Was aber nicht ausreiche, so Armin von Bogdandy:
    "Heute wirken viele dieser Gerichte durch ihre Entscheidungen tief in das Leben vieler Menschen hinein. Deshalb müssen sie dort Verantwortung übernehmen und das bedeutet, dass der Horizont der Entscheidung ebenso sein muss, dass sie in dem Namen der Bürger entscheiden, die letztlich durch ihre Urteile betroffen sind, sei es direkt, sei es indirekt."