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Reformen ohne Blutvergießen

Weißrusslands Regime laufen die Menschen weg. Über eine Million arbeitet im Ausland, zumeist in Russland. Radikale Forderungen wie den Sturz Lukaschenkos gibt es aber dennoch nicht, noch nicht mal von der Opposition.

Von Sabine Adler |
    Lukaschenkos 18-jährige Präsidentschaft hat Weißrussland in eine Eislandschaft verwandelt. Alles ist erstarrt in dem postsowjetischen Land, eingefroren auf dem Stand kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion. Kaum Privatwirtschaft, 80 Prozent der Betriebe sind Staatseigentum. Autokratie und gefälschte Wahlen sorgen dafür, dass sich an diesem Zustand nichts ändert.

    Die Opposition hat nicht die Kraft, das Regime zu stürzen, gibt Alexander Milinkewitsch, Chef der Oppositionsbewegung "Für die Freiheit" zu. Auch der Europäischen Union fehlen die Instrumente, um auf die Innenpolitik Weißrusslands einzuwirken.

    Der 65-jährige Physiker, der 2005 der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der Opposition war, träumt keineswegs von den sogenannten farbigen Revolutionen. Im Gegenteil, er schreckt vor radikalen Maßnahmen zurück, wie die meisten seiner Landsleute, die sich eher einrichten, denn auf die Barrikaden steigen.

    "Wenn man sich die Revolutionen in einer Reihe von Ländern anschaut, nehmen wir Rumänien, dann muss man sagen, dass sie seitdem leiden. Deswegen ist es sehr viel besser, anstelle einer Revolution eine Evolution zu haben. Jeder vernünftige Mensch versteht, dass eine Evolution zusammen mit einer allmählichen Modernisierung der beste Weg ist. Das autoritäre System wird demontiert, politische und ökonomische Reformen werden eingeleitet, das Land bleibt unter Kontrolle einer nach wie vor vorhandenen Regierung, gleichzeitig wird die demokratische Opposition in vollem Umfang zugelassen: im Parlament wie in der Regierung. Diesen Weg sind viele Länder gegangen."

    Milinkewitschs Vorbild ist das Nachbarland Polen. Das allerdings zuvor schwere Streiks und das Kriegsrecht durchlitten hat.
    "Sie haben sich an den Runden Tisch gesetzt: die, die geschossen haben, mit denen, auf die geschossen wurde. Und sie haben aus der Krise herausgefunden. Polen ist heute ein erfolgreiches Land."

    Seiner Meinung nach darf die Opposition nicht radikal sein, sie darf nicht aus sein auf Blutvergießen, aber sie sollte ein harter Gegner sein. Der Gegner, der dem das Regime die allergrößten Schwierigkeiten bereitet, ist die Wirtschaft, sagt Milinkewitsch, der Oppositionspolitiker und ist überzeugt davon, das Lukaschenko den Ernst der Lage nicht erfasst hat.
    "Modernisierung bedeutet heute nicht einfach nur, die technische Ausrüstung zu wechseln. Es geht um ein komplett anderes ökonomisches Modell. Die Regierung will die Modernisierung mit alten Methoden, denen der Kommandowirtschaft. Deswegen werden wir immer verlieren. Die Regierung entwickelt sich nicht. Sie führt keine Diskussionen. Alle hören auf ein Kommando. Selbst wenn dieser eine ein Genie wäre: Er allein kann nicht alle Probleme lösen, zumal er selbst der wichtigste Gegner jeglicher Reformen ist. 80 Prozent der Menschen sagen, dass Weißrussland Reformen braucht, er hält sie für unnötig."

    Milinkewitsch zweifelt aus gutem Grund an Lukaschenkos Bereitschaft zu einer Verständigung. Dem Regime laufen die Menschen davon, über eine Million arbeitet im Ausland, die meisten in Russland. Lukaschenko, der heute in Minsk seine alljährliche Pressekonferenz abhält, gibt vor, das Land zu modernisieren. Und verbietet zugleich Arbeitern zu kündigen, solange ein Betrieb gerade rekonstruiert wird. Die Gewerkschaften sprachen deshalb von moderner Zwangsarbeit in Weißrussland. Nach Meinung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Milinkewitsch sind Lukaschenko und Reformen zwei Dinge, die nicht zueinander passen.

    "Bislang leben wir von den russischen Subventionen: billiges Erdöl und Erdgas. Das hat für unser Land die gleiche Wirkung wie Rauschgift für einen Drogensüchtigen, wir sind abhängig, krank. Unsere Wirtschaft ist krank. Wir sollten lernen, unter realen Bedingungen zu leben."

    Noch ein, zwei Jahre in dieser Agonie – das mag gut für den Präsidenten sein, seinen Machterhalt, aber nicht gut für die Menschen, sagt der Oppositionspolitiker Milinkewitsch, der vom heutigen Auftritt des Präsidenten absolut nichts erwartet.