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Regierungsbildung
"Wir brauchen neue Formeln der Macht"

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht in der langen Regierungsfindung keine Krise der deutschen Politik. Da es vor der Wahl keine Koalitionsaussagen gegeben habe, befänden die Parteien sich auch nach der Wahl noch im Wettbewerbsmodus, sagte Korte im Dlf. Er plädierte dafür, neue Regierungsmodelle auszuprobieren.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 30.12.2017
    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Duisburg-Essen
    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Duisburg-Essen (Imago)
    Jürgen Zurheide: Wollen wir einen politischen Jahresrückblick wagen. In meinem Sendelaufplan steht "2017: Ein Berliner Krisenjahr?", dahinter allerdings ein Fragezeichen, und genau über dieses Fragezeichen wollen wir reden und diskutieren. Seit drei Monaten versuchen sich die politischen Parteien in Berlin, eine neue Bundesregierung zu bilden. Das ist bisher erfolglos gewesen, das wissen wir. Die Frage: Ist das nun eine Krise – ja oder nein? Am Telefon begrüße ich Karl-Rudolf Korte, den Politikwissenschaftler. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Korte!
    Karl-Rudolf Korte: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Korte, wenn ich einen Strich ziehe, sage ich: die FDP will offensichtlich nicht regieren, die SPD ziert sich ganz gewaltig – das ist noch zurückhaltend formuliert –, und die CSU formuliert unentwegt Knackpunkte und sagt immer alles, was mit ihnen nicht geht. Wollen Parteien nicht mehr regieren?
    Korte: Es klingt so wie in einer großen komplexen Sondierungsrepublik, in die wir uns irgendwie 2017 verwandelt haben. Ungewöhnlich neu historisch, was Regierungsbildungsprozesse anbelangt, aber von der Sache her sehe ich nicht wirklich eine Krise, und die Frage nach dem Fragezeichen, die würde ich eher streichen.
    "Keine Übereinstimmung mehr zwischen Koalitionsmarkt und Parteienmarkt"
    Zurheide: Wenn ich jetzt frage, hat sich irgendetwas verändert, dass Parteien weniger schnell regieren wollen, dass auch so etwas wie Koalitionen schmieden, was ja immer bedeutet, dass man Kompromisse machen muss, dass das sehr verpönt ist – was hat sich da verändert oder hat sich da was verändert?
    Korte: Ja, wir haben eben keine Übereinstimmung mehr zwischen einem Koalitionsmarkt und einem Parteienmarkt. Das passt mit dem Wählermarkt nicht mehr überein. Wir haben den ersten Bundestagswahlkampf erlebt in der Geschichte ohne eine einzige Aussage zu Koalitionen, und es ist klar, dass die Parteien deshalb erst mal sehr lange auch nach der Wahl noch im Modus des Wettkampfs, des Wettbewerbs der Wahl bleiben und viel später umschalten können auf diese Brautschau, die auch notwendig ist, und wenn vorher niemand sagt, wie das Lager aussehen könnte, weil es keine Lagerbildungen mehr gibt, ist das die logische Konsequenz, dass sich das lange rauszieht. Das hat es also in dieser Form, ohne eine einzige Aussage, ohne eine Vermutung, in welche Richtung ein Lager sich entwickelt, nie gegeben. Deswegen ist das die Konsequenz aus diesem Wahljahr, und es wird auch so bleiben, denke ich, weil in einer Ich-Gesellschaft ja nicht weniger Parteien, sondern eher mehr entstehen und in die Parlamente kommen werden.
    Zurheide: Sie haben gerade gesagt, da sind mehr Parteien, und ich hatte gefragt nach der Fähigkeit, einen Kompromiss zu schmieden, ob die wirklich abnimmt oder Kompromisse möglicherweise sogar verpönt sind. Dabei sind sie doch, wenn ich es richtig beobachte – oder vielleicht ist das falsch –, das Elixier auch einer Demokratie, Fragezeichen?
    Korte: Das Ideal der Demokratie ist erst mal der Streit. Der macht die Identität in einer Demokratie aus, weil nur über den zivilisierten Streit auch Bewegung, Veränderung, etwas in Gang kommt, über die Konflikte man sich am Ende einigen kann, und die deutsche politische Kultur ist ja eher eine Umarmungskultur, in der viele auf Konsens durchaus aus sind, und deswegen ist die Überbewertung des Konsens auch eigentlich hier ausgeprägt. Der Kompromiss ist zwar nicht beliebt, aber wir suchen überall runde Tische. Die Mehrzahl der Deutschen möchte bei der Definition der Opposition davon ausgehen, dass die Opposition immer gerne mit der Regierung zusammenarbeiten soll. Das ist demokratietheoretisch natürlich höchst verwerflich, aber runde Tische sind populär. Insofern treiben die Deutschen durchaus gerne die Parteien auch in Große Koalitionen rein, aber nun scheint in den Parteien in der Tat der Erkennungsfaktor darunter zu leiden, und deswegen weigern sie sich immer mehr, solche Kompromisse, zumindest über Wochen, über längere Zeit, zuzugeben.
    "Wir haben starke Mittebewegung"
    Zurheide: Und auf der anderen Seite – das ist zumindest das gängige Bild - stärkt es die Ränder, wie eben die AfD oder sagen Sie, da gibt es andere Gründe?
    Korte: Eigentlich das Wahljahr ist durch den Sog der politischen Mitte erst mal noch mal uns Erinnerung. Das gesamte Superwahljahr, das ist schon mal außergewöhnlich. Ein deutscher Sonderweg, der von den anderen europäischen Ländern abweicht. Wir haben starke Mittebewegung, die sich aber völlig neu sortiert, auch im Bundestag. Über 70 Prozent haben diese starke Mitte gewählt, außer AfD, und Linke. Da sehe ich eine Abweichung von unseren Nachbarländern, und jetzt ist die Mitte aufgefordert, eben daraus was zu machen. In der Tat, die Mechanismen, dass aus Großen Koalitionen Ränder stärker werden, die haben wir in Deutschland auch beobachten können, das ist natürlich der europäische Trend, der uns auch erreicht hat.
    Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf das, was dann möglicherweise uns im neuen Jahr bevorsteht. Eine Große Koalition – was müsste eigentlich anders sein oder ist meine Frage schon falsch gestellt? Es muss gar nichts anders sein, das sind nur wir Journalisten, die vielleicht darauf hindeuten und einige in der SPD?
    Korte: Ich denke schon, dass wir etwas anderes machen müssten, denn wir brauchen neue Formeln der Macht, wenn – so ist das eben – der Koalitionsmarkt mit dem Wählermarkt nicht mehr übereinstimmt. Wir müssen uns nicht nur auf längere Verhandlungen einstellen. Dann stellt sich automatisch die Frage, ob wir das institutionelle Setting haben. Muss nicht auch noch eine Legislaturperiode automatisch länger werden, wenn die Parteien zukünftig immer ein Jahr brauchen, um sich in eine Regierung zu finden. Kehren wir nicht zur Wahl 1961 Adenauer zurück, also warum macht der Bundespräsident, der eine neue zusätzliche Rolle hat, die ihr verfassungsmäßig gegeben ist, nicht einfach den Vorschlag, Frau Merkel im Bundestag zu wählen, und sie wird gewählt in geheimer Wahl, ganz sicher mit absoluter Mehrheit, und dann muss sie danach eine Regierung bilden. Das war 1961 so. Es gab andere Wahlen, da wurde auch ausprobiert, erst mal den Kanzler zu wählen und danach die Regierung. Also wir müssen umdenken, und dann wird daraus auch ein anderes Format werden. Sie hätte dann – Frau Merkel – die Chance, eben auch die Vertrauensfrage zu stellen. Wir haben noch nicht ausgeschöpfte Mechanismen, die institutionell vorgesehen sind.
    "Mehr Labilität wagen"
    Zurheide: Das heißt, für Sie ist nicht vorgezeichnet, dass es zu diesem Koalitionssetting, was manche Große Koalition nennen, die aber am Ende nur noch 53 Prozent hat, dass es überhaupt dazu in der Form kommen wird. Sie können sich andere Modelle auch –
    Korte: Ja.
    Zurheide: – des Regierens vorstellen, was in Deutschland ja bisher etwas schwierig ist.
    Korte: Ja, einmal mehr Labilität zu wagen unter den Rahmenbedingungen im Hinblick auf Minderheitsregierung oder den Mechanismus, den ich gerade geschildert habe, der Kanzlermacher als Bundespräsident hat auch die Chance, ein noch nicht genannten Namen dem Bundestagspräsidenten vorzuschlagen zur Wahl. Hier ist vieles noch nicht bis ins Letzte ausprobiert worden, denn eins war nach der Bundestagswahl klar: Es war ein Votum auch gegen die Machtmonotonie der Großen Koalition. Es ist nicht populär, das einfach fortzusetzen.
    Zurheide: Wagen Sie eine Prognose, bis wann wir das wissen?
    Korte: Man ist ja im Moment dabei, über den christlichen Kalender sich zu verständigen.
    Zurheide: Richtig.
    Korte: Ostern, Pfingsten und so. Ich wage eher die Prognose, dass der eine oder andere Parteivorsitzende noch in diesem Jahr oder im kommenden Jahr ausgetauscht wird und dadurch die Dynamik noch einmal zunimmt.
    Zurheide: Das war Karl-Rudolf Korte mit einem Rückblick, aber auch mit einem Ausblick auf die politische Situation in Deutschland. Herr Korte, herzlichen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.