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Religion und Krieg
"Kriegstreibende Aussagen verurteilen"

Der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser untersucht in seiner neuen Studie die Kriegspotenziale der Religionen. Er fordert eine Entpolitisierung der Religion und spricht sich dafür aus, dass die Glaubensrichtungen mit ihrer Geschichte selbst ins Gericht gehen und kriegstreibende Aussagen verurteilen.

Hartmund Zinser im Gespräch mit Andreas Main | 27.02.2015
    Eine Neun-Millimeter-Patrone
    Zinser: Religionen unterscheiden diejenigen, die zur Religion dazugehören und die, die nicht dazugehören. Kriegsführer machen sich das zunutze. (picture-alliance/ dpa - Daniel Karmann)
    Andreas Main: Hartmut Zinser, Sie sprechen von einem "Kriegspotenzial der Religionen". Was macht Religionen potenziell zu Kriegstreibern?
    Hartmut Zinser: Religionen geben Antwort auf die Frage, wie soll sich leben, was darf ich tun, was darf ich nicht tun und was kann ich erhoffen. Die Antworten unterscheiden sich. Damit entstehen Differenzen. Ferner – Religionen bilden moralische und solidarische Gemeinschaften mit bestimmten Regeln wie etwa: "Du sollst nicht töten!", "Du sollst nicht lügen!", "Du sollst nicht rauben und stehlen!". Aber diese Regeln gelten in der Regel nur für die Religionsgemeinschaft selbst. Nur wenige Religionen haben daraus universale Lehren gemacht. Dadurch wird ein Innen und Außen bestimmt – nämlich die, die zur Religion dazugehören und solche, die nicht dazugehören. Für die, die nicht dazugehören, gelten die moralischen Einschränkungen nicht, so dass man über auch durchaus mal herfallen kann, einen Kopf kürzer schlagen kann oder sie ausrauben kann. Und das haben leider auch alle Religionen gemacht. Oder genauer sollte ich sagen: Das haben Kriegsführer mit allen Religionen gemacht und mit Unterstützung aller Religionen.
    Main: Es gibt also das Wir - und es gibt die anderen. Welche Religionen haben das größte Kriegspotenzial, welche sind am wenigsten bellizistisch?
    Zinser: Das ist eine sehr schwierige Frage, die ich eigentlich auch gar nicht richtig beantworten kann. Christentum und Buddhismus lehren grundsätzlich Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit, haben aber im langen Verlauf ihrer Geschichte Kriege nicht vermeiden können – und zwar in unterschiedlicher Form. Zunächst, sie behaupten immer, sie verteidigen sich. Dann gab es Missionskriege – nicht so selten, wie man das sich wünschen würde. Zumindest wurde von den staatlichen Instanzen, den Königen, verlangt, dass sie die Mission schützen sollten. Denn die Menschen sollten erdulden müssen, dass sie missioniert werden. Dann gab es aber auch – und da wird es nun richtig verheerend – die Kreuzzüge, die Sie schon genannt haben, in denen die Beteiligung am Krieg, das Morden und Töten – und ich sage es ganz bestimmt und so prononciert – zu einer religiösen Handlung wurde, mit der man Ablass und das ewige Leben und Himmelreich erwirbt. Andere Religionen, wie zum Beispiel die antiken römischen und griechischen Religionen kannten Kriegsgötter, unter deren Schutz der Krieg gestellt war. Athene in Griechenland und Mars in Rom und viele andere mehr, oder Murugan in Indien. Und sie haben also kein ausgebildetes Kriegsrecht entfaltet, sondern Kriege wurden als Normalität betrachtet. Er gehörte einfach zum Leben dazu, und man musste sich damit einrichten und hat sich damit eingerichtet. Dann gibt es noch Religionen, die durchaus Beschränkungen haben für das Kriegführen – wie der Islam, zugleich aber doch eine umfangreiche Lehre über das Töten im Krieg entfaltet und entwickelt haben. Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Wenn es durch die Geschichte geht, sind diese Lehren auch immer wieder in allen Religionen angewandt worden. Es ist dann nur eine Frage der Situation und der Zeit, wann und ob eine Gruppe meint, jetzt zu den Waffen greifen zu müssen und religiös rechtfertigt, dass sie Krieg führen darf und kann.
    Main: Ihr Kollege Jan Assmann, Ägyptologe und Religionswissenschaftler, ist ja auch ein wichtiger Protagonist in der Debatte über das Verhältnis von Monotheismus und Gewalt. Der hebt vor allem die brutale Kehrseite der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition hervor – auch in seinem neuen Buch Exodus. Verstehe ich Sie und Ihr Buch richtig, wenn ich sage, Sie gehen über Assmann hinaus?
    Zinser: Ich würde meinen, Assmann ist nicht ganz korrekt. Ich glaube, die andere Religionsgeschichte kennt er einfach nicht so genau. Was der Buddhismus alles für Kriege geführt hat, weiß er nicht oder weiß er nur rudimentär. Ich glaube, die Religionen nehmen sich in ihrer langen Geschichte nichts oder nur sehr wenig.
    Main: Sie schreiben und sagen, Religionen müsste die Friedfertigkeit erst aufgedrängt werden. Wer kann das leisten?
    Zinser: Der Staat, die Gemeinschaft oder die Situation. Denken Sie an den Dreißigjährigen Krieg. Der wurde aus religiösen Gründen geführt oder damit begründet, nämlich zwischen Protestanten und Katholiken und Calvinisten. Zum Schluss des Krieges wurde ein großartiger Frieden geschlossen, der Westfälische Frieden 1648. Darin lautete es als eine der Hauptbestimmungen, dass Religion kein Grund mehr für Krieg sein darf und alles zu verhindern ist. Seitdem hatten wir auch in Europa bis zum 1. Weltkrieg praktische keine religiösen Begründungen mehr für Kriege. Das heißt nicht, dass nicht für jeden Krieg die Hilfe Gottes angerufen wurde, Gottesdienste abgehalten wurden und es Militärpfarrer gab und so weiter. Aber die Religion war kein Grund für Krieg mehr.
    "Die Verantwortlichen müssen sich klarmachen, was ihre Religion in ihrer Geschichte alles zu Krieg beigetragen hat"
    Main: Auch der katholische Theologe Hans Küng sagt, dass ohne einen Frieden der Religionen kaum an einen rechten Frieden zu denken ist. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften?
    Zinser: Die Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften müssen vor allen Dingen aufhören, dem aufzusitzen, dass im Krieg das erste Opfer die Wahrheit ist, und müssen sich klarmachen, was ihre Religion in ihrer Geschichte alles zu Krieg beigetragen hat, das nicht wegdrücken und nicht zur Kenntnis nehmen und danach fragen, was sie in ihrer Religion machen, tun müssen und tun können, um die Wiederholung von kriegerischen Aktionen auszuschließen. Sie müssen gegenüber sich selber ehrlich sein. Das muss alles auf den Tisch, was dort an kriegerischen Lehren vorhanden ist. Sehen Sie, im Koran steht eine Unmenge von Versen drin, die man kriegstreibend interpretieren kann, die auch ganz klar deutlich das so sagen. Im Neuen Testament, genauer in den Evangelien stehen nur zwei solche Sätze drin, die so interpretierbar sind, aber in der Apokalypse schwelgen die Autoren oder der Autor in Gewalthandlungen. Gut, sie werden in der Apokalypse Gott zugeschrieben und der Mensch hatte da nur höchstens zuzugucken, sich nicht selber daran zu beteiligen. Im Christentum wurde dann auch deswegen immer das Alte Testament – das heißt Josua, Richter und andere Texte herangezogen, um Krieg zu begründen, zu motivieren und die Menschen dazu zu bringen, sich an Kriegen zu beteiligen.
    Main: Sich selbstkritisch mit kriegstreibenden Tendenzen in der eigenen Religion zu beschäftigen, das scheint aber offenbar nicht ausreichend zu passieren, sonst hätten wir nicht so viel religiös motivierte oder mit religiösen Motiven verkleisterte Gewalt. Heißt das nicht implizit, dass sie die heutigen Religionsvertreter durchaus auch mitverantwortlich machen für die Misere unserer Tage?
    Zinser: Ja, selbstverständlich. Sicherlich gibt es in allen Religionen friedfertige Elemente – das ist gar keine Frage – und es gibt auch Gruppen und – ich nenne sie jetzt mal alle Theologen, obwohl der Begriff nicht ganz richtig ist für alle Religionen, die auf diese Seite der Religionen großen Wert geben. Aber es gibt andere, die das eben nicht tun. So hat man mir berichtet, dass an der Al-Azhar-Universität, der wahrscheinlich wichtigsten islamischen Hochschule mit Sitz in Kairo, weithin Ibn Taymiyya zu Grunde gelegt wird. Der schrieb während der Mongolenzeit, als die arabische Kultur den Mongolen unterlegen war. Das war eine völlig andere Situation, als sie heute ist. Da müssen die Religionen sich gegenüber ihrer eigenen Geschichte und den Lehren sehr kritisch verhalten und eben das, was nicht mit einem Frieden vereinbar ist, auch tatsächlich ausscheiden. Das ist früher lange Jahre im Islam nicht der Fall gewesen. In den letzten Jahren – vor allem nach dem Anschlag auf die Karikaturisten in Paris – ist das anders geworden. Das muss ich loben und auch betont hervorheben. Aber gegenüber Bin Laden haben sich viele Theologen zurückgehalten. Erst langsam kam auch dort – das gibt es – scharfe Kritik an Bin Laden. Ihm wird die Berechtigung abgesprochen überhaupt eine Fatwa, ein religiöses Gebot, zu erlassen, denn er habe keine theologische Ausbildung und sei auch sonst durch nichts qualifiziert. Da müssen wir drauf drängen, dass die Religionen, und zwar alle Religionen, ihre eigene Kriegsbereitschaft und ihr eigenes Potenzial zum Kriegführen sehr kritisch sehen. Denken Sie nur an die Buddhisten in Sri Lanka: wie heftig die eingetreten sind auf der Seite des Staates, des Buddhismus gegen die Tamilen, die hinduistisch sind – und dies in einem jahrelangen Bürgerkrieg, der sicherlich eine grauenhafte Veranstaltung war.
    Main: Sie haben eben den Westfälischen Frieden angesprochen. Im März erscheint ein Buch von Rainer Hermann, Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es heißt "Endstation Islamischer Staat – Staatsversagen und Religionskrieg in der arabischen Welt". Auch mit ihm werden wir hier ein Interview haben. Er vergleicht unsere Situation – so wie Sie – mit dem Dreißigjährigen Krieg. Wo sehen Sie als Religionshistoriker da Parallelen und Differenzen?
    Zinser: Also, es gibt eine großartige Differenz, die darin besteht, dass eben vom Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg die Kirche eine sehr wichtige und außerordentlich wichtige Institution war, die Päpste auch herrschen wollten. Das ist im Christentum doch heute beendet. Keine der Kirchen will mehr in der Weise politisch herrschen, wie das im Mittelalter der Fall war. Die Religion ist damals neutralisiert worden, so dass ein friedliches Zusammenleben aller Menschen verschiedener Konfessionen und Religionen in einem Staat möglich geworden ist. Damit muss natürlich auf den Alleinvertretungsanspruch einer Religion, einer Konfession verzichtet werden und die anderen anerkannt werden. Wenn man das sozusagen mit der heutigen Situation vergleicht, dann haben wir im Islam vor allen Dingen einen Alleinvertretungsanspruch, ein Alleinwahrheitsanspruch. Der muss neutralisiert werden, und den muss der Islam aufgeben. Wenn ich so die islamischen, muslimischen Bekannten, die ich habe, höre, die sind alle entsetzt darüber, welche Positionen dort vertreten werden. Aber man kennt natürlich immer nur die Leute, mit denen man auch in gewisser Weise übereinstimmt. Die anderen kenne ich aus der Lektüre, aus Interviews und anderen Medien. Da gibt es viel zu viel. Ich will nicht behaupten, dass es die im Christentum nicht gibt. Gehen Sie nach Nordirland und lesen Sie sich mal durch die Statements und Reden der Pfarrer auf beiden Seiten. Da wird genauso mit Religion Krieg begründet und gerechtfertigt wie anderswo.
    Main: Also kurzfristig plädieren Sie für eine Entpolitisierung von Religion, verstehe ich Sie richtig?
    Zinser: Ja, Neutralisierung, Entpolitisierung der Religion. Andersfalls – ohne eine Entpolitisierung und Neutralisierung der Religion – ist ein gemeinsames Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen kaum vorstellbar, höchstens in der Form, dass die einen sich unterordnen unter die anderen. Und das ist natürlich mit einer Moderne, in der alle Menschen gleich sind, alle Bürger gleich sind und keiner wegen seiner Religion bevormundet oder benachteiligt werden darf, überhaupt nicht vereinbar.
    Main: Und langfristig – welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit dem Kriegspotenzial von Religionen dauerhaft Grenzen gesetzt werden?
    Zinser: Ich würde mir dazu wünschen, dass die Religionen selber mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer Lehre genau ins Gericht gehen und alle Aussagen verurteilen oder ausscheiden, die kriegstreibend wirken können.