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Remarque-Friedenspreis
Umstrittener Preisträger Adonis

Der syrisch-libanesische Dichter Ali Ahmad Said Esber alias Adonis hat in Osnabrück den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis erhalten. Eine umstrittene Entscheidung der Jury. Syrische Oppositionelle, muslimische Verbände und Menschenrechtsorganisationen werfen dem Poeten vor, sich nicht klar vom Assad-Regime distanziert zu haben.

Von Alexander Budde |
    Der syrisch-libanesischen Autor Adonis (Ali Ahmad Said Esber), aufgenommen am 19.02.2016 in Osnabrück (Niedersachsen) bei der Verleihung des Erich-Remarque-Friedenspreises.
    Der syrisch-libanesischen Autor Adonis bei der Verleihung des Erich-Remarque-Friedenspreises am 19.02.2016. (picture alliance / dpa - Friso Gentsch)
    Im Friedenssaal des Osnabrücker Rathauses betrachtet Ali Ahmad Said Esber die Ölgemälde der Friedenstifter. Die stellten im Westfälischen Frieden von 1648 die Frage der Religion zurück, regelten das Zusammenleben auf rein rechtlicher Basis. Auch der syrisch-libanesische Dichter, der sich selbst Adonis nennt, plädiert für:
    "Eine Gesellschaft, in der der Staat von der Religion getrennt wird. Eine Gesellschaft, in der die Frau von den religiösen Ketten und Scharia befreit wird!"
    Doch erst im zweiten Anlauf gesellt sich Adonis zur illustren Riege der Preisträger - keine Nominierung war je so umstritten wie diese. Syrische Oppositionelle werfen Adonis vor, nicht eindeutig genug Stellung gegen den syrischen Machthaber Assad zu beziehen, fühlen sich von einer der bekanntesten Stimmen der arabischen Welt im Stich gelassen. Die Bürgermeisterin von Lampedusa, Guiseppina Maria Nicolini, wies den Sonderpreis zurück, weil sie nicht in Zusammenhang mit dem politischen Adonis gebracht werden wollte. Schriftsteller wie Navid Kermani, Najem Wali und Stefan Weidner schmähten den 86-Jährigen in der Debatte als pseudosäkularen Mystiker, der sich in eine Art lyrischen Pazifismus flüchte.
    Kaum einer, der Adonis nun mit jahrzehntealten Aussagen angreife, habe sich intensiver mit dessen Schriften beschäftigt, klagt der Präsident der bedrängten Jury, Wolfgang Lücke:
    "Ich glaube, die verstehen ihn schon, aber die nehmen ihm eben diese Radikalität übel, mit der er einfach auf die Trennung von Religion und Staat hinweist. Und eben sagt, dass die Religion keine Lösung ist aus seiner Sicht."
    Laudator bezeichnet Adonis als Freigeist
    Laudator Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins "Zenith", beschreibt den 86-jährigen Adonis, der heute in Paris lebt, als Freigeist. Früher als andere habe dieser davor gewarnt, dass die Revolutionäre von Gestern die Unterdrücker von morgen sind. Das Unbehagen mit Adonis erwachse auch aus der Verzweiflung darüber, dass bislang alle säkularen Reformbewegungen in der arabischen Welt in pseudostaatlichen Diktaturen endeten.
    "Wir erleben heute in diesem Kontext eine bedrückende Sprachlosigkeit zwischen dem Westen und denjenigen religiösen Minderheiten, deren Geschichtsbild manchmal auch auf traumatischen Erfahrungen beruht. Diese Sprachlosigkeit erstreckt sich aber auch auf diejenigen im Nahen Osten, die man als säkular bezeichnet. Kulturell ist man sich scheinbar nah, politisch hat man sich gar nichts mehr zu sagen - und geht sich mit einem resignierten Kopfschütteln aus dem Weg."
    "Worte zwischen den Fronten" ist eine Podiumsdiskussion am Vorabend der Preisverleihung in der Friedensstadt überschrieben - die dann allerdings wenig zur Versöhnung beiträgt.
    "Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass Sie heute, 2016, die grauenhafte Assad-Regierung die ihr Volk aushungert und zerbombt noch stärker kritisiert hätten!"
    Adonis: Kultur der Tyrannei entstanden
    Für die Zukunft im arabischen Raum sieht der begnadete Polemiker Adonis schwarz. Vom Reformeifer des Arabischen Frühlings sei wenig geblieben. Stattdessen sei eine Kultur der Tyrannei entstanden, klagt der Dichter mit der Stimme seines Übersetzers:
    "Wenn diese Struktur nicht zerstört wird, dekonstruiert wird, sind wir nicht in der Lage, die Gesellschaft zu entwickeln. Die Araber, eigentlich, gehen aus – sie fressen sich gegenseitig!"
    Erst ganz am Ende bemerkt Moderatorin Iris Radisch, dass Adonis nicht als Politiker, sondern als Poet geladen sei – und der wird auf einmal ganz sanft, trägt mit sonorer Stimme Gedichte vor.
    Doch da sind seine Kritiker bereits unter lautstarkem Protest aus dem Saal gelaufen. Die zarten Worte verlieren sich zwischen den Fronten.