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Rente mit 63
Handwerk lehnt Rentenpaket ab

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat das Rentenpaket der Großen Koalition verurteilt. Generalsekretär Holger Schwannecke sagte im DLF, die abschlagsfreie Rente mit 63 und die Mütterrente gingen zugunsten weniger, aber zulasten vieler.

    Holger Schwannecke steht vor einem Schild mit der Aufschrift "Das Handwerk"
    Holger Schwannecke, der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (Bild aus dem Jahr 2010) (dpa / David Ebener)
    Der Interessenverband der Handwerker in Deutschland kann dem Gesetzentwurf von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) zur Rente nichts abgewinnen. Generalsekretär Holger Schwannecke kritisierte im Deutschlandfunk vor allem die abschlagsfreie Rente mit 63. Das Handwerk habe jetzt jahrelang dafür geworben, dass die Mitarbeiter erst mit 67 in Rente gehen können, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten sich darauf eingestellt. Schwannecke sagte, das geplante Gesetz "fördert die Bereitschaft, nach Möglichkeiten zu suchen, Gelegenheiten zu nutzen, aus dem Arbeitsleben früh auszuscheiden".
    Er sieht in dem Gesetzentwurf einen Deal zwischen Union und SPD in der Großen Koalition. Die SPD bekomme die Rente mit 63, die Union dagegen die Mütterrente. Beide Seiten haben sich seiner Ansicht nach etwas in die Hand versprochen, kämen jetzt aber in Not, das ohne Schaden umzusetzen.
    Dass vor allem Handwerker von der Rente mit 63 profitieren werden, sieht der Generalsekretär des Zentralverbands nicht - obwohl gerade Handwerker vergleichsweise früh ins Berufsleben starten und damit eher auf die verlangten 45 Beitragsjahre kommen als etwa Akademiker. Schwannecke sagte, das Modell ziele vor allem auf gutverdienende Männer im öffentlichen Dienst und in der Industrie.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Sie macht es den Kleineren im Wirtschaftsgetriebe nicht gerade leicht: Ein Mindestlohn, der Arbeit deutlich teurer macht und Hunderttausende von Jobs gefährden könnte, eine Energiewende, die den Strom teurer macht, und eine Reform, die zig Milliarden kostet und Hunderttausende Beschäftigte früher aufs Altenteil schicken könnte. Sie - das ist die Große Koalition. Mit welchen Folgen, nicht für Daimler oder Siemens, mit welchen Folgen, nicht für BASF oder SAP, sondern mit welchen Folgen für die kleineren, mittleren Betriebe, Firmen, für Bäckereien beispielsweise, für Sanitär- und Heizungsunternehmen, für Brauereien, für Boots- oder Schiffsbauer. Am Telefon ist nun Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Guten Morgen.
    Holger Schwannecke: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Schwannecke, haben Sie die falschen Parteien gewählt?
    Schwannecke: Eine gute Frage, Herr Müller. Nein! Wir stellen fest - und das, glaube ich, geht nicht nur dem Handwerk so, sondern vielen anderen auch -, dass die Große Koalition mittlerweile sich aneinanderklammert und in großer Eile versucht, Themen umzusetzen, die man sich im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag in die Hand versprochen hat. Da galt und gilt das Prinzip, ich gebe, damit Du gibst, und nun sieht man zu, dass man diese Themen so gut und so beschädigungsfrei wie möglich umsetzt. Man hat sich ohne Not in Not gebracht. Nun hat man diese Not, weil, die Prognose wage ich, es nicht gelingen wird, beschädigungsfrei das alles umzusetzen. Dieses Rentenpaket ist ein Desaster für die jüngere Generation, ist ein Desaster für all diejenigen auch, die dieses System tragen mit ihren Beiträgen, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Es begünstigt einige wenige auf Kosten vieler, und das ist ein inakzeptables Verfahren.
    Müller: Fühlen Sie sich von der Union im Stich gelassen?
    Schwannecke: Es gehören ja mehrere dazu. Ich habe eben dieses Prinzip angesprochen, ich gebe, damit Du gibst. Es sind ja zwei. Es ist einmal die Mütterrente, das ist das Kind der Union, und es ist zum anderen die abschlagsfreie Rente mit 63, das ist das Kind der SPD. Beide haben sich hier etwas in die Hand versprochen und haben nun die bereits erwähnte Not, das umzusetzen. Das wird ihnen wie gesagt beschädigungsfrei nicht gelingen. Und im Handwerk kann ich nur sagen: Wir haben viel gearbeitet in den letzten Jahren, das Umfeld positiv gestaltet, damit dieses Signal Arbeiten bis 67 auch auf fruchtbaren Boden fällt. Wir haben viel getan in Sachen Gesundheitsprävention, unsere Unternehmer, unsere Arbeitgeber aufgeklärt, die Arbeitnehmer dafür aufgeschlossen, dass sie diesen Weg auch mitgehen, länger zu arbeiten, und nun kommt dieses letztlich fatale psychologische Signal, das ist alles nicht so wichtig, es ist alles nicht so dringlich und ein arbeiten bis 67 ist auch mit Blick auf Demografie und Fachkräftesituation nicht erforderlich. Und das ist das eigentlich Schlimme, mal losgelöst von den finanziellen Belastungen, die uns viele, viele Jahre, Jahrzehnte noch dramatisch beschäftigen werden.
    "Das ist alles nicht akzeptabel"
    Müller: Herr Schwannecke, Frühverrentung, also sehr früh in diese Rente, in die Alterszeit hereingehen, das ist das große Problem, was in diesen Wochen und Monaten ja so kontrovers unter anderem auch diskutiert wird. Andrea Nahles hat jetzt gesagt, na ja, keine Panik, keine Aufregung, wir finden eine Regelung, wonach die Arbeitgeber dann dafür sorgen müssen, dass sich eine Frühverrentung nicht lohnt. Ist das was, was Sie mitmachen können?
    Schwannecke: Nein. Nein, das ist überhaupt nichts, weil hier versucht wird, natürlich den Ball, den man ins Feld geschossen hat, nun auf die Arbeitgeber zuzutreiben und zu sagen, ihr habt selber einen Teil der Gestaltung mit in der Hand und ihr müsst verhindern, dass es zu dieser Frühverrentung nicht kommt. Nein, falsch! Die Politik war es und es war Frau Nahles und ist Frau Nahles, die dieses Kind überhaupt erst aus der Taufe gehoben hat. Und ich denke, man kann eins nicht akzeptieren, dass man die Arbeitgeber jetzt in Rechtsunsicherheiten hineintreibt, zu gucken, riskiere ich, dass ich den Tatbestand einer Frühverrentung auslöse, oder aber bewege ich mich noch in akzeptabler Weise im Bereich beispielsweise einer betriebsbedingten Kündigung mit Rechtsunsicherheitsfolgen, mit finanziellen Folgen. Das ist alles nicht akzeptabel. Das hätte man sich nicht nur sparen können; nein, man hätte sich das sparen müssen.
    Müller: Aber reden wir noch einmal über die Details beziehungsweise über diesen Vorschlag. Machen wir ein Beispiel: Ein 21-jähriger - Entschuldigung - ein 61-jähriger; soweit sind wir ja noch nicht -, ein 61-Jähriger festangestellter Bäcker sagt, ich gehe jetzt in die Frührente, ich bekomme das alles angerechnet, zwei Jahre Arbeitslosigkeit ist ja kein Problem, abschlagsfrei mit 63, ich kann früher gehen, weil das eben dann dementsprechend mit einbezogen wird. Wenn ich Frau Nahles beziehungsweise wenn wir das Ministerium richtig verstanden haben, dann könnten Sie ja sagen, nein, das machen wir nicht mit, Du bekommst weder eine Abfindung, noch zahlen wir die Beiträge. Ist das richtig?
    Schwannecke: Nein. Ich sage mal, der Bäcker, der nach 45 Beitragsjahren dann die 63 erreicht hat, den sehe ich im Grunde genommen nicht. Dieses 63er-Modell, das steuert ja nicht auf die klassische Handwerksklientel für 45 Jahre, sondern das hat ja eine andere Klientel im Blick. Das sind zwar zugegebenermaßen Männer, das sind gut verdienende Männer, das sind Beschäftigte im öffentlichen Dienst, aber Industrie und Handwerk wird das im wesentlichen nicht sein. Und die Frühverrentung, die eigentliche Frühverrentungsdynamik, die setzt ja dann auch ein, wenn man sich eine Regelung zunutze macht, die es erlaubt, bei über 58jährigen dann zwei Jahre lang Arbeitslosengeld noch zu beziehen. Das ist ja noch eine zusätzliche Dramatik, die da ins Spiel kommt. Dann bin ich im Ergebnis bei 61 Jahren.
    Psychologisches und finanzielles Problem
    Müller: Bin ich jetzt überrascht, muss ich noch mal nachfragen, Herr Schwannecke. 45 Jahre, die angerechnet werden, da sind viele von uns in der Diskussion immer davon ausgegangen, das sind diejenigen, die ganz, ganz früh angefangen haben zu arbeiten, mit 14, mit 16, mit 17, mit 15, wie auch immer, oder auch mit 18, und dann diese Jahre zusammenbekommen. Und Sie sagen, Sie finden das nicht in Ihrem Bereich, im Handwerk?
    Schwannecke: Ja, Handwerker wird es auch treffen. Aber diese Regelung, die ja auf einige wenige nur zielt, einige wenige Jahrgänge - hier dieses Paket bezieht sich ja auf einige wenige Jahrgänge, die Jahrgänge '53 bis '63, die davon Gebrauch machen werden. Das Handwerk ist sicherlich natürlich betroffen, aber zielen tut diese Regelung auf andere Gruppen.
    Müller: Müssen Sie uns jetzt noch mal verraten. Sie sagen, Angestellte im öffentlichen Dienst, die sich jetzt "einen Lenz" machen wollen?
    Schwannecke: Nein, es bezieht sich auf gut verdienende Männer. Die werden hauptsächlich betroffen sein von dieser Regelung der Jahrgänge '53 bis '63. Das hat etwas mit den Erwerbsbiografien zu tun. Die werden betroffen sein von dieser abschlagsfreien Rentenregelung nach 45 Beitragsjahren.
    Müller: Wie gravierend ist das denn, wenn Sie sagen, es ist gar nicht so flächendeckend jedenfalls ein Problem für das Handwerk, wenn Fachkräfte, gut ausgebildete ältere Arbeitnehmer, die Sie ja auch in den letzten Jahren erst wieder neu entdeckt haben, wie jedenfalls die SPD ja oft argumentiert, wenn die jetzt gehen? Wie groß ist der Verlust?
    Schwannecke: Ich habe das psychologische Problem auch schon angesprochen, losgelöst von dem finanziellen, was jetzt entsteht. Es befördert die Bereitschaft, die ohnehin vorhanden ist, nach Möglichkeiten zu suchen, Gelegenheiten zu nutzen, aus dem Arbeitsleben so früh wie möglich auszuscheiden. Diese fördert das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und es konterkariert all die Anstrengungen, die wir unternommen haben, insgesamt in der Wirtschaft, Weiterbildung voranzubringen und Menschen länger in Beschäftigung zu halten. Hier werden die falschen Anreize gesetzt, früh auszuscheiden und nicht in Weiterbildung zu investieren und Weiterbildung auch nicht so in Anspruch zu nehmen, weil halt die Möglichkeit dann da ist, früher auszuscheiden. Das ist das Gegenteil von dem, was mit dem Prinzip Arbeiten bis 67 ja vor Jahren auf den Weg gebracht worden ist. Das setzt sich in den Köpfen fest und wie gesagt, dann wird es uns nicht gelingen, Arbeitgeber und auch Arbeitnehmer für dieses Arbeiten bis 67 aufzuschließen.
    Müller: Und Sie können im Grunde - das war meine Frage - auf diese Fachkräfte, auf die hoch qualifizierten mit viel, viel Erfahrung nicht verzichten?
    Schwannecke: Nein! Wir brauchen sie ja und wir suchen ja auch viel und richtig ist bei der ganzen Rentendiskussion, dass wir bei der Rente ja etwas tun müssen. Nur wir müssen anderes tun und wir müssen versuchen, die Menschen länger in Arbeit zu halten. Wir haben in der letzten Legislaturperiode schon versucht, dieses Stichwort Kombirente zu platzieren bei der Regierung. Das ist nicht gelungen. Wir werden das weiter tun, weil wir einfach die Fachkräfte, diejenigen mit Know-how länger im Arbeitsprozess halten müssen. Das was die Union, was Teile der Union zurzeit machen, Herr Müller, nämlich unter dem Stichwort Flexirente auch Potenzial, Know-how länger in den Betrieben zu halten, das geht auf den richtigen Weg. Wir haben im Grunde genommen zwei unterschiedliche, zeitlich anders ansetzende Aspekte, um Arbeiten länger zu ermöglichen, und das, was hier jetzt passiert, ist das gegenteilige Signal ja. Das ist, weniger im Betrieb die Kompetenz zur Verfügung zu stellen, und das ist absolut der falsche Weg.
    "Fatale Verhandlungslage"
    Müller: Herr Schwannecke, ich muss Sie da noch eins fragen. Die Verbände, das heißt ja die Fachleute, die Fachverbände - Sie gehören dazu, der Handwerksverband -, die werden ja gefragt von den Ministerien, was haltet ihr davon, gebt eine Stellungnahme ab, können wir das so machen, mit welchen Konsequenzen, mit welchen Folgen rechnet ihr. Kooperiert die Bundesregierung mit Ihnen, gibt die Bundesregierung Ihnen genügend Reaktionszeit?
    Schwannecke: Kooperieren ja, genügend Reaktionszeit nein, und hier zeigt sich - und das ist fatal -, dass man wild entschlossen ist, dieses Thema so schnell wie möglich durchzupauken. Wenn ich eine Reaktionszeit habe als Interessenvertreter von drei, vier Tagen und dazwischen liegt noch ein Wochenende, um mich dezidiert zu einem Paket zu äußern mit einem Belastungsvolumen von zwischen 160 und 200 Milliarden Euro - das ist das Rentenpaket -, dann ist das aus meiner Sicht auch inakzeptabel und zeigt im Grunde genommen das schlechte Gewissen und hier keine Riesendiskussionen zuzulassen, sondern alles schnell unter Dach und Fach zu bringen.
    Müller: Da höre ich jetzt noch mal nach. Sie haben vier Tage Zeit gehabt, auf das Rentenpaket zu reagieren?
    Schwannecke: Ja, so ist das. Am Donnerstagabend ist das Ganze gekommen und bis Montag muss eine Stellungnahme dann fertig sein. Das war beim Thema Mindestlohn nicht anders von der Systematik her. Das sind die Themen, zu denen man sich versprochen und verpflichtet hat, und die will man mit aller Kraft jetzt durchsetzen. Und wie gesagt: Die Argumente, die man wohl wägen muss bei diesen Großprojekten mit der finanziellen Belastung, das ist schon eine fatale Verhandlungslage.
    Müller: Holger Schwannecke bei uns im Deutschlandfunk, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Danke für das Gespräch.
    Schwannecke: Gerne, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.