Adalbert Stifter ist ein kranker, einsamer Mann, als er mit über sechzig Jahren seine Kindheitserinnerungen festhält und die ersten Sinneseindrücke wehmütig heraufbeschwört. Auslöser war ein Besuch in seinem Elternhaus in Oberplan, wo er am 23. Oktober 1805 geboren wurde. Schon als Zwölfjähriger verließ der begabte Tuchhändlersohn das abgelegene Dorf. Vom Abschied aus der einengenden Provinz ist in seiner Erzählung "Der Hagestolz" die Rede:
"Die Welt wurde immer größer, wurde glänzender und wurde ringsum weiter, da er vorwärts schritt - und überall, wo er ging, waren tausend und tausend jubelnde Wesen. Jeder Tag, den er ferne von der Heimat zubrachte, machte ihn fester und tüchtiger. "
Ganz so glimpflich verlief Stifters Weg in die Welt der Erwachsenen nicht. Vom Wesen schwerfällig und äußerlich wenig anziehend, wird er auf dem Benediktinerstift in Kremsmünster von Gleichaltrigen oft gemieden. Zum Studium der Jurisprudenz geht Stifter 1826 nach Wien. Aber das Fach langweilt ihn, er trödelt herum, malt, dichtet und hält sich mit Privatunterricht über Wasser. In den Sommerferien lernt der lethargische Student Fanny Greipl kennen, eine lebhafte, sprühende Person, und verfällt ihr mit Haut und Haaren. Aber Stifter versäumt ein offenes Bekenntnis. Als er ihr endlich seine Liebe gesteht, zerstreut er im selben Atemzug jede Hoffnung auf ein Verlöbnis.
"Meine herzinniggeliebte Freundin! Wenn ich den Gedanken denken sollte, daß wir uns einst trennen müssten - ich bitte dich, übereile nicht, wenn man dir eine Partie vorführt - Du zerrissest mir das Herz, wenn ich Dich unglücklich wüsste - und doch was wird es anders sein? - ein Fremdling wird kommen und mit kalter Hand dein Herz dahinführen, das mich und dich unendlich glücklich gemacht hätte. "
Eine endlose Serie von Liebesschwüren, Hochzeitsphantasien und dramatischen Verzichtserklärungen beginnt, bis nach acht Jahren eine hübsche Putzmacherin namens Amalie Mohaupt auf den Plan tritt und Fanny die Unentschiedenheit ihres Freundes satt hat. Sie verehelicht sich anderweitig, Stifter verpatzt die letzte Chance, sein Studium abzuschließen und verlagert sich auf das, was ihm machbar scheint. Amalie wird trotz fehlender Gefühle geheiratet, die Plackerei als Hauslehrer geht weiter. Für seine enttäuschten Ideale findet Stifter ein Ventil: Er beginnt zu schreiben. Es ist der letzte Ausweg aus der beruflichen und privaten Misere. 1840 erscheint seine Erzählung "Kondor" und ist sofort ein großer Publikumserfolg. Die Beachtung beflügelt ihn, die Anfragen reißen nicht ab, und Stifter arbeitet pausenlos. "Brigitta" heißt eine seiner berühmtesten Figuren, eine kämpferische Gutsbesitzerin, die durch den Ehebruch ihres Mannes die zerstörerischen Kräfte der Leidenschaft erfährt.
"Brigittas Herz aber war zu Ende. Es war ein Weltball von Scham in ihrem Busen empor gewachsen, wie sie so schwieg, und wie eine schattende Wolke in den Räumen des Hauses herum ging. Aber endlich nahm sie das aufgequollene schreiende Herz gleichsam in ihre Hand, und zerdrückte es. Als er von seinen Umänderungen auf dem entfernten Landgute zurück kam, ging sie in sein Zimmer und trug ihm mit sanften Worten die Scheidung an."
Reue, Sühne, Verzicht - das sind Stifters Themen, die er mit großer sprachlicher Gestaltungskraft variiert. In bedrängenden Landschaftsbildern verdichten sich, vielfach gebrochen, seelische Zustände. Während seine Helden durch das maßvolle Leben zu tiefem inneren Glück finden, quält sich Stifter mit Geldsorgen, seiner kleinlichen Ehefrau und einem unerfüllten Kinderwunsch. 1848 ergreift der Schriftsteller für die bürgerliche Revolution Partei, doch als es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, zieht er sich resigniert zurück. Auch eine lang ersehnte Anstellung als Schulrat in Linz bringt ihm nur Verdruss. In seinem Spätwerk Nachsommer erhebt er das Glück der Entsagung zum Ideal. Von Schwermut und Schmerzen geplagt, unternimmt Stifter im Januar 1868 einen Selbstmordversuch und schneidet sich mit dem Rasiermesser in die Kehle. Zwei Tage später stirbt er. Ein friedlicher Nachsommer blieb ihm verwehrt.